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Verband Kath. Tageseinrichtungen
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Artikel

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband

Vom Sputnik-Schock zum Situationsansatz

Im Juni 2012 feiert der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse in der Geschichte des Verbands. In dieser Ausgabe nimmt Marianne Krug das Reformgeschehen im Elementarbereich ab den späten 60er Jahren in den Blick.

Seit Beginn seiner Entwicklung in der ersten Generation der Kindergarten-Modellversuche (1969 bis 1973) kann man den Situationsansatz als eine Antwort auf die Bildungsfrage im Elementarbereich sehen. Das Besondere seiner Konzeptentwicklung bestand in der diskursiven Auseinandersetzung mit jeweils aktuellen Fragestellungen in der Lebenswelt von Kindern. Mit seinem institutionenskeptischen, dynamischen und entwicklungsoffenen Charakter besitzt er auch nach 40 Jahren Anregungspotenzial. Exemplarisch lässt sich dies am "Projekt Landkindergärten" zeigen, das vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) initiiert zusammen mit 29 Kindergärten aus fünf Diözesan-Caritasverbänden in drei westlichen Bundesländern 1987 bis 1990 durchgeführt wurde.

Ausgangspunkt: Kritik am traditionellen Kindergarten

Zum Ende der 60er Jahre sah sich der bundesdeutsche Kindergarten vielfacher Kritik von den unterschiedlichsten Seiten ausgesetzt. Abgesehen davon, dass damals in der Bundesrepublik nur für weniger als ein Drittel der drei- bis sechsjährigen Kinder überhaupt ein Platz in einer Einrichtung vorhanden war und von Chancengerechtigkeit in der vorschulischen Bildung nicht die Rede sein konnte, ist Dokumenten kirchlicher Trägerverbände wie auch von Pädagogen aus diesen Jahren anzumerken, wie schwer sich die angestammten Verantwortungsträger - zu einem großen Teil in kirchlichen Verbänden organisiert - damit taten, plötzlich in den Fokus bildungspolitischer Auseinandersetzungen geraten zu sein: In der Kritik standen die tradierten religionspädagogischen Praktiken ebenso wie die ritualisierte Pädagogik, die vielerorts aus vereinfachten Formen Fröbelscher Spielpflege, inhaltsarmer beschäftigungspädagogischer Angebotspraxis, musischen Elementen und viel Regelwerk (um den "letzten Schliff" für die bevorstehende Einschulung zu bekommen) bestand.

Aus der Rückschau fällt auf, dass zu Beginn der Reformphase die organisatorische Verfasstheit der Kindergartenlandschaft kaum wahrgenommen wurde: Die beiden vielbeachteten Publikationen des Deutschen Bildungsrats von 1970 und 1973 lassen die jugendhilfespezifische, trägerplurale Struktur der Kindergartenlandschaft uner­wähnt; kirchliche und andere subsidiäre Träger kommen, wenn überhaupt, dann eher als Beleg für das strukturelle reformbehindernde Chaos des bundesdeutschen Kindergartens vor. Mit dem Vorschlag zur Zuordnung der Fünfjährigen zum Schulsystem wäre den angestammten Trägern vorschulischer Erziehung lediglich eine Art Restkindergarten verblieben, was vermutlich den endgültigen Entzug bildungspolitischer Aufmerksamkeit bedeutet hätte.

Es war wohl ein mühsamer Prozess, bis sich die freien Trägerverbände schließlich dazu bereitfanden, selbst eine aktive Rolle im Reformgeschehen des Elementarbereichs mitzuspielen, trägereigene Kindergärten an Modellversuchen teilhaben zu lassen und deren Diskussionen in die eigenen verbandlichen Reihen hineinzutragen. Ein wichtiges Forum dafür war für die freien Träger der Fachausschuss frühkindliche Erziehung der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ). Auf katholischer Seite spielte der diskussionsfreudige und allzeit innovationsinteressierte Heribert Mörsberger vom damaligen Zentralverband katholischer Kindergärten und Kinderhorte Deutschlands e. V. eine wichtige Rolle.

Wurzeln und Flügel des Situationsansatzes

Um ein bekanntes Goethe-Wort zur Kindererziehung abzuwandeln: Die Wurzeln des Situationsansatzes gründeten neben den kindergartentypischen Strukturmerkmalen (Familiennähe und Einbindung ins Gemeinwesen, Lernen in altersgemischten Gruppen, Alltagsorientierung und Spielpflege) im Diskurs mit den beteiligten Praktikerinnen. Es galt, das Arrangement des Kindergartens bewusst nicht als Reformhindernis zu begreifen, sondern als Qualitätsrahmen für eine andere - die informellen Alltagskontexte erschließende - Bildung zu begreifen.

Dieser Weg der partnerschaftlich organisierten, fördernden Begleitung von Sozialisationsprozessen entsprach den Arbeitsweisen in der Jugendhilfe und war eine markante Alternative zum vorgezogenen Fächertraining. Wir fragten: Was von eurer Arbeit seht ihr als zukunftsfähig an und was wollt ihr in die Kindergartenreform einbringen? Wo erlebt ihr die aktuelle Debatte als produktive Provokation und was weist ihr zurück? Wie könnt ihr euer Wissen um die Lebenssituationen von Kindern noch stärker in die Erziehung, Bildung und Betreuung einbringen, wie die Zusammenarbeit mit Eltern verbessern?

Der Erfahrungsaustausch der Modellkindergärten untereinander und das Interesse der wissenschaftlichen Begleitgruppe führte bei den beteiligten Erzieherinnen zu Professionalisierungsschüben. "Weil ihr uns ernst genommen habt, begannen wir uns selbst ernster zu nehmen und unser Handeln zu betrachten", meinte die Leiterin eines Landkindergartens im gleichnamigen Projekt bei der Abschlusstagung.

Die Flügel: Sie bestanden bei allen Projekten rund um Entwicklung, Erprobung und Weiterdenken des Situationsansatzes im Anspruch, das Lernen im Kindergarten unter curricularen Aspekten als Grundlage einer lebenslangen Bildungsbiografie zu begreifen, die zum selbstbewussten, kreativen Bewältigen des Lebens befähigen sollte.1 Anregend wirkten der Anspruch, die Erziehungsziele Autonomie, Kompetenz und Solidarität in lebendige Zusammenhänge "herunter in die Lebenswelt zu übersetzen" und das Geschehen im Kindergarten mit instutionenkritischem Blick zu betrachten: Könnte das Lernen noch mehr ins Leben der Kinder verlagert und durch "Elterntalente", zusätzliches bürgerschaftliches Engagement und die Ressourcen anderer Lernorte noch reichhaltiger gestaltet werden?

Zu Beginn der 80er Jahre kamen neben den Reformkonzepten und -inhalten die Rahmenbedingungen stärker in den Blick: Personalbesetzung und
-qualifikation, Berufsverweildauer und Weiterbildungsmöglichkeiten, räumliche Bedingungen, Fachberatung, Trägerqualität und anderes mehr. Besonders in der Auswertungsphase des überregionalen "Erprobungsprogramms", an dem immerhin 210 Einrichtungen, darunter 32 katholische, in neun Bundesländern beteiligt waren, wurde klar, dass die Frage nach einem guten vorschulischen Angebot nicht alleine mit Konzepten zu beantworten war. Die Bedarfe von Familien wurden nun differenzierter wahrgenommen. Außerdem verlangte eine ökologische Sozialisationsperspektive weiteres Nachdenken über regionale Unterschiede in der Infrastruktur für Kinder und einzugsgebietsspezifische Zuschnitte von Kitas.

Nun verlangten die mittlerweile erstarkten Wohlfahrtsverbände mehr Beteiligung an der Anlage und Implementation künftiger Reformen. Ihr Interesse war auch, die im Aufbau befindlichen verbandseigenen Fachberatungsstrukturen in das Reformgeschehen aktiv einzuflechten. Als die Bundesländer in ihrer Reformbereitschaft erlahmten, erwiesen sich Trägerverbände der freien Wohlfahrtspflege als fantasievolle Reformmotoren und wandelten das Instrument Bund-Länder-Modellversuche ab: Gemeinsam mit dem DJI kam es in der Folge zu zwei von Bund und Trägern finanziell getragenen Modellprojekten, die allen Sparauflagen der Bundesländer zum Trotz neue Fragestellungen zum Zusammenhang von Einzugsgebiet, Bedarf und Konzept verfolgten. Dass davon auch die Weiterentwicklung des Situationsansatzes profitierte, war einerseits Anliegen des DJI, wurde aber auch von der Praxis und den verbandlichen Strukturen mit Interesse vorangebracht. Mit Verbandsgliederungen der Arbeiterwohlfahrt wurde an Fragen der Ganztagsbetreuung im Bildungskontext gearbeitet und danach mit Einrichtungen des Caritasverbands schließlich das Projekt "Landkindergärten" in Angriff genommen.

Projekt Landkindergärten: Bildung und Erziehung mit bewusstem Regionalbezug

In vielen ursprünglich konfessionell geprägten Landstrichen gibt es heute noch den kirchlichen Kindergarten als einzigen im Dorf. Oft ist er die letzte Infrastruktureinrichtung, die dem Ort geblieben ist, nachdem Schulen zentralisiert, Tante-Emma-Läden aufgegeben wurden, Pfarrer und Doktor schon längst in die benachbarte Stadt gezogen sind. Die Einwohnerschaft der modernen Landgemeinden ist allerdings pluraler geworden, und längst durchziehen verkehrsreiche Straßen die Dörfer mit ihren Neubaugebieten, Industrieansiedlungen und aussterbenden Bauernhöfen. Dennoch: Aufwachsen "im Grünen" gilt als besonders kinderfreundlich; hartnäckig hält sich die Meinung, Kinder in der Landwirtschaft lebten ohnehin im Naturparadies mit ständig verfügbaren Eltern und lebendigen Lerngelegenheiten im Überfluss ... So zieht das Land auch heute viele junge Familien an; Eltern werden zu Pendlern, Betreuungsprobleme für Kinder gibt es mindestens so viele wie in der Stadt.

Der sozialökologische Blick auf den Kindergarten lässt dann sogleich die Frage aufkommen, wie (unterschiedlich) die Familien am Ort tatsächlich leben und wie weit her es mit Chancen für Kinder ist. Die Frage nach sozialen Netzwerken und naturwüchsigen, lebendigen Bildungsgelegenheiten schließt sich an. Natürlich ist die Stellung der Pädagoginnen im Dorf ein Thema, denn nur selten sind sie ortsangestammt und stehen den örtlichen Traditionen wie "die Zugezogenen" als Außenstehende gegenüber.

In Begriffen des Situationsansatzes: Wie können Landkindergärten das Umfeld der Kinder als Lernfeld nutzen, wie können die Pädagoginnen den Kindergarten ins Gespräch bringen? Und wie kann es gelingen, ihn schrittweise in ein Zentrum für Kinder und Eltern zu verwandeln und den Blick auf Bedürfnisse der nachwachsenden Generation im Dorf zu lenken?

Das Projekt Landkindergärten zielte also auf Gemeindeentwicklung vom Kindergarten aus. Denn: Was Kindern guttut, ist eng verbunden mit der Frage nach kultureller Befindlichkeit, Lebensqualität und sozialer Integration.

Projekte wie diese veranlassten schließlich den Caritasverband, Aufgaben der Qualitätsentwicklung vor Ort in seinem Fachberatungskonzept weiter zu fassen und um gemeindeorientierte Organisations- und Trägerberatung zu ergänzen:

· Kinder verfolgten den Dorfbach von seiner Quelle bis zu seiner Mündung in ein größeres Gewässer.
· Landwirtseltern luden den Kindergarten immer wieder ein, wenn es Interessantes auf dem Hof zu sehen gab.
· Als eine ortsbildprägende Pappel gefällt werden musste, erlebten die Kinder alle Phasen dieses Unterfangens mit; der Kindergarten bekam eine Baumscheibe als Tisch mit Asthockern für sein Freigelände, und im kommenden Frühjahr waren es die Kinder, die einen Baum in der Ortsmitte pflanzten.
· Alte Menschen wurden eingeladen, mit den Kindern Kochrezepte von früher auszuprobieren und aus ihrem Leben zu erzählen.
· Der tragische Unfalltod von zwei Kindern führte zu tiefschürfenden religionspädagogischen Beschäftigungen und bei den Eltern schließlich zu einer Bürgerinitiative für mehr Sicherheit an der vielbefahrenen Durchfahrtsstraße.
· Befragungen zur Lebensqualität für Familien wurden mit Eltern konzipiert, ihre Ergebnisse in den Kirchengemeinden diskutiert und in die Bedarfsplanung des Jugendamts eingebracht.

Die beteiligten Landkindergärten beschäftigten sich nicht mehr nur mit sich selbst, sondern wirkten in ihr Umfeld hinein. So war es nur konsequent, dass zum Projektende Gesichtspunkte der Kinderfreundlichkeit als Kriterien in den alljährlichen Bundes-Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" eingebracht wurden und außerdem andere Diözesen ihrerseits "Landkindergartenprojekte" initiierten.

Marianne Krug
M. A. Päd., 1973 - 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin am DJI in München, später freiberuflich tätig in der Fortbildung und für Fachzeitschriften des Elementarbereichs.

Anmerkung
1 s. hierzu die Artikel von Rita Haberkorn, Christa Preissing und Jürgen Zimmer in "Welt des Kindes" 2/2012.
 

Inhalt

Zeit und Raum für Kinder

100 Jahre KTK-Bundesverband
... das Heft zum Jubiläum

Editorial

Jubiläumsfeier

Glückwünsche aus der Manege

Grußworte

Ansprache

Marlene Rupprecht
Zeit und Raum für Kinder

Im Gespräch

Bischof Franz-Josef Bode, Prälat Peter Neher
Katholische Kitas im Fokus von Kirche und ihrer Caritas

Jubiläumskongress Teil I: Einblicke

Vorträge 

Thomas Rauschenbach
Frühe Bildung

Nadia Kutscher
Bildung differenziert betrachtet

Susanne Viernickel
Was können Erzieherinnen tatsächlich leisten?

Festgottesdienst im Kölner Dom

Jubiläumskongress Teil II: Ausblicke 

Rede

Klaus Schäfer
Die Länder in die Pflicht genommen

Aufbruch

Frank Jansen
Kölner Memorandum

Talkrunde zum Memorandum

Rückblick

100 Jahre KTK - ein Rückblick in neun Etappen

Rubriken

Editorial
Der Kongress in Bildern
Impressionen
Vorschau/Impressum

SPEZIAL

Religion gehört dazu

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband

Anstiftend und unterstützend zugleich

Im Juni 2012 feierte der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse in der Geschichte des Verbands. In dieser Ausgabe legt Frank Jansen den Fokus auf das Engagement des KTK-Bundesverbands in Sachen Qualitätsentwicklung und -sicherung.

Ganz so alt wie der KTK-Bundesverband ist das Thema nicht. Aber immerhin stecken in der 100-jährigen Geschichte des Verbands 14 Jahre Engagement, wenn es um Fragen der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung in Kindertageseinrichtungen geht. 2003 wurde die erste Auflage des KTK-Gütesiegels herausgegeben. Damit feiert das Qualitätsmanagementsystem des KTK-Bundesverbands im kommenden Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Vorher schon zu gratulieren, kommt nicht gut. Einen Glückwunsch und ein dickes Dankeschön verdienen aber die Delegierten des KTK-Bundesverbands, die vor zehn Jahren die entscheidenden Weichen gestellt haben.

Während der Bundesdelegiertenversammlung 2002 wurde das Konzept des KTK-Gütesiegels durch einen Grundsatzbeschluss verabschiedet. Allen, die an dieser Sitzung teilgenommen haben, wird die Debatte noch in lebhafter Erinnerung sein. Eine heftige und kontroverse Diskussion entzündete sich an der Frage, inwieweit es richtig sei, ein Qualitätsmanagementsystem (QM-System) für katholische Kindertageseinrichtungen auf der Grundlage der DIN EN ISO zu verabschieden und damit grünes Licht für mögliche Zertifizierungsprozesse zu geben. Am Ende stimmte die Versammlung ab, und zwar einstimmig für ein KTK-Gütesiegel, das eben dieser internationalen Norm entspricht. Die Tragweite dieses Beschlusses und die damit verbundene Erfolgsgeschichte konnte damals niemand ahnen. Nahezu 8000 Exemplare des KTK-Gütesiegels sind bislang verkauft. Sein Aufbau, seine Inhalte und seine Systematik dienen heute auch als Vorbild für andere QM-Systeme.

Ahnungslos, unbefangen und forsch ...

"Budgetierung", "Output-orientierte Steuerung" oder auch "Neue Steuerungsmodelle": Das waren Mitte der 90er Jahre die weitverbreiteten Schlüsselbegriffe einer hochkomplizierten Diskussion über verschiedenste Ansätze einer Reform der öffentlichen Verwaltungen, insbesondere der Jugendhilfe. Erwartet wurde, dass die Jugendhilfe künftig effizienter und wirtschaftlicher arbeitet, als dies zu diesem Zeitpunkt offensichtlich der Fall war. Effiziente Planung und Kontrolle des Verwaltungshandelns: Mit diesen Instrumenten sollte erreicht werden, dass sich die Jugendhilfe strikt an beabsichtigten und tatsächlich erreichten Ergebnissen ausrichtet. Nichts mehr dem Zufall überlassen und das ganze System verbindlicher machen, so lautete die Devise. Als Werkzeug wurde das Qualitätsmanagement entdeckt. Nützlichkeit und Kundenzufriedenheit standen ab sofort im Vordergrund.

Es dauerte nicht lange, da schwappte die Debatte auch auf den Kita-Bereich über. Und da hatten wir den Salat. Plötzlich waren Referate und sonstige Inputs zu einem Thema gefragt, von dem niemand innerhalb des KTK-Bundesverbands über ausreichend Wissen verfügte. Ahnungslos, unbefangen und forsch: Mit diesen Adjektiven lassen sich die ersten Gehversuche des KTK-Bundesverbands in Richtung Qualitätsmanagement wohl treffend auf den Punkt bringen.

Um dem Dilemma der Ahnungslosigkeit zu entgehen, wurde 1996 die Fachwoche "Kindergärten mit Gütesiegel?" durchgeführt. Betrachtet man das Programm der Veranstaltung im Nachhinein, so wird unmissverständlich klar, in welcher Verfassung wir dem Thema begegneten. Alleine schon die im Programm angekündigten kabarettistischen Einlagen lassen eine eher ironisierende Haltung dem ganzen Thema gegenüber erkennen. Sie dokumentieren aber auch ein reduziertes Verständnis darüber, was unter Qualitätsmanagement zu verstehen ist: "Kampfhandlungen zwischen Eltern und Erzieherinnen vorprogrammiert", "Auch das noch: DIN EN ISO 9000 ff. - Euer neuer Gott", "Erzieherinnen als Bedürfnisbefriedigerinnen", so stand es in der Ausschreibung. Alles in allem: Qualität ist das, was die Kundenbedürfnisse befriedigt. Leicht nachvollziehbar, dass durch ein solches Verständnis der Boden für Kritiker genährt wurde. Das wohl Heikelste daran war, Eltern plötzlich als Kunden der Kindertageseinrichtung akzeptieren zu müssen.

Dass im Qualitätsmanagement aber mehr steckt als eine bloße Vorstellung von der Kindertageseinrichtung als Dienstleistungsunternehmen, das wurde in den darauffolgenden Jahren klar. Es braucht eben Zeit, bis ein völlig neues Thema richtig verstanden und aufgearbeitet ist. 2001 veröffentlichte der KTK-Bundesverband das Buch "Starke Aussichten. Qualitätsmanagement in katholischen Kindertageseinrichtungen". In dieser Publikation sind Anforderungen formuliert, die ein QM-System gerade mit Blick auf katholische Kindertageseinrichtungen erfüllen muss: Es soll Wettbewerbsvorteile garantieren, ein Fundament für die Weiterentwicklung der Arbeit bieten, Wirtschaftlichkeit gewährleisten, optimale Arbeitsabläufe sichern und das Vertrauen in die Kita stärken. Mit diesen Anforderungen war der Grundstock für die Entwicklung des KTK-Gütesiegels gelegt.

Das KTK-Gütesiegel ist systematisch aufgebaut, fordert heraus und bietet Orientierung

Überzeugend in der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern, bereichernd für Familien, kompetent in Glaubensfragen - Katholische Kindertageseinrichtungen stellen sicher, dass alle Kinder gleiche Chancen auf Bildung haben, und dies unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - Die familienbereichernden Angebote entlasten Mütter und Väter. Sie tragen dazu bei, dass Eltern ihre familiären und beruflichen Pflichten gut miteinander vereinbaren können - Durch ihre religionspädagogische Arbeit stärken Erzieherinnen das Vertrauen der Kinder in das Leben: Mit diesen Ansprüchen lässt sich der Auftrag katholischer Kindertageseinrichtungen auf den Punkt bringen. Und die Voraussetzung hierfür: Diese Ambitionen können auf Dauer nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Angebote und Arbeitsprozesse in katholischen Kitas kontinuierlich geprüft, weiterentwickelt und dokumentiert werden. Und genau hierfür bietet das KTK-Gütesiegel heute das Handwerkszeug. Mit seiner Hilfe werden die pädagogischen Mitarbeiterinnen sowie deren Träger darin unterstützt, ihren vielseitigen und anspruchsvollen Auftrag verlässlich und zur Zufriedenheit aller umzusetzen.

QM-Systeme für Kindertageseinrichtungen gibt es viele. Nicht alle fördern aber die Weiterentwicklung der Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern. Vermutlich liegt es an der Rezeptur der Systeme: ein Übermaß an Kriterien zur Qualitätsfeststellung, die wenig Raum dafür lassen, die Qualität des Angebots an den jeweils unterschiedlichen Bedingungen der Kindertageseinrichtungen auszurichten; ein sozialpädagogischer Eifer, der zu einem Übermaß an theoretischen Erläuterungen führt, in denen man leicht die Orientierung verliert.

Dass das KTK-Gütesiegel eine so hohe Akzeptanz erfährt und einen Qualitätskonsens erzeugt hat, liegt daran, dass es ganz einfach anders ist. Es handelt sich um kein QM-System mit unumstößlichen Vorgaben, die unreflektiert nur abzuhaken sind. Es ist systematisch aufgebaut und klar strukturiert. Mit seinen neun Qualitätsbereichen und den jeweils zugrundeliegenden Qualitätsanforderungen, Praxisindikatoren und Nachweismöglichkeiten ist das Gütesiegel ein umfassendes Instrument zur Weiterentwicklung der Arbeit, das gleichzeitig Orientierung bietet. Es beschreibt den theologischen und pädagogischen Reichtum katholischer Kindertageseinrichtungen und strukturiert deren Arbeit.

Das KTK-Gütesiegel erfasst mit seinen neun Qualitätsbereichen alle Aufgaben und Arbeitsprozesse einer Kindertageseinrichtung. Bei den Qualitätsbereichen handelt es sich um die Kapitel "Kinder", "Eltern", "Glaube", "Kirchengemeinde", "Politische Gemeinde", "Träger und Leitung", "Personal", "Mittel" sowie "Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung". Jedem Qualitätsbereich liegen mehrere Qualitätsanforderungen zugrunde. In den Qualitätsanforderungen werden Ansprüche formuliert, die fachlich anerkannten Standards entsprechen und das spezifisch Christliche einer Kindertageseinrichtung hervorheben. Die Qualitätsanforderungen sind auch als Leistungsversprechen zu verstehen, auf die nicht nur Kinder und Eltern einen Anspruch haben, sondern ebenso die Mitarbeiterinnen und Träger.

