Titelthema
Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen
Das Kind mit seinen individuellen Entwicklungsvoraussetzungen steht im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit, so ist es im Leitbild unserer Kita zu lesen. Diese zentrale Aussage gewinnt umso mehr an Bedeutung, je jünger die Kinder sind, wenn sie erstmals in unsere Einrichtung kommen, und je mehr Zeit sie hier verbringen. Neben ihrer Familie wird jetzt auch die Kita zur zentralen Lebenswelt für sie. Wenn Übergangssituationen einfühlsam und kindorientiert gestaltet werden, sind es Phasen, in denen Entwicklungsschübe und Lernprozesse aktiviert werden, insbesondere mit der Ausbildung von Kompetenzen zur Bewältigung von Veränderungen und Herausforderungen. Um die Chance von Übergängen gut nutzen zu können, gestalten wir die Zusammenarbeit mit den Eltern von Beginn an nachhaltig. Denn nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern bewältigen einen Übergang. Das stellt für sie und die Kita eine zusätzliche Herausforderung dar.
Eine gelungene Eingewöhnungszeit ist die Basis für die neue Lebensphase. Darüber hinaus bildet sie die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern und der erweiterten Familie. Dies ist umso wichtiger, da in unserer Einrichtung Kinder im Alter zwischen einem und zehn Jahren in Krippe, Kindergarten und Hort betreut werden, die Kinder also in der Regel über einen langen Zeitraum bei uns sind.
Der Übergang von der Familie in die Krippe
Gerade für die jüngsten Kinder ist die erste längere räumliche Trennung von den Eltern eine sehr prägende Erfahrung. Diese Lebenssituation bereiten wir mit großer Sorgfalt vor. Im Krippenbereich führen wir die Eingewöhnung feinfühliger und intensiver durch als im Kindergarten. Die Eltern gestalten zusammen mit den Erzieherinnen einen individuellen, an die Bedürfnisse des Kindes angepassten Übergang und lernen das neue Umfeld ihrer Kinder gut kennen. Im Dialog mit den Erzieherinnen entwickelt sich der Beginn einer vertrauensvollen Erziehungspartnerschaft. Dies bietet für Eltern die Chance, den Prozess verantwortungsvoll mitzugestalten und aktiv mitzuwirken − immer in dem Wissen, dass sie für ihr Kind die primären Bindungspersonen bleiben.
Bei der Anmeldung des Kindes werden die Eltern anhand eines Flyers über unser Eingewöhnungskonzept informiert. So wissen sie rechtzeitig, dass sie Zeit und gegebenenfalls Urlaubstage für die Eingewöhnung einplanen müssen. Neben dem Erstgespräch, das rund 12 Wochen vor der Aufnahme in die Krippe stattfindet, bieten wir den Eltern einen Informationselternabend an. Dieser findet zweimal jährlich statt. Alle Eltern, deren Kinder innerhalb der folgenden sechs Monate aufgenommen werden, können sich an diesem Abend über die Bedeutung und den Ablauf der Eingewöhnungszeit informieren.
Das Erstgespräch findet in der Regel bei den Familien zu Hause statt. So lernen die pädagogischen Fachkräfte das Lebensumfeld kennen, und das Kind kann in vertrauter Umgebung ersten Kontakt mit der neuen Bezugserzieherin aufnehmen. Des Weiteren werden spezifische Informationen über das Kind und seine Gewohnheiten ausgetauscht und Fragen geklärt. Ebenso terminieren und besprechen wir die individuelle Gestaltung der Eingewöhnungsphase und laden das Kind mit seinen Eltern zu einem ersten zwanglosen Gegenbesuch in die Krippe ein.
Um sowohl den Kindern als auch den Eltern einen sanft en Übergang zu ermöglichen, orientieren wir uns am Münchner Eingewöhnungsmodell (vgl. Winner/Erndt-Doll 2009). Dem Kind wird auf diesem Weg die Zeit gegeben, die es benötigt, um sich in der neuen Umgebung zu orientieren, seine Bezugserzieherin und die Kindergruppe kennenzulernen und Beziehungen aufzubauen. Während die Bezugserzieherin in den ersten Tagen mit dem Kind vertraut wird, es kennenlernt und es begleitet, sind auch die Eltern oder andere Bezugspersonen fest in die Eingewöhnung eingebunden. Sie sind der »sichere Hafen«, an den sich das Kind jederzeit wenden kann, wenn es das Bedürfnis hat. Die Eltern und das Kind durchleben gemeinsam mit der Erzieherin verschiedene Alltagssituationen wie Essen, Wickeln, Schlafen. Bevor die Bezugserzieherin diese sensiblen Aufgaben übernimmt, führen die Eltern alle diese Aufgaben aus und die Erzieherin nimmt beobachtend teil. Erst danach findet der erste Trennungsversuch von Kind und Eltern statt. Auf Trennungssituationen reagiert jedes Kind auf seine eigene Art und Weise. Auch Eltern haben in dieser Situation oftmals ein mulmiges Gefühl. Deshalb werden die ersten Trennungsversuche mit Eltern und Kindern ganz individuell abgesprochen.
