Standpunkt
Von wegen Krippenschaden
Es gleicht einem Schreckensszenario, das da inszeniert wird. Kinderärzte, Kinderpsychologen, Psychiater und andere, zum Teil selbsternannte Experten der frühkindlichen Entwicklung veröffentlichen eine Kampfansage nach der anderen in den Printmedien. Familienideologisch gefärbt und bezugnehmend auf wissenschaftliche Untersuchungen aus anderen Kulturkreisen wird die Arbeit von Kinderkrippen aufs Korn genommen. Durch die Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Kindertageseinrichtungen werden "die Bedürfnisse des Marktes höher bewertet als die der Familien". Der Staat maße sich an, der bessere Erzieher unserer Kinder zu sein. So ist es nachzulesen in dem vor wenigen Monaten erschienenen und viel beachteten Buch des Münchner Journalisten Rainer Stadler. Der Titel: "Vater, Mutter, Staat. Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung - Wie Politik und Wirtschaft die Familie zerstören". Vom Belagerungsring um das Kleinkind und von der Kinderkrippe als neoliberalem Projekt spricht der Heidelberger Kinderarzt Herbert Renz-Polster in seiner Veröffentlichung "Die Kindheit ist unantastbar". Hierin postuliert er, dass Eltern ihr Recht auf Erziehung vom Staat zurückfordern sollten. Ein noch düstereres Bild tut sich auf, wenn man die Schlussfolgerungen des Bielefelder Kinderarztes Rainer Böhm zur Kenntnis nehmen muss: "Der elterliche Entzug für die Allerkleinsten bis zu drei Jahren birgt besonders hohe psychosomatische, somatische und soziale Risiken in sich. Je mehr Zeit Kinder in einer Betreuungseinrichtung verbringen, desto stärker zeigen sie später ein sozial gestörtes Verhalten."
Das Problem dabei: Wissenschaftler, die den Ausbau des Angebots für Kinder unter drei Jahren gutheißen, reagieren nicht ähnlich öffentlichkeitswirksam auf diese Kampfansagen. Die zugrundegelegten Forschungsinstrumente oder auch die Übertragbarkeit der Untersuchungsergebnisse werden nicht hinterfragt. Und so stehen diejenigen, die sich seit Jahren für eine hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung der unter Dreijährigen engagieren oder die ihre Kinder außerfamiliär betreuen lassen, mehr oder weniger allein, sind verunsichert, haben nicht selten ein schlechtes Gewissen: neben den pädagogischen Fachkräften auch die Eltern.
Bei aller Kritik und bei allen familienideologisch gefärbten Attacken: Lassen wir uns nicht verunsichern. Es gibt Untersuchungsergebnisse, die unser Engagement bestätigen. So zum Beispiel die Hinweise des renommierten Schweizer Kinderarztes Remo H. Largo, der zu den Befürwortern der Kinderkrippen gehört und die Notwendigkeit unterstreicht, dass Kinder für ihre soziale Entwicklung andere Kinder brauchen. Oder die Forschungsergebnisse des Münchner Professors Karl Heinz Brisch, wonach Kinder für eine gelingende Entwicklung mehrere Bezugspersonen brauchen und Kinderkrippen geeignet sind, familiäre Belastungen zum Vorteil der Kinder zu kompensieren. Es ist an der Zeit, dass wir neben den positiven Erfahrungen der Praxis auch wissenschaftliche Ergebnisse in die Öffentlichkeit tragen, denen zufolge eine engagierte Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern eben nicht zum Krippenschaden führt. Eine einseitig geführte Entrüstungsrhetorik hilft niemandem.
Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V.