Jede Qualitätsanforderung wird im KTK-Gütesiegel durch mehrere Praxisindikatoren differenziert beschrieben. Die Praxisindikatoren legen dar, wie sich die einzelne Qualitätsanforderung im Alltag einer Kindertageseinrichtung konkretisiert. Die im Anschluss an die Praxisindikatoren aufgeführten Nachweismöglichkeiten zeigen beispielhaft, wie Erzieherinnen und Rechtsträger die Qualität ihrer Arbeit nachweisen können.

Jährliche Nachlieferungen garantieren die Aktualität

Alles in allem ist das KTK-Gütesiegel ein Instrument zur Qualitätsentwicklung, zur Qualitätssicherung und zur Qualitätsfeststellung in katholischen Kindertageseinrichtungen. Im KTK-Gütesiegel wird dabei die DIN EN ISO 9001:2008 genutzt, um die Qualität in Kitas zu managen. Hierbei muss diese Norm für den Kita-Bereich übersetzt und mit Inhalten gefüllt werden, um fachlichen Ansprüchen zu genügen. Damit erhebt das KTK-Gütesiegel den Anspruch, die Qualitätsentwicklung auf der Grundlage des christlichen Menschenbilds und auf der Basis aktueller pädagogischer und religionspädagogischer Forschungsergebnisse unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und kirchlicher Entwicklungen zu unterstützen.

Aufgrund der großen Dynamik in diesen Feldern ist es notwendig, das KTK-Gütesiegel auf dem neuesten Stand zu halten. Deshalb wird jährlich eine Nachlieferung herausgegeben. Diese Fortschreibungen haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass das KTK-Gütesiegel auf andere Konzepte, wie beispielsweise auf die Bildungspläne der Bundesländer, übertragbar ist. Gleichzeitig steht den Kitas damit ein Instrument zur Verfügung, mit dem das Bischofswort "Welt entdecken, Glauben leben" im pädagogischen Alltag operationalisiert werden kann.

Die Unterstützungsleistungen werden Schritt für Schritt ausgebaut

2011 hat die Berliner Senatsverwaltung alle Kitas verpflichtet, an einer externen Evaluation teilzunehmen, in der die Umsetzung des Berliner Bildungsprogramms überprüft wird. Für die externe Evaluation hat das Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung verschiedene Anbieter beauftragt, zu denen auch der KTK-Bundesverband gehört. Die externe Evaluation erfolgt in den katholischen Kindertageseinrichtungen nach einem besonderen Verfahren. Die Umsetzung des Berliner Bildungsprogramms wird in enger Anbindung an die Umsetzung ausgewählter Qualitätsbereiche des KTK-Gütesiegels evaluiert. Der Vorteil für die Kitas liegt auf der Hand: Durch die externe Evaluation schlagen sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und müssen zwei Konzepte nicht losgelöst voneinander bearbeiten. Bleibt zu hoffen, dass ein solches Verfahren auch in anderen Bundesländern Schule macht. Dass das KTK-Gütesiegel ohne weiteres in die Implementierung der Bildungspläne eingebunden werden kann, zeigt das Berliner Modell.

In seinen strategischen Zielen hat sich der Vorstand des KTK-Bundesverbands darauf verständigt, dass die Mitgliedseinrichtungen des KTK-Bundesverbands künftig auf der Grundlage des KTK-Gütesiegels arbeiten - sicherlich ein ambitioniertes Ziel, von dem wir aber nicht so weit entfernt sind. Bei nahezu 8000 verkauften Exemplaren ist davon auszugehen, dass zumindest einzelne Inhalte des KTK-Gütesiegels im pädagogischen Alltag katholischer Kindertageseinrichtungen eine Rolle spielen.

Um dieses Engagement zu unterstützen, werden bereits heute vonseiten des Verbands Projekte zur Einführung des KTK-Gütesiegels angeboten. Damit aber nicht genug: In naher Zukunft wird es den "KTK-Qualitätsbrief" geben. Durch die Vergabe des Qualitätsbriefs erhalten Kitas nach einem Evaluationsverfahren einen Nachweis darüber, dass sie auf der Grundlage ausgewählter Qualitätsanforderungen und der damit verbundenen Praxisindikatoren des KTK-Gütesiegels arbeiten. In diesem Sinne ist der KTK-Qualitätsbrief eine erste Stufe zur Zertifizierungsreife, ohne dass diese zwingend erreicht werden muss. Die Vorbereitungen hierfür laufen derzeit auf Hochtouren. Mit dem Qualitätsbrief wird das Engagement der Kindertageseinrichtungen anerkannt, auch wenn sie noch nicht alle Anforderungen des KTK-Gütesiegels erfüllen. Ein richtiger Schritt, wie ich meine, im Jubiläumsjahr. Denn ohne seine Mitgliedseinrichtungen könnte der KTK-Bundesverband auf keine 100-jährige Geschichte zurückblicken.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

Titelthema

Ein vielschichtiger Gegensatz

Die Sonne scheint, die Kinder springen kreuz und quer über den Platz. Sie lachen. Das Spiel heißt: Ich hüpfe auf deinen Schatten. Oder: Ich folge dir in deinem Schatten. Oder: Wir staunen, wie lang oder kurz, groß oder klein unsere Schatten sind.

Licht und Schatten sind Realitäten, die sich wie zwei Pole gegenüberstehen. Sie sind Kontraste, die ein Spannungsfeld erzeugen, in dem sich grundlegende und vielschichtige Erfahrungen verdichten. Die unmittelbare Erfahrung ist die von Helligkeit und Dunkelheit. Licht und Schatten sind hier Realitäten, die mit den Sinnen wahrgenommen werden: Ich sehe und spüre sie. Wo Licht ist, dort ist Wärme, wo Schatten und Dunkelheit ist, dort ist Kühle. Das trifft zwar nicht immer zu, aber meistens.

Licht und Schatten haben aber nicht nur diese sensorische, sondern auch eine emotionale Qualität: Licht steht in Verbindung mit "hellen" Gefühlen, Schatten mit "dunklen". Hier Sicherheit - dort Unsicherheit, hier Freude - dort Trauer, hier Hoffnung - dort Verzweiflung, hier Mut - dort Angst. Neben der sensorischen und der emotionalen Qualität der beiden Pole wird eine weitere Qualität deutlich. Licht und Schatten drücken Befindlichkeiten aus, die die gesamte Existenz des Menschen berühren: Glück und Unglück, Versöhnung und Schuld, Hilfe und Not, Barmherzigkeit und Herzlosigkeit, Erfolg und Scheitern. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt in die Moral und die Ethik, die Philosophie und die Theologie: das Licht der Gerechtigkeit und die Schatten des Unrechts, das Licht des Seins und der Schatten des Scheins, Gut und Böse, Heil und Unheil, Leben und Tod, Überirdisch-Himmlisches und die Schatten der Unterwelt.

"Wo viel Licht ist, dort ist auch viel Schatten"

Das bekannte Sprichwort bezieht die beiden Pole aufeinander: Licht und Schatten bedingen sich gegenseitig und sind aufeinander bezogen; das eine kann ohne das andere nicht sein. Stimmt das? Ist dies tatsächlich das Strickmuster der Wirklichkeit? Dieser unausweichliche Automatismus? Kann die Welt nie ganz licht und hell sein, gibt es in ihr immer zugleich und in gleichem Maße auch Schatten und Dunkelheiten?

Nein, das kann nicht sein! Bereits eine einfache sensorische Erfahrung überführt das Sprichwort: Am Mittag, wenn die Sonne am höchsten steht und das Licht den Tag am hellsten durchflutet, dann sind die Schatten am kürzesten oder verschwinden sogar ganz. Angesichts dieser einfachen Beobachtung stellt sich die Frage: Welchen Sinn hat das Sprichwort? Man kann es als moralischen Aphorismus ansehen, das heißt als pointierten Spruch mit einer Lebensweisheit. In dem Sprichwort steckt eine reale Alltagserfahrung mit einem moralischen Appel: Es warnt und weckt das Misstrauen gegenüber falschen Versprechungen aller Art.

Die "dunkle und die helle Seite der Macht" 

Wer das Sprichwort jedoch von seinem pädagogisch-moralischen Hintergrund ablöst und es auf alles bezieht, der missversteht es. Dann ist es keine praktische Lebenshilfe mehr, sondern das Trittbrett eines fatalen Irrtums: die Welt als Schauplatz zweier entgegengesetzter Kräfte, die in einem ewigen Zweikampf miteinander ringen. Die Filmtrilogie "Krieg der Sterne" erzählt von diesem Kampf, in dem die "helle Seite der Macht" in einem verzweifelten und aussichtlos erscheinenden Kampf gegen die "dunkle Seite der Macht" am Ende doch noch den Sieg erringt. Wie lange dauert dieser Sieg an? Ewig? Diese Frage bleibt - trotz des Happy Ends - offen.

Die Geschichte vom Kampf der edlen Jedi und ihren Lichtschwertern mit den lebensverachtenden Sith in ihren schattenhaften Masken ist nicht die einzige Story in der Weltgeschichte, die diesen Mythos vom Kampf der Gegensätze erzählt. Jede fundamentalistische und extremistische Ideologie, sei sie politisch oder religiös, variiert diesen Kampf der Guten gegen die Bösen. In diesem Kampf ist alles eindeutig: Es gibt nur ein klares Entweder-oder und kein abwägend-differenzierendes Sowohl-als-auch. Die Welt ist schwarz oder weiß - hier die Guten, dort die Bösen, hier die Freunde, dort die Feinde, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Ein verführerisch einfaches, aber grausames und unrealistisches Weltbild.

Eine Polarität mit ziemlicher Ambivalenz 

Ist Licht immer nur positiv? Und Schatten immer nur negativ? Nein! Beides ist ambivalent: zweideutig, widersprüchlich und zwiespältig.

Licht: grell - geheimnisvoll - verführend
Licht ist auch negativ: Grelles Licht macht krank, setzt unter Druck und verunsichert. Darum ist beim Verhör der Lichtkegel der Lampe auf das Gesicht des Verhörten gerichtet. In ihrem grellen Schein bleibt nichts verborgen. Der Mensch ist dem Licht beziehungsweise der Situation schutzlos ausgeliefert. Kein Geheimnis ist mehr sicher. Das kann Menschen belasten, denn wir Menschen brauchen einen privaten Rückzugs- und Intimraum. Das kann aber auch gut sein! "Die Sonne bringt es an den Tag", heißt ein Märchen der Brüder Grimm. Es erzählt die Geschichte eines brutalen Raubmordes, der jahrelang verborgen bleibt und dann doch "ans Licht" kommt.

Es gibt auch das "kalte" Licht. In Räumen, die mit bläulich schimmerndem Neonlicht erleuchtet sind, herrscht eine kalte Atmosphäre. Es ist unheimlich und bedrohlich. Jeder weiß das, der schon einmal nachts durch eine derartig beleuchtete Unterführung gehen musste. Dagegen weckt das blau-bunte Licht, das durch gefärbte Glasfenster eintritt, die Ahnung einer anderen Wirklichkeit. Wie etwa die Glasfenster der gotischen Kathedralen, die das Licht dimmen und färben. Es zeigt dem Besucher: Du bewegst dich hier an einem Ort, der den inneren Blick frei gibt auf eine andere, höhere Welt. Eine ähnliche Wirkung entfalten blaue Kristalle und Edelsteine, die in überirdischem Licht glänzen. Aber auch das "blaue Licht" ist nicht immer positiv. Im Märchen der Brüder Grimm "Das blaue Licht" ist es ein Irrlicht, das einem Veteranen die Macht gibt, niedere Rache an seinen ungerechten Dienstherrn zu nehmen, und das ihn am Ende doch errettet.

Schatten: Rückzugsraum - Schutzraum - Geheimnisraum
Und was ist mit dem Schatten? Ist Schatten immer nur negativ? Auch hier gilt: Nein! Der Schatten kann ein Rückzugsraum sein. Ein Ort, an dem ich nicht wie im Rampenlicht von allen gesehen werde, sondern an dem ich mich verbergen und für mich sein kann. Der Schatten der Nacht ist ein solcher Ort des Verborgenen. "Des Tags ist es so, des Nachts ist es so": Die Prinzessin Fiona verwandelt sich von der einen Gestalt in die andere, bis der "Kuss der wahren Liebe" sie erlöst und sie ihre wahre Gestalt findet. Ist es Zufall, dass es die Gestalt ist, die sie zuvor des Nachts annahm? Und es ist auch Nacht, wenn sich die zwölf Prinzessinnen in dem Märchen "Die zertanzten Schuhe" aus dem Schlafgemach stehlen und zu dem unterirdischen Schloss eilen, wo sie mit den Prinzen die Nächte durchtanzen, um diese zu erlösen. Die Nacht ist in diesen Märchen der Ort, an dem Dinge passieren, die verborgen sind. Sie deutet auf das hin, was dem äußeren Auge entzogen ist. Aus psychologischer Sicht sind das die inneren psychischen Prozesse und Entwicklungen.

Ein anderer Schatten ist der, den Menschen an heißen Tagen aufsuchen. In der Hitze des Sommers ist der Schatten ein willkommener Ort, an dem es angenehm kühl ist. So erzählt der Koran die wunderbare Geschichte von Maryam, die vor der Hitze der Wüste in den Schatten einer Dattelpalme flüchtet, um dort ihren Sohn Isa zur Welt zu bringen. Beide kommen auch in der Bibel vor: Dort heißen sie Maria und Jesus.

Die Bibel erzählt die Geschichte anders, aber auch hier kommt ein Schatten vor: &bdquoDer Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten&ldquo (Lk 1, 35). Das sind die Worte, die der Engel Gabriel an Maria richtet, als er ihr verkündet, dass sie die Mutter Jesu wird. Eine Szene, bei der uns unser naturwissenschaftliches Denken in die Irre führt. In dieser Szene geht es nicht um Fortpflanzungsbiologie. Hier geht es um Heilsgeschichte. Gott wird Mensch aus Maria. Diese Aussage hat kein Interesse an biologischen Details. Es geht hier ausschließlich um eine Glaubensaussage: Gott kommt als einer von uns zu uns und bleibt dabei er selbst. In der Sprache der Theologie: Jesus ist "wahrer Mensch und wahrer Gott" und Maria ist "theotokos", das heißt Mutter Gottes. Keine Religion kennt eine solche Ungeheuerlichkeit. Die Bibel ist hier in echter Sprachnot. Wie soll sie das Unaussprechliche, ja Undenkbare ausdrücken? Sie verwendet dazu Bilder und Analogien. An dieser Stelle ist es das Bild des "Überschattens".
Das findet sich auch an anderen Stellen, vor allem in den Psalmen: "Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht" (Psalm 36,8; Psalm 57,2); "Wer im Schutz des Höchsten wohnt und ruht im Schatten des Allmächtigen" (Psalm 91,1) und sogar: "Der Herr ist Schatten in der Mittagshitze" (Sirach 34,19). Was ist mit all diesen Vergleichen gemeint? Welche Erfahrung wird hier angedeutet? In den Psalmen lässt sich das Bild leicht übersetzen: Hier bedeutet Schatten den Raum, in dem Gott da ist und die Menschen beschützt.

Wie ist es bei Maria? Bei ihr bedeutet "überschatten" mehr. Hier geht es nicht um Schutz. Hier geht es um ein Geschehen, das seine Einzelheiten für Außenstehende verbirgt und das nur verschwommene und unscharfe Konturen hat. Die Theologie nennt so etwas "mysterion", "Geheimnis". Das Bild des "Überschattens" bringt dieses Geheimnisvolle tiefgründig zum Ausdruck. Der Schatten als Raum des Verborgenen und des nur Erahnbaren. Was können wir Außenstehende in diesem Schatten erkennen? Doch nur, dass Gott Maria außergewöhnlich und unerklärbar nahe kommt, um das Außergewöhnliche zu bewirken: in ihr Mensch zu werden, ohne aufzuhören Gott zu sein.

Schatten und Licht: Schein und Sein 

Kraftlos und glücklos - ein Schatten ihrer selbst. So erscheinen in der griechischen Mythologie die Verstorbenen. Die Toten sind Schatten, die in einer Schattenwelt existieren. In der Totenwelt, dem Hades, gibt es keine Freude und kein Lachen, keine Zukunft und keine Entwicklung, sondern nur Trauer und Trübsal.

Der Philosoph Platon spricht auch von Schatten. In seinem berühmten Höhlengleichnis erzählt er von Menschen, die in einer Höhle leben. Am Eingang der Höhle ist ein Feuer, das die Gegenstände, die vor der Höhle und dem Feuer vorbeigetragen werden, als Schatten auf die Höhlenwand projiziert. Die drinnen sehen weder das Feuer noch die realen Dinge, sondern nur die Schatten. Platon stellt mit seinem Gleichnis eine philosophische Grundfrage: Was ist real, was ist wirklich? Seine Antwort: Wir Menschen sind wie die Höhlenbewohner, die nur den Schein, das Abbild wahrnehmen. Wir leben in einer Welt der Illusion! Das wahre Sein beziehungsweise die Urbilder sind die reinen Ideen, die wir Menschen nur schwer erkennen können.
Bereits Aristoteles hat die Ideenlehre seines Lehrers Platon scharf kritisiert und den Dingen ihre eigenständige Realität zurückgegeben. Trotzdem: Platons Grundgedanke lebt in der Denkgeschichte weiter. Die Frage nach Sein und Schein beschäftigt nicht nur Philosophen wie Immanuel Kant und Martin Heidegger, sondern in Zeiten des Virtuellen auch zum Beispiel die Brüder Andy und Larry Wachowski in ihrer Trilogie "Matrix".

Der "Erste Tag", Johannes und St. Martin 

Wer jemals Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" gehört hat, wird sich gut an den Anfang erinnern: Zunächst die Worte des Rezitativs, gesungen im geheimnisvollen Piano, dann plötzlich und ohne Vorbereitung das strahlende Forte des Chors mit dem einen Wort "Licht". Joseph Haydn ist hier mit seiner Komposition etwas Einmaliges gelungen. Er weckt eine Emotion, die den Hörer überwältigt und innerlich erhebt, hin zu dem kosmischen Ereignis, das die Musik beschreibt. Der Hörer wird (Ohren-)Zeuge des Schöpfungsmorgens! Der Text, den Haydn vertont, gehört zu den Texten in der Bibel, die am tiefsten missverstanden werden. Er ist ein Hymnus und kein Bericht, ein Liebesgedicht an den Schöpfer und keine naturwissenschaftliche Analyse. Das muss klar sein. Dann ist es auch kein Widerspruch, wenn Gott am ersten Tag das Licht und erst am vierten Tag die Sonne zusammen mit den anderen Himmelskörpern erschafft. Dann können die ungeheuren theologischen Aussagen dieses einmaligen Gedichts erst richtig wahrgenommen werden. Mit Blick auf das Licht heißt das: Gott erschafft das Licht und eröffnet damit für seine Schöpfung Ordnung in Zeit und Raum. Und zweitens: Das Licht ist nur eine Schöpfung Gottes, es ist selbst kein Gott.
Wenn es allerdings im 1. Johannesbrief heißt "Gott ist Licht" (1 Johannesbrief 1,5), dann ist das kein Widerspruch. Der Briefschreiber meint diese Aussage im übertragenen Sinn. Sie ist nur ein - analoger - Vergleich, nicht mehr. In diesem analogen Sinne heißt es im Johannesevangelium über Jesus: "Und das Licht leuchtet in der Finsternis" (Joh 1,5); "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt" (Joh 1,9); "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, ... wird das Licht des Lebens haben" (Joh 8,12; 9,5; 12,46). Schließlich überträgt die Bibel diesen Vergleich auf alle Christen: "Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts!" (Epheserbrief 5,8) und im Matthäusevangelium: "Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5,14). Dieses Wort steht Pate für die vielen Laternenumzüge am Fest des Heiligen Martin. Die Laternenträger werden hier buchstäblich zu kleinen Lichtern. Sie bringen das Licht "der Güte, Wahrheit und Gerechtigkeit" (Epheserbrief 5,9) in eine Welt, die bedroht ist von den Schatten der Finsternis.

Dr. Diana Güntner
Dr. theol. (Univ.), Dipl.-Sozialpäd. (FH), Dozentin für katholische Theologie/Religionspädagogik an der Fachakademie für Sozialpädagogik Rottenbuch/Bayern und freiberufliche Referentin. 

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

im kommenden Jahr ist es so weit: Vom 1. August 2013 an haben alle Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahrs einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Tageseinrichtung oder bei einer Tagespflegeperson. Das bedeutet einen fundamentalen Paradigmenwechsel: Es ist Ausdruck des politischen Willens in unserem Land, das Aufwachsen der nächsten Generation als gesellschaftliche Aufgabe zu betrachten und den Eltern echte Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Höchste Zeit, Politik für Kinder auf den Prüfstand zu stellen, Bilanz zu ziehen und Erkenntnisse aus den aktuellen wissenschaftlichen Debatten in den Blick zu nehmen.

Dabei schauen wir in diesem Heft zunächst zurück auf die vergangenen Jahre, um dann den Blick auf die Gegenwart und die nähere Zukunft zu richten: Was haben die Bildungspläne gebracht? Wie sind sie aus heutiger Sicht zu bewerten? Wer sind die Gewinner und Verlierer beim Kita-Ausbau für Kinder in den ersten drei Lebensjahren? Wie ist der aktuelle Ausbaustand in den einzelnen Bundesländern? Was bedeutet der Rechtsanspruch konkret? Wer hat worauf Anspruch und wer muss diesen Anspruch erfüllen? Worauf kommt es bei der Betreuung der Jüngsten an? Das sind nur einige der Fragen, die wir den Autoren dieser Ausgabe gestellt haben.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Ihre
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr.
Schreiben Sie uns: wdk@caritas.de

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband

Katholische Kindergärten während des Nationalsozialismus

Im Juni 2012 feiert der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse in der Geschichte des Verbands. Im Fokus dieser Ausgabe steht die Zeit zwischen 1933 und 1945, dargestellt von Thomas Schnabel.

Der Regierungsantritt Hitlers Anfang 1933 stellte die katholische Kirche und mit ihr das gesamte katholische Verbands- und Vereinswesen vor große Probleme. Bis dahin waren die "Irrlehren" des Nationalsozialismus, ebenso wie diejenigen des Kommunismus, Sozialismus und Liberalismus, erbittert bekämpft worden. Nun aber war aus dem bekämpften politischen und weltanschaulichen Gegner die führende Regierungspartei geworden.

Im Frühjahr und Sommer 1933 wurden zahlreiche politisch und in den Verbänden aktive Katholiken verfolgt, verhaftet und misshandelt. Kurie und Episkopat hofften jedoch durch den Abschluss eines Konkordats, das Hitler angeboten hatte, eine solide Rechtsgrundlage für das Weiterarbeiten von katholischer Kirche und katholischen Verbänden zu schaffen. Am 20. Juli 1933 wurde das bis heute umstrittene Reichskonkordat in Rom unterzeichnet, das in der Bundesrepublik immer noch Gültigkeit besitzt.

In den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Herr­schaft blieben die katholischen Kindergärten und Horte von Übergriffen weitgehend verschont, da die NSV (Nationalsozialistische Volks­wohlfahrt) die Caritas und deren Verbände, wie den Zentralverband katholischer Kindergärten, für die Bekämpfung der großen sozialen Not infolge der Weltwirtschaftskrise dringend benötigte und zu diesem Zeitpunkt weder personell noch finanziell in der Lage gewesen wäre, deren Aufgaben zu übernehmen.