Für die Eltern lohnt sich die investierte Zeit. Sie erleben, wie sich ihr Kind in der Krippe verhält, und fassen Vertrauen in die neue Umgebung. Sie lernen die pädagogischen Fachkräfte und die anderen Kinder kennen und erleben, wie sich die Beziehungsarbeit zwischen den Erzieherinnen und Kindern gestaltet. Darüber hinaus erfahren sie etwas über den Krippen- und auch den Kindergarten-Alltag in unserer Einrichtung. Während der Trennungsphasen lernen sie weitere Fachkräfte in unserem Haus kennen und kommen so ganz nebenbei auch mit diesen ins Gespräch.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass natürlich auch andere Bezugspersonen wie Großeltern, Tanten, Onkel, Tagesmütter und -väter et cetera die Eingewöhnung übernehmen können.
Für Kinder, die nicht die Krippe besuchen und mit dem dritten Lebensjahr in unseren Kindergarten aufgenommen werden, verläuft die Eingewöhnung in ähnlicher Weise. Eine andere Situation stellt der Übergang innerhalb unserer Einrichtung von der Krippe in den Kindergarten dar.
Der Übergang von der Krippe in den Kindergarten
Krippe und Kindergarten sind in unserer Einrichtung über einen Flur miteinander verbunden. Im dritten Lebensjahr der Kinder wird der Übergang von der Krippe in den Kindergarten vorbereitet. Die pädagogischen Fachkräfte aus der Krippe und dem Kindergarten übernehmen gemeinsam die Gestaltung der Eingewöhnungsphase. Diese beginnt wiederum mit einem Elternabend, an dem sowohl die Krippen- als auch die Kindergartenerzieherinnen teilnehmen. Die Kindergartenfachkräfte stellen sich vor und erläutern den Eltern das Raumkonzept des Kindergartens. Hier stehen den Kindern sieben Räume mit Bildungsschwerpunkten (Naturwissenschaft en, Mathematik, Literacy, bildnerisches Gestalten mit Werkstatt, Bewegung und Tanz, kreatives und fantasievolles Spiel, Bauen und Konstruieren) zur Verfügung. Die Kinder werden in Stammgruppen mit gruppenübergreifendem Konzept betreut. Einige Monate vor dem eigentlichen Wechsel überlegen die Krippenerzieherinnen mit den Eltern, in welche Kindergartengruppe das Kind aufgenommen werden soll. Bei der Entscheidung berücksichtigen wir die Interessen des Kindes und den Wunsch der Eltern.
Im letzten Krippenjahr besuchen die Krippenkinder immer öfter den Kindergarten. Sie schauen sich zusammen mit ihren Erzieherinnen die unterschiedlichen Gruppen an und können zum Spielen dort verweilen. Aber auch vorher gibt es schon Berührungspunkte: Der Bewegungsraum steht grundsätzlich auch den Krippenkindern zur Verfügung. Den Kindergartenkindern steht es ohnehin frei, sich in den Räumen der Krippe aufzuhalten. Und die Feste im Jahreskreis werden von allen gemeinsam gefeiert: Krippen-, Kindergarten- und Hortkinder kommen hier zusammen.
Ist die Entscheidung gefallen, in welche Kindergartengruppe das Kind aufgenommen wird, besucht die Bezugskrippenerzieherin mit dem Kind die betreffende Gruppe in regelmäßigen Abständen und zu unterschiedlichen Anlässen. Sie begleitet das Kind zum Mittagessen und zum Ausruhen in den Kindergarten. Somit gewährleisten wir, dass das Kind Schritt für Schritt in die neue Situation - bald ein Kindergartenkind zu sein - hineinwachsen kann. Die Krippenerzieherin stellt dem Kind die neue Bezugserzieherin im Kindergarten vor, die von da ab immer mehr Beziehungsanlässe schafft . Nimmt auch das Kind Beziehung zur Kindergartenerzieherin und zur neuen Gruppe auf, beginnt die Krippenerzieherin, sich immer mehr zurückzunehmen, und kann schließlich den ersten Trennungsversuch durchführen. Je nachdem, wie das Kind darauf reagiert, beginnt die Eingewöhnungsphase noch einmal von vorne oder die Krippenerzieherin kann die Trennung über immer längere Phasen des Tages ausdehnen.