Die NSV wird aktiv

Nachdem sich die Nationalsozialisten im Kindergartenbereich zunächst zurückgehalten hatten, wurden sie 1935 auch hier aktiv. Anfang des Jahres teilte zum Beispiel die NSV im Gau Köln-Aachen mit, dass man Anregungen aus Kreisen der Bevölkerung aufgreifen und NS-Kindergärten gründen werde. Man wolle damit die Möglichkeit schaffen, "schon die Kleinsten im nationalsozialistischen Geiste zu betreuen". Allerdings sollten die vorhandenen Kindergärten nicht verdrängt werden. Zu diesem Zeitpunkt herrschte unter den Diözesancaritasverbänden jedoch schon eine erhebliche Skepsis gegenüber den Absichten der Nationalsozialisten, da sich die NSV in der Praxis nie an Abmachungen halte. Im Oktober 1935 wandte sich der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, erstmals an staatliche Stellen, um gegen die Behinderung der katholischen Kindergärten zu protestieren.

Vor zentralen staatlichen Regelungen bei konfessionellen Kindergärten wie auch bei anderen kirchlichen Einrich­tungen scheuten die Nationalsozialisten zurück, da diese gegen gesetzliche Bestimmungen oder das Reichskonkordat verstoßen hätten. Deshalb wurden Maßnahmen gegen konfessionelle Einrichtungen zuerst auf kommunaler, gelegentlich auch auf regionaler Ebene erprobt. Gab es energische Proteste oder entschiedenen Widerstand, konnten sich die zentralen Stellen davon distanzieren und als Kompetenzüberschreitung unterer Behörden bezeichnen. Stieß die NS-Entscheidung dagegen auf wenig Widerstand, konnte sie gefahrlos auf ein immer größeres Gebiet ausgedehnt werden. Fast alle gegen katholische Kindergärten gerichteten Beschlüsse gingen von einzelnen Ländern oder Provinzen aus. Selbst in den Ländern gab es noch unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Städten und Gemeinden.

Eine Konsequenz allerdings hatte der nationalsozialistische Druck für die katholischen Kindergärten: Da die Genehmigung nur widerruflich erteilt war, konnte sie vom Jugend- oder Gesundheitsamt bei Beanstan­dungen jederzeit zurückgenommen werden. "Wir müssen uns", so der Zentralverband, "bewusst sein, dass an unsere Einrichtungen heute der strengste Maßstab angelegt wird, und können uns aus diesem Grunde schon nicht leisten, dass notwendige Verbesserungen auf spätere Zeiten verschoben werden." Dazu wurde, zum Beispiel in Württemberg, eine stärkere Zusammenarbeit mit allen Kindergartenleiterinnen angestrebt. Auf regelmäßigen Bezirkstreffen wurden die Schwestern, die zumeist die Einrichtungen leiteten, über Kindergartenfragen der Zeit aufgeklärt. Man informierte sie über die Maßnahmen von Staat und NSDAP auf dem Gebiet der Kleinkinderziehung und zeigte die Mängel in den eigenen Einrichtungen sowie Mittel und Wege zu deren Beseitigung auf. "Da und dort ist es auch nötig, dass man die Kindergärtnerinnen ermutigt zu frohem und zuversichtlichem Weiterschaffen."

Trotz der von zentralen nationalsozialistischen Stellen immer wieder abgegebenen Erklärung, dass an eine Beseitigung der konfessionellen Kindergärten nicht gedacht sei, wuchsen die Zweifel auf katholischer Seite und man begann, die Eltern zu mobilisieren. Anfang 1937 gab der Caritasverband eine Predigtskizze unter dem Titel "Gottes Sonne unsern Kindern!" in mehreren hunderttausend Exemplaren heraus. Darin polemisierte man heftig gegen die sogenannte Entkonfessionalisierung der Kindergärten, und nationalsozialistische Vorstellungen wurden scharf kritisiert. Deshalb beschlagnahmte die Gestapo die gesamte Auflage. Erst nach einer persönlichen Intervention des Vorsitzenden des Caritasverbands, Prälat Kreutz, bei der Gestapo wurde die Beschlagnahme wieder aufgehoben. Allerdings musste eine besonders kritische Stelle gestrichen werden.

Ausbau staatlicher Kindergärten

Ebenfalls Anfang 1937 bekamen die Kindergärten auch im Rahmen der allgemeinen politischen Ziele des Dritten Reichs eine zunehmende Bedeutung. "Der verstärkte Einsatz der Frauen in Industrie und Landarbeit", so ein internes Rundschreiben des Hauptamts für Volkswohlfahrt, "(...) und allgemein politische Gesichtspunkte erfordern den starken Ausbau der Kindertagesstätten." In den Industriegebieten sollten neben Dauerkindergärten, Horten, Liege- und Laufkrippen eventuell sogar Tages- und Nachtheime für Kleinkinder und Säuglinge eingerichtet werden. Der staatliche Ausbau der Kindergärten im Dritten Reich erfolgte also nicht aus sozialen oder pädagogischen Gründen, sondern ausschließlich wegen der rüstungspolitischen Ziele des Regimes: Es fehlten Arbeitskräfte.

Der schnelle Ausbau der NSV-Kindergärten ging zwangsläufig auf Kosten der Qualität. Sie genossen aufgrund des häufigen Wechsels der Leiterinnen und deren mangelnder Vorbildung kein allzu großes Ansehen bei den Müttern. "Die Kindergartenarbeit wird dann durch mancherlei Anzeichen wieder mehr Bewahr- und Lernschule." Allerdings mussten sich auch die katholischen Kindergärten den gewandelten Anforderungen anpassen, und zwar in besonderem Maße: "Was bei der NSV eine Kann-Leistung ist, das müssen Sie haben", so ein Medizinalrat in Düsseldorf.

Der Kriegsausbruch verschärfte zunächst die Probleme. Am 19. November 1940 unterbanden die Nationalsozialisten weitgehend die Gewinnung von Nachwuchskräften für die katholischen Kindergärten, indem sie den Eintritt in Orden und Klöster verboten. Ende des Jahres begann die Ausschaltung der konfessionellen Kindergärten auf Länder- beziehungsweise Gauebene. Den Anfang machte Thüringen, wo zum 31. Dezember 1940 die NSV alle konfessionellen Kindergärten übernahm. Wenige Wochen später folgte Sachsen. Es war sicher kein Zufall, dass die große Verbotswelle in Thüringen und Sachsen einsetzte. Dort befanden sich die Katholiken in der Diaspora und unterhielten nur wenige Kindergärten. Die evangelischen Landeskirchen wurden von NS-freundlichen Protestanten geleitet. Unter diesen Umständen war kein entschiedener Protest gegen die Schließungen zu erwarten.

Dies sah im Westen Deutschlands, wo die nächsten Schließungsaktionen stattfanden, anders aus. Grundlage der Maßnahmen war ein vom Reichsinnenminister und dem Stellvertreter Hitlers gemeinsam herausgegebener Runderlass vom 21. März 1941, wonach "die Betreuung der Kinder in den Kindertagesstätten der NSV im Rahmen der allgemeinen Menschenführungsaufgabe der Partei obliegt und (...) daher die Übernahme der nicht von den Gemeinden betriebenen Kindertagesstätten ausschließlich Aufgabe der NSV ist".

Allerdings kam es zu keiner reichsweiten Beschlagnahmung der katholischen Kindergärten, zumal sich lebhafter Widerstand bei den Müttern erhob, vor allem im Regierungsbezirk Köln. Ebenso protestierten die katholischen Bischöfe scharf gegen die ersten Aktionen. Dieser zunehmende Widerstand, wahrscheinlich auch die durch den Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 veränderte Kriegslage, veranlassten Hitler, bereits Ende Juli die Aktion gegen die katholischen Einrichtungen wieder abzublasen.

Proteste der Mütter

Im Herbst 1941 musste die NSV ihren Versuch, alle konfessionellen Kindergärten zu übernehmen, aufgeben. Maßgeblichen Anteil an diesem teilweisen Fehlschlag hatten die Mütter. Zwar wurde vereinzelt, zum Beispiel aus Niederschlesien, von der NS-Frauenschaft berichtet, man habe sich an die NSV-Kindergärten als Selbstverständlichkeit gewöhnt. In anderen Gebieten war jedoch von einer starken Beunruhigung der Frauen die Rede. Die lebhaften Proteste der Mütter in Köln führten sogar dazu, dass im benachbarten Regierungsbezirk Düsseldorf die Vorbereitungen zur Übernahme der konfessionellen Kindergärten durch die NSV unter Hinweis auf die Kölner Vorfälle abgebrochen wurden.

Die Gründe für dieses mutige Verhalten vieler katholischer Mütter waren zum einen die enge Bindung an die Kirche, vor allem in kleineren Städten und auf dem Land, zum anderen aber auch die Zufriedenheit mit den katholischen Kindergärten. Dazu kam eine in kirchlichen Fragen kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Auch die Intensivierung der Elternarbeit, die vom Zentralverband katholischer Kindergärten verstärkt seit Beginn des Dritten Reichs propagiert worden war, mag eine Rolle gespielt haben.

Insgesamt wurden circa 1100 der ursprünglich etwa 4300 katholischen Kindergärten und Horte von der NSV übernommen, und zwar in den Ländern Sachsen und Thüringen sowie in den preußischen Provinzen beziehungsweise Regierungsbezirken Niederschle­sien, Hessen, Aachen, Köln und Trier. In den übrigen Gebieten gingen fast nur die Kindergärten in kommunaler Trägerschaft verloren. Der Zentralverband in Köln konnte bis Kriegsende relativ ungestört weiterarbeiten.

Allerdings gab man sich auf katholischer Seite keinen Illusionen hin: Die Auflösung der katholischen Einrichtungen war nur auf die Zeit nach dem erwarteten "Endsieg" verschoben worden. Als dieser 1942/43 in immer weitere Ferne rückte, litten auch die katholischen Kindergärten zunehmend unter den allgemeinen Kriegsbelastungen wie den ständig zunehmenden Luftangriffen oder der sich verschlechternden Ernährungslage.

Wichtig für das Überleben der katholischen Kindergärten im Dritten Reich war der enge Kontakt, der zwischen den einzelnen Einrichtungen und dem Zentralverband unterhalten wurde. Bis zum Verbot 1940 geschah dies vor allem durch die Zeitschrift "Kinderheim", danach durch persönliche Kontakte oder Rundbriefe. Selbst am Ende des Krieges, Mitte November 1944, verschickte der Vorsitzende des Zentralverbands, Prälat Lenné, noch einen Gruß an alle Verbandsmitglieder. Darin forderte er sie auf, zu Gott zu beten, um dem verderblichen Krieg ein Ende zu bereiten. Außerdem sollte jeder mit seiner Liebe gerade da ansetzen, wo Hass und Völkerfeindschaft so schreckliche Verwüstungen angerichtet hätten. Damit waren auch bereits die Aufgaben für die Zeit nach dem kurz bevorstehenden Kriegsende benannt.

Dr. Thomas Schnabel
Historiker, Leiter des Hauses der Geschichte in Stuttgart.

Standpunkt

Runter vom hohen Ross!

Von angesäuert bis entsetzt reichten im Juni die Reaktionen in der Fachszene auf den Vorschlag von Ursula von der Leyen, Arbeitslosen die Möglichkeit zu eröffnen, in Kindertageseinrichtungen zu arbeiten. Als Kristina Schröder dann die Schleckerfrauen ins Spiel brachte, war der Aufschrei in den Medien mehr als groß: "Diese Vorstöße beleidigen Erzieherinnen und Erzieher", "Offensichtlich gehen Politiker davon aus, Kita könne jede und jeder", "Qualitätsstandards werden gesenkt, das Qualifikationsniveau nach unten geschraubt" - so war es zu hören und zu lesen.

Eine schlechte, wenn nicht gar skandalöse Idee der beiden Politikerinnen, um das Problem mit dem Fachkräftebedarf zu lösen? Auf keinen Fall. Weder die amtierende Arbeitsministerin, noch unsere Familienministerin sind bei ihrem Vorstoß davon ausgegangen, Arbeitslose unqualifiziert in die Kindertageseinrichtungen zu schicken. So gesehen sind vielmehr die Reaktionen auf diesen Vorstoß nicht gerade vorbildlich. Was es da zu hören gab, ist schlichtweg unverschämt, diffamierend und wenig respektvoll gegenüber Menschen, die beruflich keine Perspektive haben.

Angemessener wäre es, die Diskussion über Hartz-IV-Bezieher und Schleckerfrauen respektvoll, differenziert und qualitätsorientiert zu führen. Respektvoll gegenüber Arbeitslosen, denen wir nicht grundsätzlich die Fähigkeit absprechen können, mit Kindern gut und einfühlsam zu arbeiten. Differenziert, wenn es darum geht, kluge Lösungen für alternative Qualifizierungsformen zu finden. Qualitätsorientiert in dem Sinne, keine Abstriche bei den Standards in unseren Kindertageseinrichtungen zu akzeptieren. Es geht in der Debatte um die berufliche Weiterentwicklung von arbeitslosen Menschen und nicht darum, billige und pädagogisch nicht ausgebildete Lückenbüßer einzusetzen.

"Multiprofessionelle Teams, in denen auch Menschen arbeiten, die einen anderen Erstberuf erlernt haben, können eine Bereicherung für den Kita-Alltag sein."

Multiprofessionelle Teams, in denen auch Menschen arbeiten, die einen anderen Erstberuf erlernt haben, können eine Bereicherung für den Kita-Alltag sein. Dies setzt voraus, dass wir Eignungskriterien definieren, die zu erfüllen sind. Dazu gehören beispielsweise Kompetenzen wie die Fähigkeit, einfühlsam zu sein, geduldig, zuverlässig, belastbar, kommunikativ und kreativ, ebenso wie im Team arbeiten zu können und sich wertschätzend anderen gegenüber zu verhalten. Auf diesen Begabungen aufbauend brauchen wir flächendeckende Qualifizierungsangebote, bei denen Vorkenntnisse angerechnet werden und die ein Nebeneinander von Schule und Praxis ermöglichen.

Alles in allem geht es aber nicht nur um die Frage, wie wir arbeitslose Frauen und Männer weiterqualifizieren können. Es geht auch darum, wie wir die beruflichen Voraussetzungen für Erzieherinnen wertschätzend gestalten. Befristete Arbeitsverträge sind ebenso wenig respektvoll wie zu lange Bewerbungsverfahren oder die vorhandene Kluft zwischen der Bedeutung von Kindertageseinrichtungen und den herrschenden Rahmenbedingungen. Damit sind nicht nur Gruppengrößen oder zu geringe Verfügungszeiten gemeint. Es fehlt auch an gesundheitsfördernden Konzepten, an Ideen für einen altersgerechten Arbeitsplatz "Kindertageseinrichtung". Kurz gesagt: Allesamt Voraussetzungen, die aus Respekt vor den Leistungen von Erzieherinnen formuliert werden, die diese Wertschätzung auch erwarten. Arbeitslose Menschen übrigens auch.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

Titelthema

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesem Heft ist alles anders! Sie fragen sich warum? Nun, Grund ist das 100-jährige Jubiläum des KTK-Bundesverbands, das wir am 19. und 20. Juni 2012 unter dem Motto "Zeit und Raum für Kinder" auf dem Messegelände in Köln gefeiert haben. Zwei Tage mit spannenden Diskussionen, aufschlussreichen Vorträgen, unterhaltsamen Zwischentönen, künstlerischen Intermezzos, interessanten Gesprächen und Begegnungen. "Eine überaus abwechslungsreiche Veranstaltung, die Vorträge waren sehr informativ und die kulturellen Beiträge ein Genuss", so hat es eine Teilnehmerin formuliert.

Für alle, die nicht dabei sein konnten, und für die Teilnehmer, die das Erlebte noch einmal Revue passieren lassen und das eine oder andere nachlesen möchten, haben wir die wichtigsten Beiträge der Veranstaltung in diesem Heft zusammengestellt. Und in der kommenden Ausgabe Ihrer "Welt des Kindes" mit dem Titelthema "Auf Augenhöhe: Kindern respektvoll begegnen" finden Sie wieder die gewohnten Rubriken und Heftelemente - versprochen.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Ihre 
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr. Schreiben Sie uns:
wdk@caritas.de

Titelthema

Verflixte Situation - oder: Was um Himmels Willen ist eine Schlüsselsituation?

Der Situationsansatz hatte in seiner Entstehungsgeschichte Anfang der 1970er Jahre genau eins im Blick: das je individuelle Erleben eines Kindes, seiner Familie, seiner Nachbarschaften und auch das individuelle Erleben von Erzieherinnen mit dem vielfältigen Geschehen in der Welt zu verbinden. Dieser Blick auf das Eingebundensein des Individuums in seine komplexe soziale, historisch und kulturell geprägte Lebenswelt war von vorneherein verknüpft mit einer Kritik an rein individualpsychologischen Theorien über die "normale" Entwicklung eines Kindes und daraus abgeleiteten pädagogischen Förderprogrammen.

Erinnern wir uns an die Geburtsstunden der ersten Kindergartenreform in der westlichen Bundesrepublik nach dem "Sputnik-Schock" und der damit einhergehenden Feststellung der "Bildungskatastrophe". Damals (wie heute nach dem PISA-Schock) bestand Einigkeit, dass Bildung und Erziehung in den ersten Lebensjahren entscheidend für den gesamten weiteren Lebensverlauf eines Menschen sind. Und es entstand ein heftiger Wettbewerb zwischen Experten unterschiedlicher Disziplinen, wie die "Begabungsreserven" vor allem der Kinder aus der "Unterschicht" am besten gefördert werden könnten. Sogenannte "kompensatorische Förderprogramme" entstanden, etwa zum Wortschatzerwerb durch eine Unzahl von Arbeitsblättern für Vorschulkinder, zum frühen Leselernen mittels einer Leselernmaschine ...

Das subjektive Erleben der Kinder spielte bei diesen Debatten keine Rolle. Es ging darum, wie aus möglichst vielen von ihnen gute Schüler "gemacht" werden können. Die Ziele waren vom Schulsystem vorgegeben - ohne dass dieses selbst je in Frage gestellt worden wäre.

Der Situationsansatz erhob hier Einspruch und warf sehr grundsätzliche Fragen auf: 
- Welche Gesellschaft braucht welche Kinder für ein glückliches und gelingendes Aufwachsen? Und wie kann pädagogische Arbeit dazu beitragen, Lebenssituationen für Kinder und ihre Familien zu verbessern?
- Welche Kompetenzen brauchen Kinder und die mit ihnen lebenden und arbeitenden Erwachsenen, um sich in ihrer Gesellschaft aktiv an Veränderungen beteiligen und ihre eigenen und die Interessen der Gemeinschaft verfolgen zu können?

Damit hat der Situationsansatz als pädagogisches Konzept den Anspruch erhoben, dass Arbeit mit Kindern ein zutiefst politisches Anliegen ist und eng verbunden mit der Forderung nach Demokratisierung.

Und was ist nun eine Schlüsselsituation?

Zugegeben: Der Begriff "Situation" bleibt mehrdeutig und ist theoretisch wie praktisch nicht leicht zu fassen. Und doch benutzen wir ihn alle im privaten und beruflichen Leben häufig, um zu bezeichnen, wie wir uns in unserer Welt aktuell erleben und empfinden:
- "Das ist eine wirkliche Glückssituation": Ich bin Teil eines Zusammenspiels von ganz unterschiedlichen Faktoren, an denen - neben mir selbst - ganz verschiedene Personen und Ereignisse beteiligt sind. Zu einem konkreten Zeitpunkt passt einfach alles gut zusammen. Hier entsteht Gewinn an Lebensqualität und eben Glück. Ein Grund zum Feiern und ein Zuwachs an Lebensfreude.
- "Dies ist eine der schwierigsten Situationen in meinem Leben": Ich bin von einem komplexen Ereignis in meinem Leben emotional sehr betroffen. Ich bin mit meinen Grenzen konfrontiert. Ich brauche Hilfe von anderen, Austausch und neue Strategien, um mein Leben zu bewältigen, weiter Hoffnung zu bewahren, mutig zu bleiben und nach vorne zu schauen.
- "In dieser Situation konnte ich einfach nicht anders handeln": Ich weiß vielleicht, dass das, was ich getan oder gesagt habe, nicht sonderlich klug und besonnen war. Ich war jedoch so erregt oder verängstigt, dass meine rationalen Überlegungen hinter meine sozialen und emotionalen Beweggründe zurückgetreten sind. Es war mir in dieser Situation extrem wichtig, meine innere Haltung zum Ausdruck zu bringen.

Diese drei kleinen Schilderungen machen vielleicht schon deutlicher, um welches Verständnis von "Situation" es uns im Situationsansatz geht. Wenn wir von Schlüsselsituationen reden, dann geht es um solche Situationen, die für die gesamte Person in ihrer biografischen Entwicklung von besonderer Bedeutung sind und ihr Leben prägen. Das können glücksbringende und hoffnungsvolle Situationen sein, solche, die extrem schwierig sind, weil sie existenzielle Fragen thematisieren, und es können Situationen sein, die uns mit Ambivalenzen - mit den Widersprüchen in uns selbst und in der Welt - konfrontieren.

In jedem Fall sind Schlüsselsituationen mit Herausforderungen und Aufforderungen verbunden, sich der eigenen Kräfte bewusst zu werden, die Gemeinsamkeit mit denen zu suchen, die ähnliche Erfahrungen machen, und Kompetenzen zu erwerben, die es ermöglichen, das eigene Leben in der Gemeinschaft mit anderen aktiv zu gestalten. Autonomie - Solidarität - Kompetenz: Das sind die Leitziele des Situationsansatzes.

Was Glückssituationen, existenziell schwierige Situationen und Ambivalenz-Situationen ausmacht, ist einerseits subjektiv und individuell verschieden und andererseits immer historisch und sozial-kulturell bestimmt. Deshalb geht es uns im Situationsansatz darum, die individuelle Perspektive der handelnden Kinder, Erzieherinnen und Eltern immer mit der Perspektive auf ihre realen Lebenssituationen zu verbinden. Das pädagogische Konzept verbindet damit die individuelle psychologische mit der gesellschaftlichen soziologischen Analyse.

Wer definiert, was eine Schlüsselsituation ist?

Letztendlich tun das die Erzieherinnen, die in der Kita mit den Kindern arbeiten. Je intensiver sie sich dabei mit anderen, vor allem den Eltern, beraten und ihre Beobachtungen in der Kindergemeinschaft zum Ausgangspunkt machen, umso eher wird ein Schuh daraus. Wichtig ist auch, dass Erzieherinnen mit offenen Augen, Ohren und Herzen die vielen Lebenswelten der Kinder wahrnehmen - und zwar nicht nur in der Kita, sondern gerade auch in deren nicht pädagogisch geregelten Realitäten.

Die Leitfragen sind: 
- Was kennzeichnet hier und heute das Leben von "unseren" Kindern und ihren Familien? 
- In welchen Situationen sind die Kinder glücklich und hoffnungsfroh, welche Situationen erleben sie als schwierig oder widersprüchlich? Und:
- Welche dieser Situationen sind geeignet, um sie mit den Kindern in der Kita so zu bearbeiten, dass die Kinder besser mit sich und ihrer Welt zurechtkommen und erfahren können, wie sie ihr Leben selbstbestimmt und gemeinsam mit anderen gestalten können?

Bei der Entscheidung, welche der vielen möglichen Schlüsselsituationen die Erzieherinnen für ihre pädagogische Planung auswählen, handelt es sich immer um einen wechselseitigen Prozess: Die Situation muss für die Kinder emotional und sozial bedeutsam sein, damit ihr Interesse (ihr In-der-Welt-sein) angesprochen und herausgefordert wird. Ebenso wichtig ist, dass den Erzieherinnen und Eltern die in der Situation liegenden Themen wichtig sind, sie sich selbst damit auseinandersetzen und mit und von den Kindern Neues erfahren und lernen wollen. Denn Bildung geschieht nur in Beziehungen, die von einem ernsthaften wechselseitigen Interesse geprägt sind - einseitige Belehrungen oder Bekehrungsversuche bleiben zumeist ohne die erwünschte Wirkung oder verkehren sich sogar ins Gegenteil. Dialoge kommen nur zustande, wenn alle daran Beteiligten Lust darauf haben, Neues zu erfahren und zu erleben.

Was tun, wenn Kinder keine Fragen stellen oder keine deutlichen Interessen äußern?

Von nix kommt nix! Fragen und Interessen entstehen eben erst im Dialog und werden in Beziehung lebendig und wach. Selbstverständlich gehört es zu den Aufgaben von Pädagoginnen, Situationen mit Kindern zu erkunden und zu erschließen, die für ihr Aufwachsen in dieser Gesellschaft wesentlich sind. Es ist im Situationsansatz nicht nur nicht verboten, sondern ausdrücklich gewünscht, dass Erzieherinnen aktiv sind und nicht nur auf Impulse der Kinder reagieren. Allerdings ist es von entscheidender Bedeutung, sehr genau darauf zu achten, ob und wie die einzelnen Kinder die Anregungen und Impulse an- und aufnehmen. Das genau ist ja die pädagogische Kunst: Interesse und Begeisterung an den wesentlichen Themen des Lebens lebendig zu halten und wachsen zu lassen.

Die Diskussion der letzten Jahre um das professionelle Selbstverständnis von Erzieherinnen als "Lernbegleiterinnen", als diejenigen, die sich eher zurücknehmen, die vor allem beobachten, analysieren und dokumentieren, betrachte ich äußerst ambivalent. Diese Rollenbeschreibung ist mir zu wenig. Selbstverständlich teile ich den damit verbundenen Fokus auf die aktive Rolle des Kindes und die Bedeutung seines subjektiven Erlebens. Selbstverständlich teile ich die damit verbundene Mahnung, Kinder nicht zu Objekten eines pädagogischen Machbarkeitswahnsinns zu machen.

Und doch sind die Erzieherinnen mehr als nur Begleiterinnen. Sie sind auch Anstiftende, Fördernde, Herausfordernde und auch Kritisierende. Das widerspricht nicht der Wertschätzung des Kindes, sondern unterstreicht und betont diese. Kinder ernst zu nehmen, erfordert, sie auch anzuspornen, sie herauszufordern und auf ihre eigenen Widersprüche anzusprechen. Entscheidend ist die Haltung, mit der dies geschieht: Nicht beschämen, nicht abwerten, nicht diskriminieren - sondern: ermutigen, stärken, unterstützen und dann eben auch zuverlässig begleiten, beobachten und dokumentieren, was das einzelne Kind an Erfahrung und Lebensglück gewinnt.

Wie können Schlüsselsituationen in der pädagogischen Praxis bearbeitet werden?

Kurze Antwort: im Alltag, im Spiel, in Projekten, in der Raumgestaltung und Materialauswahl.
In der Anfangsphase des Situationsansatzes stand die Projektarbeit im Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit. Die in den 1970er Jahren mit der Praxis entwickelten Didaktischen Einheiten - die "Gelben Ordner", wie sie in mancher Kita noch mehr oder weniger verstaubt zu finden sind -, waren und sind zum Teil auch heute noch eine Fundgrube für Projektideen.

Heute sind für uns die Gestaltung der vielen kleinen wiederkehrenden Situationen im Kita-Alltag - die Begrüßung, der Tagesbeginn in der Gemeinschaft, die Mahlzeiten, die Abschiedsrituale am Ende eines Kita-Tages - ebenso wichtig, um Schlüsselsituationen wie "Alle Kinder sind gleich und jedes Kind ist besonders" jeden Tag erlebbar werden zu lassen.

Das Spiel ist und bleibt und die wichtigste Aneignungstätigkeit von Kindern im Kita-Alter. Deshalb hat die Rolle der Erzieherinnen für das Spiel der Kinder für uns eine herausragende Bedeutung. Ich provoziere deshalb auch gerne eine Diskussion um den so häufig genutzten Begriff des "Freispiels":

Meine These: Das "Freispiel" heißt deshalb "Freispiel", weil die Erzieherinnen dann frei von den Kindern sind und all die Dinge tun können, für die sie sonst keine Zeit haben. Wenn das Spiel aber so wichtig für die Entwicklung der Kinder ist, dann ist es doch auch immens wichtig, dass die Erzieherinnen sehr wach, aufmerksam und aktiv daran mitwirken. Mitspielen, Spielimpulse geben, ohne das Spiel der Kinder zu dominieren - so können Themen aus Schlüsselsituationen auch ins Spielgeschehen integriert werden.

Spezifische Bibliotheks-, Medien- und Materialangebote können die eigenständige Auseinandersetzung der Kinder mit einer aktuell bearbeiteten Schlüsselsituation wirkungsvoll unterstützen. Kinder, Eltern, Großeltern und andere Interessierte aus der Umgebung sind oft gerne bereit, hier etwas beizusteuern.

Dr. Christa Preissing
Dipl.-Soziologin und Dr. der Philosophie ist Vizepräsidentin der Internationalen Akademie (INA) gGmbH an der Freien Universität Berlin und Direktorin im Institut für den Situationsansatz der Internationalen Akademie.

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband

Per Gesetz nicht existent - aber präsent

Dieses Jahr feiert der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse und Zeiträume in der Geschichte des Verbands. Sylvia Kroll befasst sich in dieser Ausgabe mit katholischen Kindergärten in der DDR

Für Kindergärten und Horte in freier beziehungsweise konfessionell gebundener Trägerschaft wurden in den einschlägigen Gesetzen der DDR keine ergänzenden Angaben gemacht. Denn der Kindergarten war für den Staat eine wesentliche Grundlage für die sozialistisch-kommunistische Gesellschaft. Darum geriet die katholische Kirche vor allem in diesem Bereich immer wieder in Bedrängnis, denn mit allen Mitteln wollte der Staat ein Wirken der Kirche im Bereich der Bildung und Erziehung verhindern. Deshalb waren im Sinne des Gesetzes katholische Kindergärten auch nicht existent, wohl aber präsent, und zwar mit hohem Ansehen. Wie war das möglich?1

Daseinsberechtigung im Umfeld von Zentralisierung und Ideologisierung

Dass auf dem Gebiet der späteren DDR katholische Kindergärten existierten, liegt zum einen in dem Beschluss der Potsdamer Konferenz von 1945 begründet, nachdem die Kirchen ungehindert ihre Aufgaben ausführen durften. Da die UdSSR Mitunterzeichner war, galt dies auch für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Eine andere Grundlage waren die Zusicherungen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) nach 1945 sowie deren Unterstützung, ehemalige katholische, von den Nationalsozialisten geschlossene Einrichtungen wieder zu eröffnen, vor allem um die Kinder von der Straße zu holen.

Jedoch war von Anfang an das politische und gesellschaftliche Umfeld durch zentral gesteuerte Staatswirtschaft und politische Diktatur geprägt, was sich auch im gesamten Erziehungs- und Bildungsbereich zeigte. Schon unmittelbar nach Kriegsende kam es zu einer ersten Konfrontation der Kirche mit der SMAD durch den Befehl Nr. 225. Dieser verlangte, dass sämtliche Zuständigkeit aller das Personal betreffenden Fragen zu zentralisieren seien, unabhängig davon, von wem die Einrichtungen unterhalten wurden. Damit sollten auch private und kirchliche Träger unter zentrale Kontrolle gestellt werden. Zwar sollte der Bestand freier Träger gesichert werden, aber die Gründung neuer Kindereinrichtungen durch Privatpersonen wurde verboten.

Bereits mit dem ersten, 1946 in der SBZ in Kraft gesetzten Schulgesetz wurde der Kindergarten in das "Volksbildungswesen" eingegliedert und hervorgehoben, dass sich die Aufgaben aus den gesellschaftlichen Bedürfnissen ableiten, die ideologisch begründet waren. Mit Inkrafttreten der ersten Verfassung der DDR wurde 1949 dann endgültig auch die Trägerstruktur von Einrichtungen im Vorschulbereich (verfassungsmäßig) festgeschrieben: Der Staat hatte die Erziehung in den Kindergärten zu übernehmen, die religiöse Erziehung der Kinder blieb dem Elternhaus überlassen. Der evangelischen und katholischen Kirchenverwaltung wurde gestattet, bestehende Kindergärten weiterhin zu führen. Die Einrichtung neuer privater Erziehungsstätten wurde untersagt.

Es ist im Nachhinein bemerkenswert, dass trotz der täglichen ideologischen "Infiltrierung" der katholische Kindergarten über all die Jahre hinweg eine Oase bleiben konnte. Denn mit dem Schulgesetz wurde die Einbindung des Kindergartens in das staatliche Bildungssystem vollzogen und die spezifischen Aufgaben beschrieben: Hauptaufgabe der Bildung und Erziehung im Kindergarten ist die Vorbereitung der Kinder auf die Schule und die Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit. Die Fachkräfte in den Kindergärten haben sich in ihrem Handeln an einem staatlichen Bildungs- und Erziehungsplan zu orientieren.

Auch wenn die pädagogische Praxis möglicherweise bemüht war, die Arbeit so zu gestalten, dass der Eigenwert des Kindes und sein Alter berücksichtigt wurden: Die Bindung von Erziehungsaufgaben an parteipolitische Vorstellungen führte dazu, dass das Verhältnis zwischen Förderung der Individualität und dem Ziel kollektiver Erziehung, zwischen Kreativität und verordneter Beschäftigung zuungunsten der Individualität und Kreativität verschoben wurde. Wie konnten auf einer solchen Grundlage katholische Kindergärten legitimiert werden?

Sendungsauftrag der Kirche 

Da es durch den Staat DDR für den katholischen Kindergarten keine Legitimation gab, konnte die Begründung dafür einzig und allein aus dem Selbstverständnis der katholischen Kirche abgeleitet werden. Die Aufgabe des katholischen Kindergartens als ergänzende Einrichtung der Familie, wie von den Bischöfen auf ihrer Plenarkonferenz in Fulda 1952 vertreten, konnte für die Kindergärten in der DDR explizit so nicht formuliert werden, zumal die Bischöfe in ihrer Aussage noch weiter gingen: "Wir lehnen (...) die Bestrebungen ab, die durch den Kindergarten den Eltern die Verantwortung für die Pflege und Erziehung des Kindes abnehmen und diesen an die Stelle ihres ureigensten Dienstes am Kind stellen wollen." (Kroll 1998, S. 196)

Genau das war aber Ziel des Staates DDR. Also musste die katholische Kirche, zum einen begründet im Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und zum anderen in Sorge um ihre Wirkfreiheit, den primären kirchlichen Auftrag nach außen hin deutlich machen: Es geht beim katholischen Kindergarten in der DDR um einen umfassenden Sendungsauftrag der Kirche, wo Kindern religiöses Leben grundgelegt und christliches Glaubensgut verkündet wird2.

Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Kirche wurde nach außen hin nicht thematisiert. Darum ist auch verständlich - jedoch nicht für alle nachvollziehbar - gewesen, warum auf kirchlichen öffentlichen Großveranstaltungen, wie beispielsweise dem Katholikentreffen 1987 in Dresden (vgl. Abb. 1), eine Werbung für katholische Kindergärten ausblieb.

Im DDR-Vergleich eine kleine Zahl

1945/46 gab es auf dem Gebiet der späteren DDR insgesamt 142 katholische Kindergärten. Diese Zahl hat sich über 40 Jahre DDR nur geringfügig geändert. Zur Zeit der SBZ wurden von diesen 142 unmittelbar nach Kriegsende 111 wieder eröffnet; hierbei handelte es sich um jene Kindergärten, die von den Nationalsozialisten geschlossen worden waren. Zwischen 1945 und 1952 konnten zusätzlich 34 Kindergärten neu eröffnet werden, so dass 1952 insgesamt 145 katholische Kindergärten registriert werden konnten. Im Jahr 1986 waren es dann 142 katholische im Verhältnis zu 13150 staatlichen Kindergärten.

Überleben auf der Grundlage partnerschaftlicher West-Ost-Beziehungen

Die West-Ost-Zusammenarbeit, die nicht nur auf finanzieller Basis beruhte, gab der katholischen Kirche die Möglichkeit, ihre Aufgaben frei von jeglicher ideologischer Fixierung zu erfüllen. Das ist zu einem großen Teil der Caritas in der Bundesrepublik zu verdanken. Jede Diözesancaritas in der DDR hatte in der Regel drei westdeutsche Diözesancaritasverbände als "Patenverbände". Dieser Patenschaftsmodus wurde auch für die einzelnen kirchlichen Einrichtungen gestaltet, so dass jeder katholische Kindergarten mindestens eine Patenschaftseinrichtung im Westen hatte. Die Aus-, Fort- und Weiterbildungsarbeit wurde wesentlich durch westliche Referenten der Caritas, des KTK oder der kirchlichen Aus- und Fortbildungsstätten in der Bundesrepublik geleistet. Deshalb wurden in katholischen Kindergärten in der DDR ähnliche pädagogische Konzepte wie in der Bundesrepublik praktiziert, wie beispielsweise das Handeln nach dem Situationsansatz oder ein Leben in altersgemischten Gruppen.

Die fachlichen Akteure

Die 142 katholischen Kindergärten wurden zu Beginn der DDR-Zeit hauptsächlich von Ordensschwestern geleitet. Lediglich 11 Kindergärten standen unter der Leitung von sogenannten "Laien-Kindergärtnerinnen". Dieses Bild wandelte sich von Jahr zu Jahr, 1987 war das Verhältnis 34 Ordensschwestern zu 108 Laienkräften.

Während Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre vor allem Helferinnen ohne Ausbildung die erzieherische Arbeit in den Kindergärten leisteten, veränderte sich auch dies im Lauf der Jahre. So waren 1987 etwa 600 fachlich ausgebildete Mitarbeiterinnen wie Kindergärtnerin/Erzieherin, Kinderpflegerin, Gruppenerzieherin - jeweils mit dem Zusatz "im kirchlichen Dienst" -, sowie 20 Jahrespraktikantinnen und nur etwa 75 Helferinnen ohne Fachausbildung in den katholischen Kindergärten tätig.

Ausbildung und Qualifikation

Da auf dem Gebiet der SBZ/DDR keine katholischen pädagogischen Ausbildungsstätten lagen, mussten neue Wege beschritten werden. Hier war die Hauptvertretung Berlin des Deutschen Caritasverbands, später gemeinsam mit seiner 1951 errichteten Zweigstelle in Ost-Berlin, der späteren Zentralstelle Berlin, die zentrale "Initiativstelle" und "Gestalterin" - auch für die vielen Fort- und Weiterbildungen. So wurden circa 1450 Kindergärtnerinnen/Erzieherinnen im kirchlichen Dienst ausgebildet. Alle Abschlüsse hatten keine Berechtigung für einen Dienst in staatlichen Kindergärten.

Der Alltag - ein Spagat der Hoffnung

Bis 1960 konnte der katholische Kindergarten fast reibungslos seine Arbeit fortführen, was von kirchlicher Seite damit begründet wurde, dass es den staatlichen Stellen bisher nicht gelungen war, "so viel neue Kindergärten zu bauen, dass diese kirchlichen Erziehungsstätten überflüssig wurden" (Kroll 1998, S. 195). Nach dem Mauerbau änderte sich das, ging man staatlicherseits doch möglicherweise davon aus, dass die Kirche aufgrund fehlender Ausbildungsstätten auf dem Gebiet der DDR bald keine Fachkräfte mehr haben würde3.

In den 80er Jahren wurde durch die staatliche Hygiene mit Androhung von Schließung Druck auf die Kirche ausgeübt, was eine zunehmende Bautätigkeit in den Einrichtungen zur Folge hatte. Durch die strikte Einhaltung des Prinzips der Trennung von Kirche und Staat und das Auftreten der Kirche als Ganzheit (kirchliche Caritas) war der Alltag im katholischen Kindergarten in der DDR weniger durch einen Kampf im Großen als vielmehr durch einen ständigen Zerreißproben-Kampf im Kleinen gekennzeichnet. Verschiedenartige Probleme und Fragen stellten sich, beispielsweise: Wie sieht die Deutung von Erlebnissen aus, wenn der Deutungsrahmen der Eltern ein anderer ist als der im katholischen Kindergarten? Wie kommen Elemente der Verkündigung und Ausdrucksweisen christlichen Glaubens im Leben solcher Kinder zum Tragen, deren Eltern nie zu Hause mit ihnen beten?

In der Regel wurden Eltern, die der Kirche fernstanden, auf den Auftrag und das Selbstverständnis des katholischen Kindergartens hingewiesen, gleichzeitig auch auf mögliche damit verbundene Konflikte für ihre Kinder. In manchen Gemeinden konnte davon ausgegangen werden, dass sich im katholischen Kindergarten die Kinder der Gemeinde sammeln. Andererseits war die Zahl der Kinder aus Familien, die der Kirche nicht angehörten, sehr groß - in manchen Einrichtungen 50 Prozent und mehr.

Im täglichen Kindergartengeschehen wurde versucht, Formen gemeinsamer Erlebnisse zu finden, die die Deutung vom Evangelium her ermöglichen. So wurde beispielsweise der "Morgenkreis" zum gemeinsamen Tagesbeginn, in dem das Beten mit den Kindern einen festen Platz hatte.

Resümee

Die Effektivität der Arbeit in katholischen Kindergärten in der DDR war schwer messbar - weder an der Zahl der Kinder, die dann den Religionsunterricht besuchten, noch an Aktivitäten der Eltern über die Kindergartenarbeit ihrer Kinder hinaus - es blieb die Hoffnung, dass positive Erfahrungen in den ersten Lebensjahren eine wesentliche Grundlage für die spätere Lebensbewältigung sind. Mehrheitlich agierten die Mitarbeiter im kirchlichen Dienst in einem geschützten Raum (Kirche), abgegrenzt von staatlicher Bevormundung und Vereinnahmung, in der ein partnerschaftliches Miteinander die Grundlage war: Dies war eine tragende Basis für die Alltagsarbeit vor Ort. Zur Wahrheit gehört, dass der Weg hätte noch schlechter werden können, aber er hat zum Ziel geführt, auch dann, wenn es gelegentlich anders zu sein schien: Der katholische Kindergarten in der DDR - ein lohnender Ort.

Prof. Dr. Sylvia Kroll
Erzieherin im kirchlichen Dienst in der DDR; Dipl.-Psych.; Dr. phil.; seit 1991 Lehrende an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin.

Anmerkungen

1 Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf meine Studie: Kroll, Sylvia (1998): Kirchlich-caritative Ausbildung in der DDR. Entwicklung im Aufgabenbereich Kinder- und Jugendhilfe, Freiburg. Vergleiche hierzu auch: Kösters, Christoph (Hrsg.) (2001): Caritas in der SBZ/ DDR 1945-1989. Erinnerungen, Berichte, Forschungen, Schönigh: Paderborn, München, Wien, Zürich.
2 Vgl. Kindergartenordnung für den Bereich der Diözesancaritas Erfurt vom 15.9.1986.
3 Dem war aber nicht so. Zur Entwicklungsgeschichte der beiden kirchlichen Erzieherinnen-Ausbildungsstätten (Michendorf und Erfurt) in der DDR vgl. Kroll, 1998.

 

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, 

geht es Ihnen auch so? Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann fallen mir vor allem Szenen unter freiem Himmel ein - im Garten, auf der Wiese, im Hof, in den Feldern, im Wald, am Bach. Unermüdlich haben wir Kinder Steine gesammelt und ins Wasser geworfen, Staudämme gebaut, Tunnel gegraben, selbst gebaute Schiffe zu Wasser gelassen. Wir sind auf Bäume geklettert, haben Kirschen genascht, Blumenkränze gewoben, Regenwürmer untersucht, Käfer beobachtet, dem Gesang der Vögel gelauscht. Jeden Tag gab es draußen etwas Neues zu entdecken, neue Abenteuer zu erleben.

Anscheinend sind Erfahrungen im Freien, wo Kinder ihren Bewegungsdrang und ihren Forschergeist ohne räumliche Grenzen ausleben können, besonders einprägsam. Heute ist der Aufenthalt im freien Gelände für Kinder jedoch oft nur eingeschränkt möglich. Das hohe Verkehrsaufkommen in unseren Städten und auch in den Dörfern verhindert, dass Kinder ihre unmittelbare Umgebung selbstständig entdecken und erobern können. Auch die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Krippen, Kindergärten und Horten findet zu einem großen Teil in geschlossenen Räumen statt. Dabei warten draußen unerschlossene Spiel- und Lernräume, ein unermessliches Bildungsreservoir darauf, entdeckt zu werden - im Wohnumfeld, im Stadtteil, in der weiteren Umgebung, in den Wiesen, Wäldern, Seen, Bächen ...

Ihre
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr. Schreiben Sie uns:
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Warum Lernerfahrungen draußen wichtig sind

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Alles eine Frage der Perspektive
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Pit Brüssel, Klaus von Mirbach
Das da draußen könnten wir sein ...
Die wilden Ideen zweier Kita-Künstler

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Mittagessen des pädagogischen Personals in der Kita

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Frauke Hildebrandt, Christa Preissing
Kindern respektvoll begegnen - gemeinsam nachdenken
Wie anregende Interaktion gelingt

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Kinder verstehen und achten
Ein Bericht aus der Praxis

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Kita-Alltag unter der Lupe

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Tingatinga-Malerei

Kölner Memorandum

Die Verantwortung des KTK-Bundesverbands: 
Das Kölner Memorandum 

Der Geschäftsführer des KTK-Bundesverbands, Frank Jansen, stellte während des Jubiläums "Zeit und Raum für Kinder. 100 Jahre KTK-Bundesverband" mit dem Kölner Memorandum eine Programmatik für die Zukunft des Verbands vor. Darin werden die Ergebnisse der bisherigen Arbeit innerhalb des KTK-Bundesverbands und für die Mitgliedseinrichtungen bilanziert und das künftige Engagement in sechs Punkten beschrieben.

Standpunkt

Allen Kritikern zum Trotz ...

Für den KTK-Bundesverband waren und sind die Grundsätze des Situationsansatzes immer wichtige Orientierungspunkte - sei es beispielsweise im Rahmen der Projekte unseres Verbands oder sei es bei der Entwicklung des KTK-Gütesiegels und aller Initiativen, die mit Fragen der Bildung in katholischen Kindertageseinrichtungen korrespondieren. Und dies nicht ohne Grund:

Der im Situationsansatz geforderte Bezug zu den sozialen und kulturellen Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien, die Orientierung der pädagogischen Arbeit an bedeutenden Lebenssituationen der Kinder, die Gestaltung einer anregungsreichen Lernkultur, die aktive Mitgestaltung des pädagogischen Alltags durch die Kinder oder auch die zu gestaltende Beziehung zwischen Kindertageseinrichtung und dem Gemeinwesen: All dies sind Beispiele dafür, dass die Bausteine des Situationsansatzes mit den konzeptionellen Grundsätzen des KTK-Bundesverbands übereinstimmen. Im KTK-Gütesiegel sind die Sozialraum- und Lebensweltorientierung von Kindertageseinrichtungen, der Bezug der pädagogischen Arbeit zum Alltag der Kinder, die Umsetzung der Kinderrechte und vieles mehr als konzeptionelle Grundsätze der Arbeit katholischer Kindertageseinrichtungen beschrieben. Damit ist der Situationsansatz ein Handlungskonzept, das dabei hilft, das KTK-Gütesiegel umzusetzen. Aber nicht nur hierbei. Ein Blick in die Bildungspläne der Bundesländer macht deutlich, dass eine enge Verknüpfung mit den Bausteinen des Situationsansatzes hergestellt werden kann.