Ist die Eingewöhnung abgeschlossen, zieht das Kind offiziell in den Kindergarten um. Die Krippenerzieherinnen und die Krippenkinder begleiten es dabei. Auch das Krippenportfolio wechselt mit in den Kindergarten. Hier bleibt es so lange, bis das Kind entscheidet, es mit nach Hause zu nehmen und mit dem Kindergartenportfolio zu starten. Die beiden Bezugserzieherinnen bleiben währenddessen untereinander und mit den Eltern im stetigen Austausch. Das neue Kindergartenkind hat jederzeit das Recht, die Kinder und die Erzieherinnen in der Krippe zu besuchen. Auch für die Eltern gilt: Sie haben jederzeit das Recht auf Austausch mit den vertrauten Krippenerzieherinnen, ohne dass die Kindergartenerzieherinnen sich zurückgesetzt fühlen. Die Erziehungspartnerschaft ist über eine lange Zeit gewachsen und bricht mit dem Wechsel nicht abrupt ab. Dies trägt zur Entspannung jeder Übergangssituation bei. Wir schätzen es sehr, dass in unserem Haus Krippe und Kindergarten unter einem Dach sind. Dieses Privileg erlaubt es uns, den Übergang von der Krippe in den Kindergarten mit möglichst wenigen Brüchen zu gestalten.
Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule
Bei vielen Kindern ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule schon der dritte oder vierte Wechsel, den sie erleben. Die Vorbereitung dieses Übergangs beginnt mit dem letzten Kindergartenjahr. Die ältesten Kindergartenkinder treffen sich einmal wöchentlich in einer eigens dafür gebildeten Gruppe, die von zwei Erzieherinnen begleitet wird. Zu Beginn legen die Kinder in einem demokratischen Abstimmungsverfahren einen Namen für diese Gruppe fest. In diesem Jahr nennt sich die Gruppe beispielsweise »Die schlauen Füchse«. Die Erwachsenen halten sich aus der Namensgebung heraus, die Kinder finden so besser in die Rolle der »Großen«. In einem zweiten Schritt planen sie zusammen mit den Erzieherinnen, was sie im letzten Kindergartenjahr noch erleben und lernen wollen.
Ein Schwerpunkt ist in jedem Jahr das Kennenlernen der Grundschule und der dortigen Lehrkräfte. Sehr beliebt sind die Vorlesestunden mit den Schulkindern. Wechselseitig gestalten die beiden Gruppen den Inhalt der Treff en. Die Schulkinder lesen den Kindergartenkindern gerne aus ihren Lieblingsbüchern vor. Umgekehrt bereichern die Kindergartenkinder den Deutschunterricht mit ihren Geschichten oder ihren selbst gestalteten Bilderbüchern. Diese Form der Zusammenarbeit schätzen wir sehr. Zum einen können die Schulkinder zeigen, was sie schon alles gelernt haben, und die Kindergartenkinder erleben, dass sie mit ihren Geschichten zu einer interessanten Unterrichtsstunde beitragen können. Sie erfahren sich als aktive Lerner, und das stärkt sie in ihrer Persönlichkeit.
Die Zusammenarbeit findet bisher mit einer Lehrerin der Grundschule auf deren Anregung hin statt. Für die Zukunft wünschen wir uns auch mit anderen Klassen und in anderen Fächern diesen Austausch. Dann würde, wie im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan angestrebt, erreicht, dass das Kind und nicht die Institutionen im Mittelpunkt stehen. Hier gibt es also noch einiges zu tun ...
Abschließend kann ich aus meinen Erfahrungen in unserer Einrichtung sagen: Ein Übergang ist dann erfolgreich bewältigt, wenn das Kind seine neue Umgebung und die Chancen, die sich ihm damit erschließen, annimmt und sich mit seiner neuen Identität (Krippen-, Kindergarten-, Schul- oder Hortkind) wohlfühlt.