"Dass das Konzept beliebig und schwer umsetzbar sei, ist schlichtweg Unsinn."

Umso mehr verwundert es, dass gerade jüngere Erzieherinnen häufig noch nie etwas vom Situationsansatz gehört haben. Offensichtlich ist dieses Konzept nicht mehr überall Gegenstand der Ausbildung an Fachschulen. Auch irritiert es, dass der Situationsansatz vielfach mit dem situationsorientierten Arbeiten verwechselt wird. Und dies, obwohl es doch gravierende Unterschiede gibt. Setzt das situationsorientierte Arbeiten am einzelnen Kind an und ist stark entwicklungspsychologisch ausgerichtet, so handelt es sich beim Situationsansatz um ein gruppenpädagogisches Konzept mit einer ausgeprägten Sozialraumorientierung. Und da muss man sich wohl entscheiden.

Ebenso verwundert es, dass nach wie vor Kritiker durch die Lande ziehen, die den Situationsansatz entweder als zu politisch oder als nicht umsetzbar und beliebig bewerten. Die politische Ausrichtung des Situationsansatzes ist nicht von der Hand zu weisen. Und das ist auch gut so. Dass das Konzept beliebig und schwer umsetzbar sei, ist schlichtweg Unsinn. Spätestens seit seiner Weiterentwicklung im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative ist der Situationsansatz zu einem Handlungskonzept geworden, in dem eindeutige Orientierungs- und Reflexionspunkte gesetzt werden.

40 Jahre Situationsansatz - da kann man nur gratulieren. Und dies verbunden mit dem Wunsch, dass der Situationsansatz künftig in der Ausbildung von Erzieherinnen die Beachtung erfährt, die ihm meines Erachtens auch zusteht.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

Inhalt

Alles andere als beliebig -
40 Jahre Situationsansatz

Editorial

Titel

Jürgen Zimmer
Die Erfindung des Situationsansatzes
Puzzleteile einer Entwicklung 

Christa Preissing
Verflixte Situation - oder: Was um Himmels Willen
ist eine Schlüsselsituation?
Fragen und Antworten

Rita Haberkorn
Der Situationsansatz und die Bildungspläne
Was das eine mit dem anderen zu tun hat

Fakten, Fakten, Fakten

Esther Baron
"Ich krieg den Joghurt in die Schüssel"
Der Situationsansatz in der Praxis

Frank Jansen
Standpunkt: Allen Kritikern zum Trotz ...


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Verpflichtung Alleinerziehender zur Vollzeitbeschäftigung

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband
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Der Kinderrat - demokratisches Handeln in der Kita

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SPEZIAL

Bewegte Kita

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, 

in einer Kindergarten-Ordnung aus den 1960er Jahren heißt es unter anderem: "Grobes Schlagen muss unterbleiben." Als ich das neulich las, blieb mir erst mal die Luft weg. Zum Glück sind die Zeiten Schwarzer Pädagogik vorbei. Heutzutage ist eine gewaltfreie Erziehung in unseren Kindergärten ebenso selbstverständlich wie die Achtung der Kinderrechte. Dennoch stehen wir in der beruflichen Hektik immer wieder in der Gefahr, unseren Mitmenschen, ob klein oder groß, nicht ausreichend respektvoll, sensibel und wertschätzend zu begegnen, wie auch unsere Autorin Martina Bentenrieder ab Seite 22 zu berichten weiß.

Kinder benötigen Wertschätzung, Anerkennung und Respekt, um sich zu selbstbewussten Persönlichkeiten zu entwickeln. Am Beispiel von uns Erwachsenen können sie lernen, was es heißt, respektvoll miteinander umzugehen, Anderen Respekt entgegenzubringen und selbst Respekt zu erfahren. Damit Erzieherinnen Kindern respektvoll begegnen können, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen in unseren Kindertageseinrichtungen. Und Erzieherinnen brauchen selbst die Erfahrung, von Anderen respektiert zu werden - von den Eltern, dem Träger, der Gesellschaft, der Politik. Diesen Respekt einzufordern dürfen wir nicht müde werden.

Ihre
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr. Schreiben Sie uns:
wdk@caritas.de

Titelthema

Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet?

Eigentlich ist doch alles ganz einfach - sollte man meinen. Denn nicht erst seit diesen Tagen ist klar, dass es ab August 2013 in diesem Land einen Rechtsanspruch auf einen "Betreuungsplatz" geben wird, für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Wohlgemerkt, es handelt sich um einen individuellen Rechtsanspruch, den die Eltern für ihr Kind in Anspruch nehmen können, wenn sie wollen - und der keineswegs begrenzt ist auf die immer wieder "herumwabernden" Zahlen von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent oder 39 Prozent, mit deren Erreichen dann alles gut zu werden scheint. Und hier sind schon die ersten drei zentralen Problemstellen des Ausbaus für Kinder unter drei Jahren (U3-Ausbau) erkennbar:

Zum einen dürfte allen Akteuren mittlerweile klar sein, dass diese Annahme einer Rechtsanspruchserfüllung mit einem Platzangebot von 35 Prozent (beziehungsweise jetzt modifiziert auf 39 Prozent) bei weitem von der tatsächlichen Bedarfs- und Nachfrageentwicklung überholt worden ist. Dies ist doppelt problematisch, da einerseits schon die bisherige, veraltete Zielgröße von 35 Prozent mit der beobachtbaren Ausbaudynamik in den meisten westdeutschen Bundesländern schwerlich erreicht werden wird und andererseits das Gesetz an keiner Stelle von einer Quotierung spricht, sondern von einem individuellen Rechtsanspruch (der rein theoretisch von 100 Prozent der Eltern in Anspruch genommen werden könnte).

Man muss sich die Dramatik hinter diesem Zusammenhang deutlich machen, denn analysiert man die bisherige Ausbaudynamik seit dem Krippengipfel 2007 mit der Einführung des Rechtsanspruchs, dann zeigt sich, dass abgesehen von Hamburg unter den westlichen Flächenländern lediglich Rheinland-Pfalz bislang ein Ausbautempo erreicht hat, das eine Zielerreichung möglich machen würde - wenn man denn einen Anteil von 35 Prozent an allen Kindern unter drei Jahren als Zielerfüllung akzeptiert. Gerade auch aufgrund der Beitragsfreiheit für die Eltern ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr bereits heute sehen wir aber, dass die tatsächliche Nachfrage noch höher ausfällt. Wobei Rheinland-Pfalz derzeit den "Vorteil" hat, dass sich dort der U3-Ausbau bislang vor allem auf die Gruppe der Zweijährigen konzentriert (der Kontext zur Beitragsfreiheit wurde angesprochen), denn diese Kinder lassen sich "gut einbauen" in die geöffneten Kindergartengruppen. Ob das aber auch immer so gut ist für die zweijährigen Kinder, darüber ließe sich trefflich streiten. Das wird vor allem aber dann brisant und relevant, wenn man noch jüngere Kinder in die Einrichtung bekommt, was mit dem Rechtsanspruch ab August 2013 grundgelegt ist.

Schaut man sich in diesem Zusammenhang die bisherige Ausbaudynamik und den 2011 erreichten Ausbaustand differenziert nach westdeutschen Bundesländern an, ergibt sich ein besonders problematischer Befund. Man erkennt in der Grafik das auffällige Zurückbleiben des Bundeslands Nordrhein-Westfalen - das aber zugleich das bevölkerungsreichste ist und in dem es viele Städte gibt, wo ohnehin bereits ein über dem Durchschnitt liegender Bedarf seitens der Eltern vorliegt. Gleichzeitig befinden sich sehr viele Kommunen dort in der Haushaltssicherung. Gerade diese Kommunen werden im kommenden Jahr - sollte es bis dahin keine gesetzgeberischen Veränderungen mehr geben - konfrontiert mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten, denn der Rechtsanspruch richtet sich gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, nicht gegen die Bundesfamilienministerin. Erste Entscheidungen beispielsweise in Rheinland-Pfalz (wo es ja schon einen individuellen Rechtsanspruch ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr gibt), etwa gegen die Stadt Mainz, verdeutlichen, dass das für die Kommunen eine richtige teure Angelegenheit werden kann.

Zum anderen übt das alles jetzt, kurz vor dem Ende der mehrjährigen Ausbauphase, einen enormen Druck aus in Richtung quantitative Platzbeschaffung (gleichsam "um jeden Preis") - was wiederum gerade mit Blick auf die notwendige Qualität der Angebote hoch problematisch ist, denn in einer solchen Situation ist es nicht unplausibel, dass das Ziel einer Erfüllung der Platzbedarfe auf Kosten der qualitativen Ausgestaltung der Plätze gehen könnte beziehungsweise gehen wird. Die aktuelle Diskussion seitens der Länder und vieler Kommunen über den Rückgriff auf "Platzsharing"-Modelle mag hier als ein kritisch zu diskutierender Hinweis genügen.

Und drittens - selbst wenn wir jetzt alle Ressourcen auf einen rechtsanspruchserfüllenden Ausbau fokussieren würden: Uns läuft zum einen die Zeit davon (im Sinne einer zu geringen Ausbaudynamik in den zurückliegenden Jahren) und zum anderen würden schlichtweg regional/lokal die erforderlichen Fachkräfte fehlen, die man in der kurzen noch verbleibenden Zeitspanne nicht "backen" kann - und wir reden dabei noch gar nicht über die eigentlich erforderliche Aufstockung der Personalschlüssel in den Einrichtungen aufgrund des noch zu skizzierenden Formenwandels der Kitas, sondern nur über eine reine Fortschreibung der bestehenden Bedingungen in den Kindertageseinrichtungen, die bekanntlich auch noch stark variieren.

Strukturwandel in den Kitas

Derzeit dreht sich die Diskussion um den absehbaren "Flaschenhals" einer (nicht-)ausreichenden Zahl an "Betreuungsplätzen" - egal welche, hat man zuweilen den Eindruck. Um aber eine korrekte Beurteilung der Situation leisten zu können, muss man berücksichtigen, welchen enormen Strukturwandel die meisten bestehenden Einrichtungen in den vergangenen Jahren durchlaufen haben. Der Dreiklang "früher - mehr - länger" kann das am treffendsten beschreiben: Das Eintrittsalter der Kinder sinkt, immer mehr Kinder eines Jahrgangs besuchen selbstverständlich eine Kita und ein Teil der Kinder bleibt immer länger in den Einrichtungen. Betrachtet man insbesondere die jüngsten Kinder, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass bereits im vergangenen Jahr mehr als 517000 Kinder unter drei Jahren in einer Kita oder in öffentlich geförderter Tagespflege betreut, gebildet und erzogen worden sind. Das ist eine erhebliche Zahl.

Vor dem Hintergrund der aktuellen - westdeutschen - Debatte über das Für und Wider frühkindlicher Betreuung muss an dieser Stelle einmal angemerkt werden, dass die Eltern in der Gesamtschau auf die vorliegenden Daten sehr verantwortungsvoll mit ihren Kindern umgehen, denn die Inanspruchnahme der außerfamiliären Betreuung über eine Krippe oder Kindertagespflege ist bei den unter einjährigen Kindern marginal, und das wird erwartbar auch so bleiben, die ostdeutschen Werte markieren hier die Obergrenze. Erst nach der Vollendung des ersten Lebensjahrs steigt die Betreuungsquote deutlich erkennbar an, wobei diese im Westen Deutschlands nach oben begrenzt ist aufgrund der verfügbaren Plätze, sie also bei echter Wahlfreiheit sicher höher wäre.

Betreuungsquoten der unter dreijährigen Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in Prozent aller Kinder im jeweiligen Alter in West- und Ostdeutschland im Jahr 2011

 

Westdeutschland

Ostdeutschland

unter 1 Jahr

2,1 %

5,1 %

1 bis unter 2 Jahre

18,1 %

60,6 %

2 bis unter 3 Jahre

39,2 %

81,6 %

Die Rolle der Kindertagespflege

In der öffentlichen Diskussion wird fast ausschließlich über Kitas, also Einrichtungen gesprochen. Einen gleichsam zentralen Beitrag für den Ausbau der U3-Betreuung soll aber nach den ursprünglichen Überlegungen der Politik die Kindertagespflege leisten. Nach den Vorstellungen auf dem Krippengipfel 2007 - und damit zugleich Grundlage für den Zuschnitt der 12 Milliarden Euro für den Ausbau bis 2013 - war die Annahme, dass fast ein Drittel aller neu zu schaffenden Betreuungsplätze in der ("kostengünstigeren") Kindertagespflege entstehen werden. Wie wir anhand der aktuellen Daten sehen, ist das schlichtweg unrealistisch.

Darüber hinaus gibt es auch keinen einfachen Zusammenhang nach dem Muster "mehr Tagespflege = höhere Betreuungsquote": "Bemerkenswert ist ... die Tatsache, dass Hamburg und Rheinland-Pfalz ihre vergleichsweise hohen Quoten erreicht haben, ohne auf die Tagespflege als Strategie des 'schnellen' Ausbaus zu setzen. Beide Bundesländer erreichen hinsichtlich des Anteils der Kinder in Tagespflege im Vergleich der westlichen Länder nur unterdurchschnittliche Quoten: Hamburg liegt bei einem Anteil von 14,5 Prozent, Rheinland-Pfalz sogar 'nur' bei 8,4 Prozent. Im Vergleich hierzu beträgt der Anteil an Kindern in Tagespflege in Westdeutschland (ohne Berlin) bei immerhin 18,3 Prozent. Überproportional hohe Anteile an Kindern in Tagespflege finden sich dagegen in Schleswig- Holstein mit 31,7 Prozent und in Nordrhein-Westfalen mit 28,3 Prozent." [1]

Das ist in einem doppelten Sinne problematisch: Zum einen weichen die Eltern natürlich aus in die Kitas (beziehungsweise sie werden es wollen), was wiederum die gegebene Unterfinanzierung des Systems und auch den Fachkräftemangel in den Einrichtungen verstärkt. Zum anderen wäre es durchaus wünschenswert, wenn eine professionelle Kindertagespflege gerade bei den sehr jungen Kindern einen deutlich höheren Stellenwert bekäme. Auch in Frankreich beispielsweise werden die meisten kleinen Kinder bei einer Tagespflegeperson betreut und nicht in Einrichtungen. Dazu aber bedarf es einer Verbesserung der Rahmenbedingungen der Arbeit - und letztendlich höherer Ausgaben in diesem Bereich. Das Institut für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz hat speziell zum Aspekt einer vom Gesetz geforderten "leistungsgerechten Vergütung" der Tagespflege als eine Komponente zur Professionalisierung der Kindertagespflege jüngst Empfehlungen vorgelegt (vgl. hierzu www.tagesmuetter-bundesverband.de).

Und bei aller Fokussierung auf den U3-Ausbau: Es gibt auch noch andere Handlungsfelder im System der Kindertagesbetreuung, die a) Personal binden und b) in der Debatte derzeit leider völlig untergehen. An dieser Stelle kann nur der Hinweis auf die Hortbetreuung gegeben werden. Man sollte dabei berücksichtigen: "Nach wie vor werden ebenso viele Schulkinder in Tageseinrichtungen betreut wie 'U3-Kinder' - und das, ohne auch nur annähernd die gleiche Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Fachwelt zu genießen wie die Jüngsten."[2] Bei den Schulkindern bis zehn Jahre waren es im vergangenen Jahr 422473 Kinder, die in einer Kindertageseinrichtung betreut wurden. Auch hier zeigen sich übrigens sehr heterogene Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern. "In den südlichen Flächenländern Bayern und Baden-Württemberg lässt sich ein kontinuierlicher Ausbau des Hortes beobachten, wohingegen in Nordrhein-Westfalen und neuerdings auch in Hamburg politische Entscheidungen zu einem Abbau geführt haben beziehungsweise führen werden."[3] Vor allem in den östlichen Bundesländern spielt der Hort nach wie vor eine große Rolle: Insgesamt circa 240000 Kinder - und damit rund 40000 Kinder mehr als im Westen - besuchten dort im Jahr 2011 nach der Schule eine solche Einrichtung.

Fazit

Was bleibt angesichts dessen, was wir theoretisch wissen (über eine "gute Bildung, Betreuung und Erziehung") und was wir praktisch sehen und erwarten müssen angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen? Ein großes Unbehagen mit Blick auf den Ausbau der Angebote für die Kleinsten, wie er derzeit abläuft. Gerade wenn man ein großer Befürworter der familienergänzenden Betreuung, Bildung und Erziehung ist, muss man doch gegenwärtig große Zweifel bekommen, ob wir uns hier nicht auf eine Situation zubewegen, die dem Pflegenotstand am anderen Ende der Lebensspanne, bei den demenzkranken Pflegebedürftigen, in vielem gleicht. Es wäre jetzt die Zeit für einen großen "Krippengipfel", auf dem mehr Geld bereitgestellt und verbindliche Standards verabschiedet werden sollten. Auch über eine vorübergehende Aussetzung des Rechtsanspruchs sollte ergebnisoffen diskutiert werden. Aber das ist alles leider nicht in Sicht. Insofern besteht die große Gefahr, dass die Kleinsten der Kleinen als Versuchskaninchen einem nationalen Experiment unterworfen werden, was nicht akzeptabel ist und der ganzen Sache schaden wird. Irgendwie erinnert das an gleichlaufende Erfahrungen, die wir derzeit mit der "Energiewende" machen müssen ...

Prof. Dr. Stefan Sell
Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Fachhochschule Koblenz.

Anmerkungen
[1] Fuchs-Rechlin, K.: Es wird eng - zur aktuellen Dynamik der Kitas, in: KomDat, Heft 3/2011, S. 2.
[2] Ebda.
[3] Ebda. 

Standpunkt

Handfeste Kitapolitik mit Perspektive

Ende Mai 2012 legte das Bundesfamilienministerium das im Kabinett verabschiedete "Zehn-Punkte-Programm für ein bedarfsgerechtes Angebot" in der Kindertagesbetreuung vor. Darin steht es schwarz auf weiß geschrieben: Durch ein Qualitätsgesetz soll ein Rahmen-Bildungsplan mit bundesweiter Gültigkeit geschaffen werden, der den Förderauftrag von Kindertageseinrichtungen durch Mindeststandards konkretisiert. Dabei sind gesetzliche Vorgaben geplant, die Chancengerechtigkeit für Kinder gewährleisten und verlässliche Bedingungen für Fachkräfte schaffen sollen - eine handfeste Perspektive für alle, die sich in der Kindertagesbetreuung engagieren; ein politischer Entschluss, der seit langem überfällig ist.

Immer noch ist es so, dass die Qualitätsvoraussetzungen in der Kindertagesbetreuung auf nationaler Ebene nur schwer miteinander vergleichbar sind und dass die Frage der Bildungsgerechtigkeit von regionalen Voraussetzungen abhängt. Wir brauchen eine Allianz der Bildungspolitik für Kindertageseinrichtungen, um länder- und trägerübergreifend eine Verständigung über Qualitätsstandards anzustreben, durch die ein trägerspezifisches und damit weiterführendes Profil von Kindertageseinrichtungen nicht ausgeschlossen ist. Diese Position und die damit einhergehenden Forderungen hat der KTK-Bundesverband bereits 2008 formuliert.

Angesichts dieser unerwartet mutigen und entschlossenen Initiative des Bundesfamilienministeriums stehen viele heute schon Kopf. Bewertet wird diese, als handele es sich um einen echten Kita-Schreck. Das ist ein Eingriff in föderale Hoheiten, nörgeln die einen, nicht machbar, lamentieren die anderen. Nicht machbar? Davon kann keine Rede sein, vorausgesetzt, die Akteure im Bund sind sich bewusst, dass diese gesetzliche Einflussnahme nicht kostenneutral umsetzbar sein wird. Wie es denn auch sei, als KTK-Bundesverband bejahen wir diesen Vorstoß.

"Deutschland braucht bundesweit vergleichbare Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung."

Anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums hat der KTK-Bundesverband im Juni 2012 unter dem Titel "Zeit und Raum für Kinder" sein Kölner Memorandum veröffentlicht. In dieser Programmatik für die kommenden Jahre unterstreicht der KTK-Bundesverband, dass eine hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern eine nationale Aufgabe darstellt, für die unter anderem auch der Bund verantwortlich ist. Gefordert werden im Kölner Memorandum erneut bundesweit vergleichbare fachliche Standards und bessere personelle und strukturelle Rahmenbedingungen für Kindertageseinrichtungen. Diese sollen dazu beitragen, das Recht des Kindes auf eine angemessene Bildung, Erziehung und Betreuung unabhängig von seinem Wohnort sicherzustellen.

Deutschland braucht bundesweit vergleichbare Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung, anders sind die unterschiedlichen Voraussetzungen in unserem föderalen System wohl kaum in den Griff zu bekommen. Auch nicht von der Hand zu weisen ist, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren enorm gestiegen sind und dass diese nicht immer mit den vorhandenen Rahmenbedingungen korrespondieren. Deswegen werden wir als KTK-Bundesverband unser politisches Engagement fortsetzen und die Entwicklung eines Qualitätsgesetzes unterstützen.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Tag und Nacht, Licht und Schatten, hell und dunkel - diese Gegensatzpaare bestimmen unser Leben. Das Licht lässt Pflanzen wachsen und gedeihen, es weckt uns morgens aus dem Schlaf, hilft uns auch nachts unseren Weg zu finden. Fasziniert betrachten wir ein Feuerwerk, eine flackernde Kerze, das Lichtermeer einer Großstadt, den Sternenhimmel in einer klaren Winternacht. Im Sommer, wenn die Sonne am Himmel brennt, suchen wir den schützenden Schatten, und wenn die Sonne untergeht, genießen wir die kühle Dunkelheit der Nacht. Das Spiel von Licht und Schatten macht den Reiz von Landschaften, Bauwerken und Gemälden aus. "Die ganze Mannigfaltigkeit, der ganze Reiz und die ganze Schönheit des Lebens setzen sich aus Licht und Schatten zusammen", so hat es der russische Schriftsteller Lev Tolstoj formuliert.

In diesem Heft wollen wir Sie mitnehmen auf eine spannende Entdeckungsreise auf den Spuren von Licht und Schatten. Auf den folgenden Seiten finden Sie jede Menge Ideen und Anregungen, wie Sie Kindern in der Kita vielfältige Erfahrungen mit diesem faszinierenden Gegensatzpaar ermöglichen können.
Viele helle und auch angenehm schattige Momente im neuen Jahr wünscht Ihnen

Ihre
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr. Schreiben Sie uns:
wdk@caritas.de

Inhalt

Spüren, staunen, selber machen
Licht und Schatten

Editorial

Titel

Diana Güntner
Ein vielschichtiger Gegensatz
Licht und Schatten in Kulturgeschichte und Religion

Simone Schander
Dem Licht auf der Spur
Kreative Ideen und spannende Experimente

Daniel Oberschelp
Lichträume
Erhellende Raumkonzepte in Kitas

Fakten, Fakten, Fakten

Hansueli Trüb
Schattenträume
Figurenspiel mit Kindern

Frank Jansen
Standpunkt: Schattendasein in der Kita? 


Kita-Alltag

Ratgeber Recht
Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband
Die Verbandsgründung, eine Initiative des Frauenbunds

Aktuell
Das Bildungspaket

Werkstatt
Singen ist die Muttersprache aller Menschen

Aufgeschnappt
"Marte Meo"

 

Spektrum

Fachbücher

Termine

Kindermedien

O-Ton
Nadine Mewes: Kita rund um die Uhr

Vor Ort
Über die Lernlust: Eindrücke von einem ungewöhnlichen Bildungskongress

KTK Aktuell

Materialien


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Editorial
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Glosse
Vorschau/Impressum

SPEZIAL

GOTTvertrauen
GLAUBENssache

 

Inhalt

Politik für Kinder - Bilanz und Ausblick

Editorial

Titelthema

Rainer Strätz
Was haben die Bildungspläne gebracht?
Blick zurück nach vorn

Fakten, Fakten, Fakten

Stefan Sell
Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet?
Bestandsaufnahme des Kita-Ausbaus

Andreas Siemes
Der Rechtsanspruch
Was er konkret bedeutet

Dorothee Gutknecht
Auf das WIE kommt es an!
Zur Debatte um frühe außerfamiliäre Betreuung

Fakten, Fakten, Fakten

Frank Jansen
Standpunkt: Handfeste Kitapolitik mit Perspektive

Kita-Alltag

Ratgeber Recht
Das Bundeskinderschutzgesetz - Teil 2

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband
Anstiftend und unterstützend zugleich:
Das Engagement in Sachen Qualitätsentwicklung und -sicherung

Aktuell
Mein täglicher Kampf mit dem Bürokratie(r) ...

Werkstatt
Gott, deine Farben sind das Leben

Aufgeschnappt
"Trisomie 21"

Spektrum

Fachbücher

Termine

Kindermedien

O-Ton
Wie sollten Kinder aufwachsen?
Interview mit Donata Elschenbroich

KTK Aktuell

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Editorial
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Leserbrief
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Glosse
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SPEZIAL

Landart - Feuer, Wasser, Luft und Erde

Standpunkt

Erst mal Luft holen ...

Nach draußen gehen, tief Luft holen und nochmals in aller Ruhe die Argumente abwägen: Diesem Ratschlag sollten jene folgen, die sich auf der politischen Bühne für ein Betreuungsgeld stark machen oder die sich nur aus arbeitsmarkt- und fami­lienpolitischen Gründen gegen das Betreuungsgeld wenden. Ge­plant ist, dass Eltern ab 2013 monatlich 150 Euro erhalten, wenn sie für ihr ein- bis dreijähriges Kind keine außerfamiliäre Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen. Ein Vorhaben, bei dessen Bewertung auch nicht die Frage der Entloh­nung elterlicher Erziehungsleistungen im Vordergrund stehen darf. Ebenso wenig das populis­tisch anmutende Gegenargument, es handele sich um eine Prämie für den Verzicht auf Fremdbetreuung der Kinder. Wichtig ist vielmehr, dass der familiäre Entscheidungs- und Handlungsspielraum für Eltern zum Wohle ihrer Kinder im Mittelpunkt der Debatte steht. Unter welchen Voraussetzungen dabei das Wohl des Kindes tatsächlich berücksichtigt wird, das kann man zugegebenermaßen unterschiedlich bewerten. Ich bewerte das so:

Als im Dezember 2008 das Kinderförderungsgesetz in Kraft trat, wurde ein bedeutender bil­dungspolitischer Meilenstein ge­legt. Der mit dem Gesetz verab­schiedete Ausbau des Angebots für Kinder unter drei Jahren sowie der darin verankerte Rechtsanspruch ab 2013 auf eine Förderung in der Kindertagesbetreuung sind meines Erachtens kluge Errungenschaften, die nicht nur arbeitsmarkt- und familienpolitische Vorteile bergen. Ausreichend Plätze für Kinder in den ersten drei Jahren tragen in erster Linie dazu bei, Familien in der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen und bessere Bildungschancen für alle Kinder zu schaffen. Frühkindliche Bildung ist nun einmal der Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit. Je früher es Kindern möglich ist, außerfamiliäre Bildungsangebote in Anspruch zu nehmen, umso eher ist gewährleistet, dass auch gerade für Kinder aus benachteiligten Lebensverhältnissen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichergestellt werden kann. Kaum jemand zweifelt heute noch an dieser Tatsache.

 "Die in dieser Debatte viel zitierte und geforderte Wahlfreiheit von El­tern erfordert ausreichend und qualitativ hochwertige Plätze."

Und dass den Kindertageseinrichtungen hierbei eine bedeutende Rolle zukommt, ist mittlerweile ebenso unumstritten. Sowohl in Kinderkrippen als auch in altersgemischten Gruppen werden in einer engen erziehungspartnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Eltern soziale, emotionale und kognitive Potenziale der Kinder gefördert.

Nun muss natürlich nicht jedes Kind in den ersten drei Jahren eine Kindertageseinrichtung besuchen. Es sollte aber auch keinem Kind die Möglichkeit verwehrt bleiben, seine Potenzi­ale durch die lern- und entwicklungsförderliche Umgebung in Kindertageseinrichtungen zu stärken. Das Betreuungsgeld kann jedoch eine solche Barriere sein.

Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsfor­schung zufolge würde die Einfüh­rung eines Betreuungsgeldes zwi­schen 1,4 und 1,9 Milliarden Euro jährlich kosten - Summen, die man meiner Ansicht nach besser in den ohnehin unterfinanzierten Ausbau des Betreuungsangebots sowie in bessere Rahmenbedingungen von Kindertageseinrichtungen investieren sollte. Die in dieser Debatte viel zitierte und geforderte Wahlfreiheit von El­tern erfordert nun mal ausreichend und qualitativ hochwertige Plätze.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katho­lischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

Vortrag

Was können Erzieherinnen tatsächlich leisten?

Um diese Frage beantworten zu können, nimmt Susanne Viernickel Ressourcen und Rahmenbedingungen in den Blick.

Um Kinder und Familien in Deutschland scheint es schlecht bestellt. Eltern sind, wie eine vor vier Jahren veröffentlichte Studie konstatiert, "unter Druck" (Merkle/Wippermann 2008). Nicht selten fühlen sie sich von den Erziehungsaufgaben, den vielfältigen Anforderungen an die Elternrolle und der Balance zwischen Berufstätigkeit und Elternschaft überfordert. Manche Eltern sind zeitweise oder kontinuierlich nicht mehr in der Lage, gut für ihre Kinder zu sorgen. Im Jahr 2010 - aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor - kam es nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu insgesamt 36300 Inobhutnahmen durch die Jugendämter zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, die sich in einer akuten, sie gefährdenden Situation befanden - rund 8 Prozent mehr als 2009 und 42 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor (Statistisches Bundesamt 2011).

Auch das Verhalten und die Entwicklung von Kindern werden in der Fachwelt wie im öffentlichen Diskurs mit Sorge betrachtet. Wie Fröhlich-Gildhoff (2007) berichtet, werden zwischen 18 und 22 Prozent aller Kinder im Vorschulalter als verhaltensauffällig oder psychisch gestört eingestuft. Und ungeachtet der insgesamt guten gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden Kinder aus sozial schwachen Familien unter erhöhten Gesundheitsrisiken; sie sind überdurchschnittlich häufig von verschiedenen Krankheiten, von Übergewicht und psychischen Auffälligkeiten und sogar von Verkehrsunfällen betroffen. Teilweise treffen die Befunde auch auf Kinder aus Migrantenfamilien zu (Kurth/Schaffrath-Rosario 2007; Hölling u. a. 2007). Schließlich kennt jeder die Befunde aus den PISA-Studien, vor allem das nicht zufriedenstellende Abschneiden deutscher Schüler bei den Vergleichstests und die Erkenntnis, dass in keinem anderen untersuchten Land die soziale Herkunft so massiv über Bildungsergebnisse und -chancen entscheidet wie in Deutschland.

Erwartungen an Kitas und pädagogische Fachkräfte

Es ist kaum verwunderlich, dass angesichts einer solchen Befundlage die Kindertageseinrichtungen als erste öffentliche Institution mit einem die Familienleistungen ergänzenden Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag in ganz anderem Ausmaß als in früheren Zeiten in die Verantwortung genommen werden. Schließlich agieren Familien und Kinder nicht in einem isolierten Raum; sie sind eingebettet in ein gesellschaftliches System, das ihre Chancen und Risikolagen mitbestimmt und das dementsprechend mit herangezogen werden sollte, wenn es um das Tragen der Lasten und die Übernahme von Verantwortung geht. Und da sowohl Inanspruchnahmeraten, vor allem der jüngeren und jüngsten Kinder, ebenso wie die durchschnittlichen täglichen Anwesenheitszeiten kontinuierlich zunehmen (Bertelsmann Stiftung, o. Jg.), wird die Kita zu einem Lebensraum, in dem Kinder von früh an einen Großteil ihrer wachen Zeit verbringen, wo sie Entwicklungsmeilensteine erreichen und prägende Erfahrungen machen.

Das heißt aber auch, dass die Erwartungshaltung gegenüber pädagogischen Fachkräften in Kitas wächst. Nicht nur Eltern, auch Erzieherinnen stehen "unter Druck". Sie sind nicht nur für die Sicherheit und das Wohlbefinden der ihnen anvertrauten Kinder während deren Zeit in der Kita verantwortlich. Ihnen werden zahlreiche Aufgaben zugeschrieben und diverse Problemlösungen zugetraut - oder zugemutet:

  • Sie sollen die kleinteiligen Anforderungen der Bildungsprogramme, die in allen Bundesländern entstanden sind, möglichst umfassend in ihre Arbeit integrieren;
  • sie sollen zu jedem Kind eine persönliche, tragfähige Beziehung aufbauen - viele erwarten, dass diese den Besonderheiten einer sicheren Bindungsbeziehung entspricht;
  • es wird erwartet, dass sie - je nach Konzept und Organisationsform - Säuglingen, Krabbelkindern, Kleinkindern in der Ichfindungsphase, wissbegierigen Kindergarten- und Vorschulkindern jeden Tag aufs Neue individuell gerecht werden und ihnen eine entwicklungsangemessene, anregende und herausfordernde Spiel- und Lernumwelt bieten;
  • damit verbunden ist der Anspruch, dass sie die durch heterogene Lebensbedingungen hervorgerufenen Ungerechtigkeiten in den Bildungschancen, der Gesundheit und Sprachkompetenz der Kinder kompensatorisch auszugleichen vermögen und sie mit einer Widerstandsfähigkeit - Resilienz - gegenüber krisenhaften Ereignissen oder dauerhaften Belastungen ausstatten;
  • und nicht zuletzt sollen sie auch mit Eltern, ihren Teamkolleginnen, anderen sozialen Dienstleistern und den Lehrkräften der Grundschule in einen kontinuierlichen, immer wertschätzenden Austausch gehen, sich in alle Richtungen vernetzen und ebenso zuverlässig wie fachlich kompetent und auf Augenhöhe kooperieren

Ressourcen und Rahmenbedingungen

Können Erzieherinnen diese Erwartungen erfüllen? Können sie dies alles leisten? Um diese Frage beantworten zu können, muss der Blick auf das Vorhandensein oder Fehlen von Ressourcen gelenkt werden, über die pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen verfügen und auf die sie bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zurückgreifen können.

Ausbildung/Qualifikation der Fachkräfte

Eine zentrale Ressource ist die Ausbildung beziehungsweise die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte. Gut ausgebildete Fachkräfte, die sich mit aktuellen fachlichen Entwicklungen auseinandersetzen und daran arbeiten, ihr pädagogisches Handeln zu reflektieren und eine professionelle Haltung zu entwickeln, tragen maßgeblich dazu bei, dass Kindertageseinrichtungen zu Bildungsumwelten werden können (vgl. Nentwig-Gesemann u. a. 2011). In Deutschland hat die Mehrheit der in Kitas pädagogisch tätigen Personen einen an einer Fachschule oder Fachakademie erworbenen Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin/staatlich anerkannter Erzieher (72,1 Prozent insgesamt, in Westdeutschland 67,7 Prozent, in Ostdeutschland sogar 87,9 Prozent; Bertelsmann Stiftung, o. Jg.). Gerade in den westdeutschen Einrichtungen arbeiten aber auch relativ viele Personen mit einer geringeren Qualifikation, unter anderem Kinderpflegerinnen (16,6 Prozent; a. a. O.).

Das formale Qualifikationsniveau lässt allein jedoch weder zuverlässige Rückschlüsse auf die Handlungs- und Deutungskompetenzen der Fachkräfte noch auf die pädagogische Qualität in Kindertageseinrichtungen zu (vgl. v. a. Early u. a. 2007). Das in der Ausbildungsphase erworbene wissenschaftliche und methodisch-didaktische Wissen und Können muss offensichtlich in Handlungskompetenz unter "Real-Bedingungen" transformiert werden, um nachhaltig für die Reflexion und professionelle Gestaltung des pädagogischen Alltags verfügbar zu sein (vgl. Thole 2008). Und bestimmte Wissensbestände und Kompetenzziele, die heute für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben als notwendig erscheinen, sind in den Ausbildungscurricula der Fachschulen nicht oder zu wenig enthalten. Der bereits etwas ältere Befund von Dippelhofer-Stiem (1999), dass sich Absolventinnen in Situationen jenseits des "pädagogischen Kerngeschäfts" unsicher und tendenziell unvorbereitet fühlen, zum Beispiel im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern, in der Zusammenarbeit mit Eltern und anderen Institutionen und bei der Wahrnehmung von Leitungs- und Managementfunktionen, dürfte auch heute noch Bestand haben. Auch die Vorbereitung auf die pädagogische Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren erfolgt, wie aktuelle Dokumentenanalysen und Befragungen nahelegen, nur unsystematisch und vereinzelt (vgl. Thanner 2009).

Erzieherinnen sind sich bewusst, dass es nicht ausreicht, allein auf das in der Ausbildung erworbene Know-how zu setzen. Dies beweisen die hohe Teilnahmequote an und Nachfrage nach berufsbegleitender Fort- und Weiterbildung. Genauso bewerten Lehrkräfte an Fachschulen für Sozialpädagogik die Situation. Sie meinen, dass die derzeitige Ausbildung Grundqualifikationen für die Tätigkeit in Kindertageseinrichtungen vermittelt, die jedoch durch berufsbegleitende Weiterbildung vertieft werden sollten (Kleeberger/Stadler 2011). Beher und Walter (2011, S. 23) nennen eine "Hitliste" der ungedeckten Weiterbildungsbedarfe aus Sicht von Weiterbildungsanbietern. An den ersten drei Stellen stehen die Themen "Kinder unter drei Jahren", "Zusammenarbeit mit Eltern" und "Umsetzung der Bildungspläne in den Ländern".

Zeit und Personaleinsatz

Gute Arbeit erfordert nicht nur eine einschlägige fachliche Qualifikation, sie benötigt auch entsprechende zeitliche Ressourcen. Eine der empirisch mehrfach belegten Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Qualität pädagogischer Arbeit ist der hohe Einfluss der Fachkraft-Kind-Relation auf die pädagogischen Prozesse in Kitas (zusammenfassend Roßbach 2005). Fachkräfte, die für weniger Kinder zuständig sind, können sensibler, freundlicher und entwicklungsangemessener auf diese eingehen. Ihr Verhalten ist in höherem Maße von Wärme, Fürsorglichkeit und Ermutigung geprägt; sie zeigen mehr positive und weniger negative Affekte gegenüber den Kindern und üben weniger negative Kontrolle aus. Außerdem stellen sie variantenreichere und der Entwicklung der Kinder angemessenere Spielmaterialien zur Verfügung. Sie erhöhen damit nicht nur die Chance auf einen sicheren Beziehungsaufbau, sondern können auch eher Unterstützung und Anregung geben, die sich am individuellen Entwicklungsstand und den jeweiligen kindlichen Bedürfnissen orientiert.

Viernickel und Schwarz (2009) sprechen von Schwellenwerten der Fachkraft-Kind-Relation, ab denen ein Absinken der Prozessqualität droht. Diese liegen für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren bei 1:3 bis 1:4, für die Arbeit mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren bei 1:8 bis 1:10. Die diesbezüglichen Regelungen und Vorgaben von Ländern und Trägern sind äußerst heterogen; so ist in Mecklenburg-Vorpommern eine pädagogische Fachkraft im Kindergarten rechnerisch (also ohne Berücksichtigung von Fehlzeiten und Arbeiten ohne Kindbezug) für 13 Kinder zuständig, in Bremen dagegen nur für 7 Kinder (Bertelsmann Stiftung, o. Jg.). Es kann davon ausgegangen werden, dass die angegebenen Schwellenwerte in den meisten deutschen Kindertageseinrichtungen punktuell oder regelmäßig überschritten werden.

In diese Betrachtung muss auch einbezogen werden, dass pädagogische Fachkräfte in den letzten Jahren vermehrt Aufgaben übernehmen, die zur sogenannten mittelbaren pädagogischen Arbeit zählen und nicht im direkten Kontakt mit Kindern erfüllt werden können. Hierzu zählen zum Beispiel die Dokumentation und Auswertung von Beobachtungen, Gespräche mit Eltern oder die Entwicklung von Qualitätsstandards im Team. Die für diese Aufgaben zu investierende Zeit muss häufig mit den Zeitkontingenten für die direkte Arbeit mit den Kindern verrechnet werden. Fragt man die Fachkräfte selbst, benennen sie - gleichbleibend über verschiedene Studien hinweg - ebenfalls die unzureichende Personalausstattung und die fehlenden Vor- und Nachbereitungszeiten als zwei der größten Hinderungsgründe für die Umsetzung von Anforderungen aus den Bildungsplänen (GEW 2007) und gleichzeitig Belastungsmomente in ihrer Arbeit (Buch/Frieling 2001; Rudow 2004).

Was können Erzieherinnen tatsächlich leisten?

Die vorangegangene Analyse verdeutlicht, dass Erzieherinnen nur bedingt auf Ressourcen wie eine passgenaue Qualifikation und adäquate Rahmenbedingungen zurückgreifen können. Doch zeigen Befunde aus der entwicklungspsychologischen wie frühpädagogischen Forschung, dass viele der an sie gerichteten Erwartungen tatsächlich eingelöst werden könn(t)en. So ist unstrittig, dass Kinder zu ihren Erzieherinnen bindungsähnliche Beziehungen aufbauen. Diese erfüllen etwas andere Funktionen als die vorrangig auf Sicherheit und Stressreduktion ausgerichtete Mutter-Kind-Bindung und stehen nicht in Konkurrenz zu dieser, sondern ergänzen diese und wirken im besten Falle sogar kompensatorisch, wenn die Beziehung zwischen Mutter und Kind unsicher oder belastet ist (vgl. Ahnert 2007; Sturzbecher/Grossmann 2007, S. 54). Eine zuverlässig zugewandte und bestätigende Erzieherin-Kind-Beziehung kann als Schutzfaktor wirken, im Kind den Aufbau eigener Ressourcen, wie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen oder ein positives Bewältigungsverhalten, anbahnen und so zu einer Stärkung der kindlichen Resilienz beitragen (Wustmann 2004).

Der Besuch einer Kindertageseinrichtung hat nachgewiesenermaßen einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Besonders eindrucksvoll wird dies an einem Befund aus der klassischen deutschen Studie "Wie gut sind unsere Kindergärten?" (Tietze u. a. 1998) deutlich. Tietze konnte zeigen, dass der Besuch einer Einrichtung mit einer sehr hohen Prozessqualität bei den untersuchten vierjährigen Kindern einen messbaren Entwicklungsunterschied von bis zu einem Jahr - im Vergleich zu den qualitativ schwächsten Einrichtungen - bewirkte. Viele internationale Studien belegen ebenfalls positive Effekte des Kita-Besuchs, insbesondere im kognitiven und sprachlichen Bereich und bei Kindern, die zu Hause eher wenig Anregung und Förderung erfahren (vgl. zusammenfassend Roßbach 2005, S. 111 f.). Erzieherinnen sind es, die durch ihre Art und Weise der Interaktion und sprachlichen Anregung, durch die Gestaltung der materiellen Umwelt, durch ihre Bildungsangebote und Projekte und anderes mehr den Anregungsgehalt und die Qualität der pädagogischen Umwelt maßgeblich mit bestimmen; sie sind somit auch für diese beeindruckenden Erfolge der Entwicklungs- und Bildungsförderung zu würdigen.

Schließlich sind Erzieherinnen wichtige Ansprechpartner, häufig auch Vertrauenspersonen für die Eltern, deren Kinder sie betreuen. Eltern ist es in der Regel sehr wichtig, in eine Kommunikation mit Erzieherinnen einzutreten, und sie messen dem gegenseitigen Austausch über die Entwicklung des Kindes und der Möglichkeit, bei Erziehungsfragen Unterstützung zu erhalten, eine hohe Bedeutung bei (Textor 1998). Erzieherinnen werden von vielen Eltern als fachlich kompetente Pädagoginnen gesehen, die auch über den direkten Umgang mit den Kindern in der Kita-Gruppe hinaus Eltern in Erziehungsfragen beraten können und über Fachwissen zur kindlichen Entwicklung verfügen (Stuck/Wolf 2004). Dies ist insofern von Bedeutung, als dass der Einfluss der Eltern beziehungsweise der familiären Umwelt auf die Entwicklung von Kindern auch bei regelmäßigem und ganztägigem Besuch einer Kindertageseinrichtung immer noch wesentlich höher ist als der direkte Einfluss des Kita-Besuchs (u. a. Roßbach 2005).

Pädagogische Fachkräfte haben es in der Hand, mit Eltern eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aufzubauen, durch die sie nicht nur eine positive Verbindung zwischen beiden Lebenswelten herstellen, die den Kindern hilft, Impulse aus beiden Bereichen entwicklungswirksam zu nutzen, sondern auch, indem sie durch Gespräche, pädagogische Anregungen und Beratung bis hin zur Vermittlung an weiterführende soziale Dienste direkt in die Familien hinein wirken und Entlastung ebenso wie Unterstützung bieten können.

Erzieherinnen können im Leben von Kindern einen Unterschied machen. Sie können dafür sorgen, dass der Alltag der ihnen anvertrauten Kinder interessant, anregungsreich und in einer zugewandten, warmherzigen Atmosphäre verläuft. Sie beeinflussen, was die Kinder erfahren, lernen, entdecken und erforschen, und haben Anteil daran, welchen Verlauf deren Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheit und Bildungsbiografie nimmt. Sie können Eltern stärken, ihnen mit Wort und Tat zur Seite stehen und ihnen Wege aufzeigen, wenn es schwierig wird. Um für andere Menschen - ob Kinder oder Erwachsene - eine Quelle zu sein, bedarf es jedoch des achtsamen Umgangs mit den eigenen Ressourcen, einer reflektierten professionellen Haltung, vielfältiger Kompetenzen und tragfähiger Arbeits- und Rahmenbedingungen. Bleiben dem Erzieherinnenberuf die gesellschaftliche Wertschätzung und eine angemessene Finanzierung weiterhin verwehrt, wird das Potenzial, das im Bildungs- und Lebensort "Kita" für alle Kinder unserer Gesellschaft steckt, auch zukünftig nicht vollständig genutzt werden können.

Prof. Dr. Susanne Viernickel
Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin.

Literatur

· Ahnert, L. (2007): Von der Mutter-Kind- zur Erzieherinnen-Kind-Bindung? In: Becker-Stoll, F./Textor, M. R. (Hrsg.): Die Erzieherin-Kind-Beziehung. Zentrum von Bildung und Erziehung: Berlin/Mannheim: Cornelsen; S. 31 - 41

· Beher, K./Walter, M. (2010): Zehn Fragen - Zehn Antworten zur Fort- und Weiterbildungslandschaft für frühpädagogische Fachkräfte; WiFF-Studien 6; München: Deutsches Jugendinstitut

· Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (o. Jg): Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme; http://www.laendermonitor.de (26.05.2012)

· Buch, M./Frieling, E. (2001): Belastungs- und Beanspruchungsoptimierung in Kindertagesstätten; Kassel: Eigenverlag Universität Kassel, Institut für Arbeitswissenschaft

· Dippelhofer-Stiem, B. (1999): Fachschulen für Sozialpädagogik aus der Sicht von Absolventinnen. Ergebnisse einer empirischen Studie. In: Thiersch, R./Höltershinken, D./Neumann, K. (Hrsg.): Die Ausbildung der ErzieherInnen. Entwicklungstendenzen und Reformansätze; Weinheim/München: Juventa; S. 80 - 92

· Early, D. M./Maxwell, K. L./Burchinal, M./Alva, S./Bender, R. H./Bryant, D. (2007): Teachers' education, classroom quality, and young children's academic skills. Results from seven studies of preschool programs. Child Development; 78(2); S. 558 - 580

· Fröhlich-Gildhoff, K. (2007): Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen; Stuttgart: Kohlhammer

· Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hrsg.) (2007): Wie geht´s im Job? KiTa-Studie der GEW; Darmstadt: Rita Spitzer Druck

· Hölling, H./Erhart, M./Ravens-Sieberer, U./Schlack, R. (2007): Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Erste Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey; Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 50, S. 784 - 793

· Kleeberger, F./Stadler, K. (2011): Zehn Fragen - Zehn Antworten. Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern aus Sicht der Lehrkräfte; WiFF-Studien Nr. 13; München: Deutsches Jugendinstitut

· Kurth, B.-M./Schaffrath Rosario, A. (2007): Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 50, S. 736 - 743

· Merkle, T./Wippermann, C. (2008): Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten; Stuttgart: Lucius & Lucius

· Nentwig-Gesemann, I./Fröhlich-Gildhoff, K./Harms, H./Richter, S. (2012): Professionelle Haltung - Identität der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren; WiFF-Expertise Nr. 24; München: Deutsches Jugendinstitut

· Roßbach, H.-G. (2005): Effekte qualitativ guter Betreuung, Bildung und Erziehung im frühen Kindesalter auf Kinder und ihre Familien. In: Sachverständigenkommission 12. Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Band 1: Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter sechs Jahren; München: Deutsches Jugendinstitut; S. 55 - 174

· Rudow, B. (2004): Arbeitsbedingungen für Erzieher/innen. Hohe psychische Belastungen. Bildung und Wissenschaft, 6, S. 6 - 13

· Statistisches Bundesamt (2011): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Vorläufige Schutzmaßnahmen; Wiesbaden

· Stuck, A./Wolf, B. (2004): Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz. Empirische Ergebnisse aus der Sicht von Eltern und Erzieherinnen; Aachen: Shaker

· Sturzbecher, D./Großmann, H. (2007): Die Erzieherin-Kind-Beziehung aus Sicht des Kindes im Vergleich zur Eltern-Kind-Beziehung. In: Becker-Stoll, F./Textor, M. R. (Hrsg.): Die Erzieherin-Kind-Beziehung. Zentrum von Bildung und Erziehung; Berlin/Mannheim: Cornelsen; S. 42 - 56

· Textor, M. R. (1998): Befragungsergebnisse zur Elternarbeit. In: Schüttler-Janikulla, K. (Hrsg.): Handbuch für Erzieher/innen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort; München: mvg-Verlag; 25. Lieferung

· Thanner, V. (2009): Ausbildungsinhalte an Fachschulen für Sozialpädagogik zu Kindern unter drei Jahren. Eine Dokumentenanalyse; München: Deutsches Jugendinstitut

· Thole, W. (2008): "Professionalisierung" der Pädagogik der Kindheit. In: Thole, W./Roßbach, H.-G./Fölling-Albers, M./Tippelt, R. (Hrsg.): Bildung und Kindheit. Pädagogik der Frühen Kindheit in Wissenschaft und Lehre; Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich; S. 271 - 294

· Tietze, W. (Hrsg.) (1998): Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten; Weinheim: Beltz

· Viernickel, S./Schwarz, S. (2009): Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation. Expertise im Auftrag von: Der Paritätische Gesamtverband, Diakonisches Werk der EKD e. V., Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft; 2. korr. Auflage; Berlin

· Wustmann, C. (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern; Weinheim: Beltz

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

vor vierzig Jahren wurde der Situationsansatz entwickelt. In Kindergärten der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen wurde das pädagogische Konzept Anfang der 70er Jahre zum ersten Mal Praxis. Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts, Kinder, Erzieherinnen und Eltern arbeiteten damals eng zusammen. Mittlerweile ist der Ansatz bundesweit in vielen Kindertageseinrichtungen etabliert, obwohl eine klare Definition des Konzepts und die Umsetzung Praktikerinnen oft nicht leichtfallen. Das Jubiläum des Situationsansatzes nehmen wir zum Anlass, der Entstehung und Weiterentwicklung des Konzepts nachzugehen. Die Beiträge unserer Titelstrecke setzen sich mit Fragen auseinander, die häufig im Zusammenhang mit dem Ansatz gestellt werden:

Was ist eine Schlüsselsituation? Wer definiert, was eine Schlüsselsituation ist? Was tun, wenn Kinder keine Fragen stellen oder keine deutlichen Interessen äußern? Wie können Schlüsselsituationen in der pädagogischen Praxis bearbeitet werden? Wie gelingt es, die Grundsätze des Situationsansatzes in der täglichen Arbeit umzusetzen? Und was ist mit den Bildungsplänen? Antworten auf diese Fragen finden sie auf den folgenden Seiten.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Ihre
Irene Weber, Chefredakteurin

Für Anregungen, Lob und Kritik haben wir immer ein offenes Ohr. Schreiben Sie uns:
wdk@caritas.de

Titelthema

Kindern respektvoll begegnen - gemeinsam nachdenken

Über die Frage, wie Pädagoginnen Kindern im Kita-Alltag respektvoll begegnen können, gibt es eine Menge zu lesen, denn es ist ein wichtiges, weites Thema. Wann genau ist eine pädagogische Handlung respektvoll, wann genau ist es ein Dialog? Wir möchten einige wichtige Aspekte herausgreifen und sie näher beleuchten.

Erkenntnisinteressen des Kindes ernst nehmen

Respektvoll handelt erstens jemand, der das Erkenntnisinteresse seines Gegenübers ernst nimmt. Wenn Kinder fragen und forschen, wenn sie in täglichen Handlungen die Welt, sich selbst und die anderen kennenlernen wollen und darum spielend experimentieren und explorieren, dann tun sie das auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Jedes Kind hat eigene Fragen, Themen und Interessen. Die Basis respektvoller Begegnung ist deshalb die systematische Beobachtung und Dokumentation der je spezifischen Erkenntnisinteressen des einzelnen Kindes. Dabei geht es darum, herauszufinden und zu verstehen, was das Kind zur Erweiterung seines Erfahrungs- und Erkenntnisschatzes dazugewinnen will.

Die Beobachtung der Fragen, Themen und Interessen des einzelnen Kindes oder auch einer kleinen Kindergruppe, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt, hat deshalb Vorrang vor der Beobachtung von Kompetenzen. Beobachtungsverfahren, die "abchecken", was ein Kind kann (oder "noch" nicht kann), laufen immer Gefahr, Kinder an einer Norm zu messen und sie als "gut, durchschnittlich oder gefährdet" zu typisieren.

Was ein Kind von sich aus tut und in Erfahrung bringen will, wird so zum Ausgangspunkt pädagogischen Handelns, nicht was ein Kind schon alles kann. Die Erkenntnisinteressen eines Kindes ernst zu nehmen, heißt also zunächst einmal, sie wahrzunehmen, sie zu beobachten und zu dokumentieren. Aber eben nicht nur das. Sie ernst zu nehmen heißt auch, gemeinsam weiterzudenken, sich als Person mit eigenen Positionen und neuen Gedanken ins Spiel zu bringen. Dies ist der zweite Aspekt.

Sich selbst als nachdenkende Person mit eigenen Gedanken ins Spiel bringen

Eine respektvolle, emotional und kognitiv anregende Interaktion mit einem Kind zu gestalten, heißt selbst involviert zu sein. Und das bedeutet, sich mit eigenen Gedanken ins Spiel zu bringen und dem Kind ein Gegenüber zu sein. Es bedeutet eben nicht nur, das Kind in seiner Entwicklung zu "begleiten", sondern auch eigene gedankliche Impulse zu setzen - in Bezug auf die aktuellen Erkenntnisinteressen des Kindes oder aus dem eigenen Interesse heraus.

Sich mit eigenen Gedanken ins Spiel zu bringen, heißt nicht, in den "Erklärmodus zu schalten" und durch Instruktion den Kindern die Dinge "richtig" zu vermitteln oder - auf den Tagesablauf bezogen -die Kinder per Ansage durch den Tag zu "manövrieren". Es heißt auch nicht, beim reinen Widerspiegeln dessen, was ein Kind fragt, bemerkt oder kommentiert, stehenzubleiben. Beides kommt im heutigen Kita-Alltag allerdings häufig und zwar abwechselnd vor. "Early Childhood Error" wird in der angelsächsischen Literatur das Phänomen genannt. Pädagoginnen vermeiden es in der Praxis eher, sich in kindliche Spielprozesse mit eigenen Gedanken einzubringen und eigene Ideen in gemeinsamen Diskussionen ins Spiel zu bringen, weil sie befürchten, Prozesse zu unterbrechen und die kindliche Entwicklung zu manipulieren.

So wechseln sich Phasen, die nahezu frei sind von Interaktion zwischen Pädagogin und Kind ("Frei"-Spiel), mit Erklär- oder Ansage-Phasen ab (meist freundliche Nicht-Dialoge: "Zieh dir schon mal die Gummistiefel an!", "Warte bitte auf Peter!", "Geht euch schon mal die Hände waschen!"), das Erklär-Angebot für die Gruppe am Vormittag und das reine Widerspiegeln ("Du willst jetzt lieber erst mal in den Garten") im gesamten übrigen Tagesablauf. Vermutlich hängt dieses Phänomen mit einem falschen Verständnis von konstruktivistischen Lerntheorien zusammen. Denn die zugrundeliegende Aufgaben-Alternative aufseiten der Pädagoginnen ist einfach falsch. Sie besteht nicht zwischen Wissensvermittlung und Widerspiegeln, sondern zwischen Wissensvermittlung/Widerspiegeln auf der einen Seite und dem Einbringen der eigenen Gedanken in ein gemeinsames Nachdenkgespräch auf der anderen Seite. Ein dialogischer Prozess, der die gesamte Kita-Zeit umfassen sollte, in dem eigene Gedanken über die Welt, die anderen und sich selbst in das Gespräch einfließen. Respektvoll in diesem zweiten Sinne ist es, beides - den Welterklärungsmodus und den Rückzug -, hinter sich zu lassen und die eigenen Gedanken und Werte als Ideen in die (verbale und nonverbale) Interaktion mit den Kindern einzubringen.

Dialoge aus Fragen der Kinder entwickeln

Wir wollen das an einem Beispiel deutlich machen: Kinder stellen - etwa ab dem Alter von 2 1/2 Jahren - viele Wie- und Warum-Fragen. Diese Fragen stellen sie Erwachsenen, weil sie verstehen wollen, wie die Ereignisse und Dinge in der Welt und wie Handlungen von Personen miteinander zusammenhängen. Sie interessiert, welche Idee die Erwachsenen haben, und sie wollen gemeinsam überlegen. Nehmen wir beispielsweise Anika (4 Jahre), die mit einem Käfer auf der Hand zu ihrer Erzieherin kommt. Der Käfer bewegt sich nicht, und Anika fragt: "Warum kann der Käfer nicht fliegen?" Nehmen wir an, die Erzieherin weiß das nicht genau - und weiß, dass sie das nicht genau weiß. Das kommt ja ziemlich häufig vor. Wie kann die Erzieherin so reagieren, dass sie a) die Frage von Anika ernstnimmt, b) sich selbst als nachdenkende Person ins Spiel bringt und c) Anika zum Selbst- und Weiterdenken ermutigt - also das tut, was die Aspekte einer respektvollen Begegnung beschreiben, die uns hier wichtig sind?

Eine gute Möglichkeit ist, dass sie - nachdem sie den Käfer angeschaut hat - genau das dialogisch tut:

A)   Sie wertschätzt die Frage, das heißt, sie gibt Anika zu verstehen, dass es gut ist, dass sie diese Frage stellt, dass sie nachdenkt und auf eine Abweichung/Unklarheit stößt, für die sie eine Interpretation sucht. Zum Beispiel: "Mhm. Gute Frage" oder "Ja, wirklich".

B)    Sie denkt nach und bringt einen eigenen echten Gedanken ein, eine Hypothese, die ihr plausibel erscheint. Sie markiert diesen Gedanken als Möglichkeit und signalisiert dadurch, dass sie nicht "von oben herab" erklärt, sondern selbst mitdenkt: Zum Beispiel: "Könnte ja sein, dass der gar keine Flügel hat" oder "Ich kann mir vorstellen, dass der sich verletzt hat" oder "Vielleicht ist der noch jung. Ich weiß gar nicht, ob kleine Käfer gleich nach ihrer Geburt schon fliegen können ...".

C)    Und sie signalisiert Interesse an einer Hypothese von Anika, die dann zusammen mit der eigenen Hypothese Ausgangspunkt des gemeinsamen Erwägens werden könnte. Sie gibt die Frage zurück: "Und was denkst du?"

Es ist klar, dass dieser exemplarische Dreischritt kein Rezept ist, derart, dass man ihn stereotyp anwenden sollte. Aber das sind Beispiele ja nie. Er verdeutlicht nur sehr gut, wie mikroskopisch kleinteilig Dialoge wirken, welche impliziten Botschaften sie vermitteln.

Das unbekannte Unbekannte bleibt unbekannt

Wir wissen aus aktuellen Studien, dass Kinder, die als Antwort auf ihre Wie- oder Warum-Fragen nicht rein explizierende Antworten von Erwachsenen bekommen, deutlich häufiger dazu neigen, eigene Hypothesen zu entwickeln.1 Aktuelle Studien zeigen ebenso, dass Kinder durch Erläuterungen der Erwachsenen im Erklärungsmodus ("Ich sage dir jetzt mal, wie das ist ...") am Explorieren gehindert werden und dass Erwachsene, die mit ihnen gemeinsam nachdenken und ausprobieren, sie im selbstständigen Forschen unterstützen.2 Die Autoren der Studie führen das darauf zurück, dass die Kinder von erklärenden Erwachsenen implizit erwarten, dass sie die relevanten Informationen vorstrukturieren und die wesentlichen Informationen herausfiltern. Sie unterstellen im starken Umkehrschluss dabei auch, dass nicht relevant ist, was nicht vermittelt wird. Etwa so: "Was wichtig ist, wird sie mir schon sagen. Was sie nicht sagt, ist nicht wichtig. = Nur das, was sie sagt, ist wichtig." Wie häufig kommt es aber vor, dass wir nicht wissen, was wir nicht wissen? Dieses uns unbekannte Unbekannte könnten Kinder explorierend entdecken - auch für uns, wenn wir nicht durch den Erklärungsmodus vorstrukturieren, sondern einfach mitdenken und mitforschen würden.

Eigene Fragen stellen - Denkprozesse anregen

Sich selbst als denkende Person ins Spiel bringen kann man natürlich auch, indem man selbst Fragen stellt, deren Antwort man nicht genau kennt und von denen man meint, dass die Idee eines Kindes möglicherweise einen gemeinsamen Nachdenkprozess eröffnen könnte. Der gesamte Kita-Alltag bietet unendlich viele Möglichkeiten, Kinder in anregende Gespräche über das, was sie in ihrer Umgebung erleben, zu verwickeln - und sich selbst gleich mit, etwa beim Händewaschen, beim An- und Ausziehen, beim Essen, vor dem Schlafen, beim Bücher-Betrachten, beim Obstschneiden, beim Aufräumen. Und es können auch Fragen sein, die jenseits des beschreibenden Was? Wer? Wo? liegen und die Zusammenhänge zwischen Ereignissen und Handlungen betreffen - Nachdenkfragen also. Beispielsweise "Was denkst denn du, warum ..."-Fragen - sie kommen viel zu selten vor.

Immer wieder fällt auf, dass Kinder die meisten Fragen nur als Scheinfragen kennen, als Fragen, die keine echten sind: Der Lehrer weiß schon die Antwort, er tut nur so, als wüsste er sie nicht, um zu testen, ob die Schüler herausfinden, was die richtige Antwort ist oder eben nicht. Respektvoll sind solche Fragen nicht, sie haben keine wechselseitige gemeinsame Basis. Es sind Kompetenztestfragen, aus denen sich kein echtes Gespräch "auf Augenhöhe" ergeben kann. Eine Frage ist nur dann echt, wenn es ein echtes Erkenntnisinteresse aufseiten des Fragenden gibt. Das kann sich auf die Sache selbst oder auf die mögliche Hypothese des Gegenübers beziehen - also: Wenn es die Pädagogin nicht interessiert, warum Wasser eigentlich nicht nach oben fließt (Vielleicht weil sie denkt, dass sie das schon weiß?), dann kann sie zum Beispiel interessieren, welche Hypothese Anika entwickelt. Auch dann handelt es sich um einen Frage-Echtmacher. Oder man fragt: "Was denkst du, warum kommt durch die Gummistiefel kein Wasser?", "Was meinst du, warum machen wir die Augen zu beim Schlafen?", "Was denkst du, warum sind die Spaghetti eigentlich so lang?"

Wenn sich dann eine Diskussion ergibt, wenn gemeinsam überlegt, erwogen und eben nicht sofort gegoogelt wird (Wikipedia ist der größte Erklärer), kann "Sustained Shared Thinking" (nachhaltig geteiltes Denken) entstehen: eine respektvolle und anregende Interaktion mit großem Einfluss auf die emotionale und kognitive Entwicklung der Kinder, die - wie in einer englischen Langzeitstudie belegt wurde - der entscheidende Indikator für eine gute Kita-Qualität ist.3

Dr. Frauke Hildebrandt
Arbeitsstelle Gorbiks-Transfer - Landesstelle für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) in Ludwigsfelde-Struveshof.

Dr. Christa Preissing
Dipl.-Soziologin und Dr. der Philosophie ist Vizepräsidentin der Internationalen Akademie (INA) gGmbH an der Freien Universität Berlin und Direktorin im Institut für den Situationsansatz der Internationalen Akademie.

Anmerkungen

1 Frazier, B; Gelman, S.; Wellman, H. (2009): Preschoolers Search for Explanatory Information Within Adult-Child Conversation. In: Child Development, 80, 6, S. 1592-1611.
2 Muentener, P.; Schulz, L. (2012): What Doesn't Go Without Saying: Communication, Induction, and Exploration, Language Learning and Development, 8:1, S. 61-85.
3 Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford, Taggart, Elliot (2004): Effective Provision of Pre-School Education Project (EPPE) - Sustained Shared Thinking

Titelthema

Die ganze Welt entdecken

Elternabend in einer Kita, die Erzieherinnen stellen ein neues Projekt vor: Sie planen, im kommenden Jahr mit den Kindern der beiden Gruppen die Kita-Räume an jedem Freitag zu verlassen und den Tag in der Umgebung zu verbringen. Das Projekt soll bei jedem Wetter stattfinden, zu Beginn soll das Ziel ein urwüchsiges Waldgelände sein. Die grüne Gruppe besuchen zehn Kinder zwischen null und drei Jahren, in der gelben Gruppe sind vierundzwanzig Kinder zwischen zwei und sechs Jahren.

Viele Eltern der grünen Gruppe sind besorgt: "Was soll mein kleines Kind in der Wildnis? Da gibt es Wurzeln, über die selbst ich stolpere. Außerdem gibt es giftige Pflanzen, Wespen und Zecken. Das ist alles viel zu gefährlich für mein Kind!", "Wie wollen Sie die Kinder da draußen wickeln?", "Wie soll mein Kind da schlafen?", "Da ist es doch viel zu dreckig für die Kleinen!"

Auch in der gelben Gruppe gibt es Einwände: "Mein Kind kommt diesen Sommer in die Schule. Nur in den Wald zu gehen, ist mir da zu wenig Förderung. Man könnte sich um eine Führung beim Förster kümmern. Dann lernen die Kinder, wie Bäume und Tiere heißen.", "Warum gehen Sie mit den Kindern nicht lieber in unsere schönen Museen? Da soll es tolle Führungen extra für Kinder geben."

Die Kita-Mitarbeiterinnen können diese Äußerungen nachvollziehen. Sie haben selbst ähnliche Fragen gestellt, als eine Kollegin ihre Idee zu dem Projekt vor einigen Monaten in der Team-Besprechung vorstellte. Zunächst lehnten viele den Vorschlag ab.

Behutsam gehen die Pädagoginnen an diesem Abend auf die Einwände der Eltern ein. Dabei greifen sie auf Erfahrungen ihres letzten Konzeptionstages "Nachhaltige Bildungsbegleitung an Lernorten außerhalb der Kita" zurück. Zum Einstieg stellte die Fortbildnerin als Aufgabe: "Reisen Sie in Gedanken zurück in Ihre Kindheit. An welchen Orten haben Sie besonders gerne gespielt? Was haben Sie dabei gelernt?" Nun geben die Pädagoginnen diese Fragen an die Eltern weiter. "Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, denke ich als Erstes an Freiheit. Wir waren fast immer draußen - bei jedem Wetter. Wir waren im Wald, am Bach, in den Feldern, im Dorf. Wir konnten machen, was für uns wichtig war", erzählt ein Vater. Viele Eltern sind berührt. "Das erleben meine Kinder heute so nicht mehr", äußert eine Mutter betroffen.

"Wir fühlten während des Konzeptionstages ähnlich", berichtet eine Erzieherin. "Mit der Fortbildnerin haben wir auch den Kita-Alltag untersucht und mit aktuellen Theorien zu frühkindlichem Lernen verglichen. Bildungsforscher betonen heute: Bildung beginnt mit der Geburt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnen Kinder, ihre Umgebung mit ihren Mitteln, der Motorik und den Sinnen aktiv wahrzunehmen. Auch hier in der Kita erleben wir die Neugierde der Jüngsten. Wie oft klopften die Kleinen zum Beispiel letzte Woche im Park mit den Schäufelchen gegen alles, was in ihrem Umfeld lag: Auf Eimerchen, Förmchen, sogar auf der Sandkistenbegrenzung und den Baumstämmen wurden Töne produziert.

Mit der Fortbildnerin haben wir uns hier wichtige neuronale Vorgänge so erklärt: Im Gehirn werden Erfahrungen gesammelt (So klingt der Eimer, das Förmchen, der Sandkastenrand). Aktuelle Eindrücke werden mit Vorerfahrungen verknüpft (So klingt der Eimer, dessen glatte Oberfläche meine Finger gestern erfühlt haben). Zudem werden die Erlebnisse emotional codiert (So klingt der Eimer, dessen glatte Oberfläche meine Finger erfühlt haben. Das fühlte sich angenehm an. Schön! - Als ich mit der Zunge am Eimer geleckt habe, hat Mama geschimpft. Ich musste weinen. Nicht schön!) Stets begleiten solche positiven oder negativen Bewertungen unsere Erinnerungen. Woher Gefühle und Vorstellungen kommen, ist meistens nicht mehr nachvollziehbar. Die neuronalen Verarbeitungsprozesse erfolgen zum größten Teil unbewusst."

Die Leiterin führt aus: "Uns wurde klar, dass vereinzelte Erlebnisse nur schwache Spuren im Gedächtnis hinterlassen. Sich wiederholende Erfahrungen führen dagegen zu starken Eindrücken. Nach und nach entstehen im Kopf der Kinder persönliche Abbilder der Charakteristika ihrer direkten Umwelt. Das Geniale am menschlichen Lernen ist, dass wir nie aufhören, zu lernen. Unsere Gehirne integrieren lebenslang neue Aspekte, die unsere bestehenden Vorstellungen aktualisieren."1

Forschergeist in Windeln

Eine Mutter meldet sich zu Wort: "Früher wurden die ersten Lebensjahre gerne die 'dummen Jahre' genannt. Meine Nachbarin sprach so auch über mein Kind. Das hat mich gekränkt!" Ein Erzieher antwortet: "Ich kann Sie gut verstehen. Aber heute werden die Fähigkeiten der Kinder geachtet. Oft wird vom Forschergeist in Windeln2 gesprochen. Mir gefällt besonders die Bezeichnung Anfängergeist3. Kinder erleben in der für sie neuen Welt alles erstmalig. Sie sind Anfänger, die entdecken, erproben, üben müssen. Aber sie sind kompetent, sie können dies selbst bewerkstelligen. Während des Konzeptionstages haben wir geklärt, was Achtung von Anfängergeist und Selbstbildungsprozessen für unser Projekt bedeutet. Wir werden dafür sorgen, dass die Kinder die Beschäftigungen, die ihnen wichtig sind, über lange Phasen wiederholen und variieren können - so lange, bis sie uns selbst zeigen, dass ihr Forschen nach intensiven Auseinandersetzungen beendet ist. Deshalb werden wir zunächst mindestens zehn Mal hintereinander in den Wald gehen. Wir möchten immer dieselbe Stelle aufsuchen, damit die Kinder diesen Ort intensiv kennenlernen."

Eine Mutter ist unzufrieden: "Wir gehen jeden Sonntag spazieren. Mein Kind kennt die Natur! Besuchen Sie mit den älteren Kindern lieber ein Museum. Das können Sie auch mehrmals hintereinander machen."

Die Pädagogen nehmen den Einwand auf: "Uns ist es wichtig, dass die Kinder zunächst einmal nachhaltige Erfahrungen mit ihrer konkreten Umwelt machen können. Ein besonders geeigneter Lernort hierfür ist die Natur. Das Terrain im Wald ist nie so eben, wie die Kinder es von Bürgersteigen, Spielplätzen oder Gärten gewohnt sind. Überall gibt es dort zum Beispiel kleine Gefälle, die beim Laufen ausbalanciert werden müssen. Für ungeübte Kinder ist schon dies eine enorme Leistung. Immer wieder staune ich, wie sie solche Anforderungen nebenbei - im Spiel - bewältigen." Eine starke Motivation ist hier das Vorbild der anderen Kinder. Die machen vor, was zu schaffen ist, fordern zum Mittun auf.

Mit allen Sinnen lernen

Eine zweite bedeutsame Quelle dafür, sich Herausforderungen zu stellen, liegt in den vielfältigen Reizen der Umgebung. Die besonderen Bedingungen in der Natur stellen an Hörsinn, Riechsinn, Sehsinn und Geschmackssinn neue Aufgaben. Jedes Kind kann selbst entscheiden, welchen Herausforderungen es sich stellen mag. Viele Kinder erproben sich an Hängen oder probieren, auf Baumstämmen zu balancieren. Manche lieben es, an Ästen zu schaukeln oder darauf zu wippen. Bei diesen Aktivitäten entwickeln sie nach und nach ihren Gleichgewichtssinn weiter. Kinder mit 'verinnerlichter Balance' können sich sicher im Raum orientieren. Sie verstehen, was oben, unten, rechts, links, nah, fern bedeuten, und sie können dieses Wissen malend, schreibend, lesend und rechnend umsetzen.

Beim Klettern und Hangeln oder beim Schleppen schwerer Äste ist auch der Bewegungssinn im Spiel. Der eigene Körper, die Fähigkeit der Muskeln, die Möglichkeiten der Bewegungen werden lustvoll ausgelotet und nach und nach gestärkt. Und nicht zu vergessen: der Tastsinn. Dieser Sinn nimmt Berührungen, Druck, Spannungen, Schmerz und Temperatur auf und macht so Form, Größe und Konsistenz nachvollziehbar. In der Umgangssprache sagen wir ja auch: 'Das habe ich be-griffen.'"

Der Praktikant lacht: "Ich denke da an unsere Zweijährigen. Sie haben im Park Laub in die Eimerchen gefüllt und mir als 'Suppe' angeboten. Das war ein wichtiger Schritt, erste Vorstellungen von der Welt - hier vom Inhalt der Eimer - fantasievoll auszudrücken, in Worte zu fassen. Die Vierjährigen, die im Park dabei waren, haben geschimpft. Für sie war es unvorstellbar, dass kein Wasser im Eimer war, dass die 'Suppe' nicht feucht war. Ältere Kinder sind eben schon erfahrener, haben realistischere Vorstellungen, die sie vielfältig ausdrücken, zum Beispiel in Bildern, in Rollenspielen, in Konstruktionen."4

Eine Erzieherin fügt hinzu: "Es ist immer wieder spannend, was die Kinder sammeln und wie sie ihre Fundstücke einordnen. Neulich waren wir auf dem Markt. Wir wollten Obst kaufen. Auf dem Boden gab es kleine Steine - für viele Kinder das Interessanteste am Ausflug. Sämtliche Hosentaschen wurden bis zum Rand gefüllt. In der Kita wurden die Steine dann nach und nach ausgepackt. Auf einmal fiel das Wort 'Milchzähne'. Tatsächlich hatten diese Steine eine ähnliche Größe, Form und Farbe. Und dann wurde sortiert und geordnet: Ein flacherer Stein wurde zum Schneidezahn und durfte nicht bei den kompakten 'Backenzähnen' liegen. Es gab 'Reißzähne' (spitze Steine), 'Kaffee-Zähne' (größere Steine) und viele weitere Bezeichnungen. Die Kinder übertragen hier wichtige Eigenschaften von Dingen, die sie begriffen haben, und suchen für sie passende Worte. Ich bezeichne die Denkstrategie, die dahinter steckt, gerne als 'Ist-wie-Denken'. Die kleinen Steine erinnern an Milchzähne. Es gibt größere Steine, die sind wie die Zähne der körperlich größeren Erwachsenen. Erwachsene trinken keine Milch mehr, sondern Kaffee - also sind die großen Steine 'Kaffee-Zähne'.

Es ist wichtig, solche Wortschöpfungen von Kindern nicht zu korrigieren, sonst vermittelt man ihnen, ihre Erklärungs-Strategien seien falsch. Es ist nicht förderlich, wenn Lösungen von anderen vorgeben werden."

Ein Vater meldet sich: "Solche spannenden Entdeckungen wie am Marktplatz macht man wohl wirklich am ehesten, wenn man die Kita immer wieder verlässt. Und solche Abenteuer soll es nun jeden Freitag bei Ihnen geben?" Die Pädagoginnen freuen sich: "Der Begriff Abenteuer erscheint uns wirklich passend - denn wir machen uns gemeinsam auf, die 'ganze Welt zu entdecken'. Anders als bei einer Führung legen wir nicht vorher Lernziele und Vermittlungsformen fest. Gemeinsam mit den Kindern sind wir offen für das, was die Orte, die wir aufsuchen, anbieten. Im Fokus steht, was die Kinder daraus machen. Wir nehmen Papier, Stifte und Kamera mit, um spannende Lernprozesse festzuhalten. Wann immer es passt, führen wir die Draußen-Erfahrungen in der Kita fort, zum Beispiel in Rollenspielen, im kreativen Gestalten oder auch, indem wir zum Thema passende Sachbücher besorgen."

"Und freitags geht es jetzt immer in den Wald!", schließt eine Mutter. "Nein", erklärt die Leiterin, "wir haben den Wald nur als ersten Ort für unser Projekt ausgesucht. Es gibt noch viele weitere Orte, die wir erkunden möchten, etwa die Hochhäuser am Stadtrand, die Brücke am Stadtring, die Parks in der Innenstadt. Unsere Exkursionen sollen dazu beitragen, dass unsere Mädchen und Jungen vielfältige Vorstellungen über ihre Welt 'verinnerlichen'. Dabei stärken sie ihre sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten, ihre Motorik, ihr Selbstbewusstsein, finden Anlässe, über Phänomene der Welt nachzudenken. Dies sehe ich als tragfähiges Fundament für aktuelle und spätere Bildungsaufgaben."

Barbara Bach
Dipl.-Pädagogin und Fortbildnerin, arbeitete mit im Modellprojekt "Lernwerkstatt Natur" in Trägerschaft der Stadt Mülheim an der Ruhr, Leiterin der KiTa HdF-Pünktchen in Köln.

Anmerkungen 

1 Vgl. Manfred Spitzer: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg 2002, S. 12/13; S. 75 - 78, S. 94 - 98; S.157 ff.
2 Alison Gopnik/Paricia Kuhl/Andrew Meltzoff: Forschergeist in Windeln, München 2003.
3 Gerd E. Schäfer: Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens; Weinheim 2011; S. 57 ff.
4 Wie dies geschehen kann, beschreibt Angelika von der Beek in: Bildungsräume für Kinder von Drei bis Sechs; Weimar 2010.

Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband

Die Verbandsgründung, eine Initiative des Frauenbunds

Im Juni 2012 feiert der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer neuen Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse in der Geschichte des Verbands. Im Fokus dieser Ausgabe steht der Prozess der Verbandsgründung, dargestellt von Heribert Mörsberger.

Das ausgehende 19. Jahrhundert und der Beginn des 20. Jahrhunderts waren gekennzeichnet durch umwälzende technische, wirtschaftliche und daraus folgende gesellschaftliche Veränderungen. Die einsetzende Industrialisierung mit ihren neuen Produktionsverfahren hatte gravierende Auswirkungen, insbesondere auf die familiäre Lebenssituation der Menschen. Die Trennung von Arbeitsplatz und privatem Lebensraum veränderte das Zusammenleben in Familie und Nachbarschaft, industrielle Unternehmensstrukturen hatten eine Zunahme verdichteter Wohnformen in urbanen Regionen zur Folge, der Bewegungsraum für Kinder wurde extrem eingeschränkt.

Im Verlauf dieser Entwicklungen hatten sich insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche örtliche Initiativen entwickelt, deren Ziel es war, die mit den neuen Lebenssituationen verbundenen Belastungen zu mindern und gezielte Hilfen bereitzustellen. Dabei lag ein Schwerpunkt bei der Sorge um die Sicherung kindgerechter Entwicklungsbedingungen. Es waren damals fast ausschließlich private Vereine, Klöster und Stiftungen, die - den jeweiligen örtlichen Erfordernissen entsprechend - Betreuungsmöglichkeiten für Kinder schufen.

Doch auch staatliche Stellen sahen sich herausgefordert, für soziale Notlagen neue Lösungswege zu entwickeln. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren durch die "Bismarck'schen Sozialgesetze" wesentliche Hilfen gegen Notfälle durch Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit entwickelt worden. Der Staat erkannte zunehmend auch seine Mitverantwortung, die Arbeit der freien gesellschaftlichen Kräfte zu ordnen, zu stützen und - im Vergleich zu heute wenigstens in bescheidenem Umfang - auch finanziell zu fördern. Diese öffentlichen Unterstützungsaktivitäten waren freilich keineswegs selbstverständlich, sondern mussten mühsam durch politische Initiativen und zähe Verhandlungen herbeigeführt werden.

Instrument solcher bürgerlichen Initiativen war zu dieser Zeit unter anderem die Bildung von Vereinen. Sie gewannen umso mehr an Einfluss, je besser es ihnen gelang, eine möglichst große Anzahl von Mitgliedern zu werben, um in deren Namen wirkungsvoll gemeinsame Forderungen vortragen zu können und auf deren Erfüllung zu pochen.

Ein mehrjähriger Prozess

Das Jahr 1912 gilt als Gründungsjahr des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V., der deshalb 2012 sein 100-jähriges Bestehen festlich begehen wird. Bei genauerer Betrachtung der Verbandsgeschichte zeigt sich freilich, dass die Gründung in Stufen erfolgte und ein mehrjähriger Prozess war, der im Wesentlichen den Zeitraum zwischen 1906 und 1920 umfasste.

Bereits in den Jahren 1906/07 erschien in der Zeitschrift "Die Christliche Frau", dem Organ des Katholischen Frauenbunds, eine Artikelserie unter dem Titel "Notwendigkeit, Ziel und Ausbau des Kindergartens", in dem die dringende Notwendigkeit des Auf- und Ausbaus katholischer Kindergärten gefordert wurde. Das wissenschaftliche Interesse hatte sich ebenso wie gesellschaftspolitische Fragestellungen der Lebenssituation von Kleinkindern gewidmet. Die Deutsche Zentrale für Jugendfürsorge stellte auf ihrer 8. Berliner Konferenz im November 1910 zehn Leitsätze auf, die wesentliche Elemente einer Kleinkindfürsorge für die kommenden Jahre benannte und zur Gründung von Zentralstellen für Kleinkinderfürsorge aufrief. Dabei wurde ein gravierender Streitpunkt zwischen kommunalen und konfessionellen Einrichtungen deutlich, als gefordert wurde: "Das Ziel wird aber immer die völlige Verstaatlichung der Krippen und Kindergärten sein müssen."

Im Juni 1911 fand in Dresden die erste deutsche Kinderhortkonferenz statt, an der sich auch der katholische Frauenbund aktiv beteiligte. Nach dieser Konferenz setzten starke Bestrebungen ein, einen Deutschen Kinderhortverband zu gründen. Der katholische Frauenbund sah hier die Gefahr, dass die spezifischen Sichtweisen der katholischen Einrichtungen untergehen könnten.

Gründung des "Zentralverbands katholischer Kinderhorte Deutschlands"

Dies führte dazu, dass bereits am 29. Mai 1912 auf Anregung des katholischen Frauenbunds unter Beteiligung des Bonner Kaplans Lenné in Köln der "Zentralverband katholischer Kinderhorte Deutschlands" gegründet wurde. Die Gründung des allgemeinen Deutschen Kinderhortverbands erfolgte erst fünf Monate später im November 1912. Erste Vorsitzende des Zentralverbands wurde Paula Böttrich, die Vorsitzende der Bonner Ortsgruppe des Katholischen Frauenbunds, Marie Buczkowska aus München ihre Stellvertreterin. Geistlicher Beirat wurde Kaplan Lenné, juristischer Beirat der spätere Reichskanzler Wilhelm Marx. Prälat Lorenz Werthmann hielt beim ersten öffentlichen Auftritt des Zentralverbands als Vorsitzender - später Präsident - des Deutschen Caritasverbands (DCV) das Hauptreferat und erinnerte in seiner Rede an den Anstoß zur Gründung des katholischen Verbands durch die Bestrebungen, einen interkonfessionellen deutschen Hortverband zu gründen.

Gründung des "Zentralverbands katholischer Kleinkinderanstalten Deutschlands"

Eine vergleichbare Bestrebung gab es seinerzeit nicht für den Kindergartenbereich. Zwar hatte sich im Jahr 1912 auch der "Allgemeine deutsche Verein der Kindergärtnerinnen" gegründet, der aber für den katholischen Bereich keine Auswirkungen hatte, weil dort ausschließlich Ordensangehörige tätig waren, die an einem solchen Zusammenschluss kein Interesse zeigten. 1915 gründete sich der "Deutsche Ausschuss für Kleinkindfürsorge".

In dieser Zeit war Alexe Hegemann, die zuvor am Pestalozzi-Fröbelhaus in Berlin zur Kindergärtnerin ausgebildet worden war, durch Weihbischof Justus Knecht nach Freiburg als Leiterin des dortigen katholischen Kindergärtnerinnenseminars berufen worden. Sie baute im Auftrag von Lorenz Werthmann an der Zentrale des DCV das "Referat Kinderfürsorge" auf und setzte einen deutlichen Schwerpunkt auf die inhaltlich-pädagogische Profilierung der Arbeit in den katholischen Einrichtungen der Kinderfürsorge. Nachdem der Hortverband die von Prälat Werthmann angeregte Aufnahme von Kleinkinderanstalten abgelehnt hatte, kam es am 29. Februar 1916 in Köln zur Gründung eines eigenen Zentralverbands katholischer Kleinkinderanstalten Deutschlands. Alexe Hegemann übernahm den Vorsitz, und Prälat Lenné wurde Geistlicher Beirat, womit er eine personelle Klammer zwischen beiden Zentralverbänden bildete.

Die Folgen des Weltkriegs stellten die Wohlfahrtspflege im Allgemeinen und die Kleinkindfürsorge im Besonderen vor zunehmend schwierigere Aufgaben. Es galt, die Notsituation der Kinder zu überwinden und zugleich die neuen Möglichkeiten politischen Handelns in der Weimarer Republik zu nutzen. Dabei stellte die komplizierte Organisationsstruktur der beiden Zentralverbände (ZV der Kinderhorte in Bonn, ZV der Kleinkinderanstalten in Freiburg) ein Hindernis für effektives Handeln dar.

Bereits Mitte Oktober 1918 hatte deshalb der Vorstand des Hortverbands eine Änderung der Organisation geplant, und auch der Vorstand des Verbands der Kleinkinderanstalten sprach sich am 29. Juli 1919 für eine neue Organisation der katholischen Kinderfürsorge aus. Freilich hatten beide Vorstände deutlich unterschiedliche Zielvorstellungen, wie sich bei einer gemeinsamen Sitzung beider Vorstände im Oktober 1919 in Essen zeigte.

Im Wesentlichen ging es um die Frage, ob die Anliegen der einzelnen Einrichtungen auf Diözesanebene gebündelt und von dort auf Reichsebene in einem "Katholischen Ausschuss für Kinderpflege und Erziehung" zusammengefasst werden, wie es den Vorstellungen von Alexe Hegemann entsprach, oder ob die einzelnen Einrichtungsarten sich als Fachverbände - mit diözesanen Untergliederungen - auf Reichsebene zusammenschließen und als solche den "Katholischen deutschen Reichsausschuss für Kinderfürsorge und Kinderschutz" bilden, was Prälat Lenné forderte. Letztere Position berief sich auf die "Richtlinien über das Verhältnis des Caritasverbands und seiner Zweigvereine zu den Fachorganisationen", die von der Fuldaer Bischofskonferenz 1917 verabschiedet worden waren. Demnach stand dem DCV ein Eingriff in die Tätigkeit einer Fachorganisation nicht zu.

Der "Zentralverband katholischer Kinderhorte und Kleinkinderanstalten Deutschlands"

So kam es am 28. Juli 1920 auf einer Mitgliederversammlung in Fulda zur Verschmelzung beider Verbände zum "Zentralverband katholischer Kinderhorte und Kleinkinderanstalten Deutschlands e. V." mit Sitz in Bonn. Vorsitzender des Verbands wurde Diözesanpräses Lenné; zu stellvertretenden Vorsitzenden wählte die Versammlung die bisherigen Vorsitzenden der Einzelverbände, Paula Böttrich und Alexe Hegemann.

In der Frage der Organisation hatten sich die Vorstellungen von Prälat Lenné weitgehend durchgesetzt. Die Fuldaer Bischofskonferenz fasste 1920 den Beschluss: "... zur wirksamen Vertretung der katholischen Interessen bei gesetzgeberischen Maßnahmen über Kinderfürsorge ist ein Zusammenschluss aller katholischen Verbände, die sich der Kinderfürsorge widmen, zu einem Zentralausschuss für katholische Kinderfürsorge mit Diözesanausschüssen wünschenswert und zu erstreben." So wurde der Zentralverband katholischer Kinderhorte und Kleinkinderanstalten Deutschlands, gemeinsam mit den anderen Fachverbänden der Kinderfürsorge, zur legitimen Vertretung gegenüber der Politik. Prälat Lenné wurde der erste Vorsitzende des von den Bischöfen erwünschten Zentralausschusses für katholische Kinderfürsorge, die Geschäftsführung dieses Ausschusses freilich hatte sich Alexe Hegemann in der Zentrale des DCV in Freiburg gesichert. Später kam es zu Spannungen zwischen Hegemann und Lenné, die durch Vermittlung des Kölner Kardinals Schulte schließlich 1924 zum Verzicht von Lenné auf den Vorsitz im Ausschuss führte.
Der Hortverband und später der gemeinsame Zentralverband haben von Beginn an versucht, durch die Gründung von Landesverbänden einen regionalen und organisatorischen Unterbau zu schaffen. In München waren bereits 1912 erste Überlegungen angestellt worden, den bestehenden örtlichen Hortverband zu einem Landesverband auszubauen. Am 24. Januar 1917 kam es schließlich zur Gründung dieses bayerischen Landesverbands. Weitere Verbände wurden gegründet in Breslau (1918), Freiburg/Baden, Württemberg und Berlin (jeweils 1921); für Köln wurde 1921 das Diözesanpräsidium für katholische Kinderfürsorge geschaffen.

Heribert Mörsberger
Dipl.-Volkswirt und Sozialarbeiter, von 1970 bis 1992 Geschäftsführer des KTK (vormals Zentralverband katholischer Kindergärten und Kinderhorte Deutschlands e. V.), Mitglied in nationalen und internationalen Fachgremien für Fragen der Kinder- und Jugendhilfe.

Standpunkt

Schattendasein in der Kita

Eigentlich ist alles doch gar nicht so schlimm, oder? Für den Fall, dass Sie eine Kindertageseinrichtung leiten und unter Dauerstress stehen, alles kein Problem. Nutzen Sie doch einfach eines der vielen und punktgenau auf Sie zugeschnittenen Angebote, und Sie kriegen diesen Wust an Aufgaben schon in den Griff. Qualifizieren Sie sich beispielsweise zur Sozialwirtin weiter, und schon klappt es mit dem Verwalten. Oder buchen Sie ein Seminar zum Thema Zeitmanagement, und Ihren Terminstress können Sie vergessen. "Bleiben Sie entspannt und optimistisch, und bringen Sie Ihre Kita in den nächsten vier Wochen entscheidend voran." Wie das geht? Keine Frage. Hierzu werden Ihnen im Internet fünf Strategien angeboten, mit denen Sie Ihre Kita "souverän durch diese turbulente Zeit steuern".

Vielleicht hilft das eine oder andere Angebot tatsächlich. Auf Dauer vermutlich aber eher nicht. Eine Kindertageseinrichtung in diesen "turbulenten Zeiten souverän zu steuern" setzt nämlich voraus, dass Leitungskräfte ausreichend vom Gruppendienst freigestellt sind. Doch wie steht es damit bundesweit? Genaue Zahlen hierüber zu ermitteln, ist gar nicht so leicht. Fakt ist jedoch, dass in den nahezu 50900 Kindertageseinrichtungen in Deutschland gerade mal ein Drittel der Leitungskräfte vollständig vom Gruppendienst befreit ist. Dies geht aus dem Ländermonitor "Frühkindliche Bildungssysteme 2011" der Bertelsmann Stiftung hervor. Etwa gleich hoch ist der Anteil der Leiterinnen und Leiter, die stundenweise nicht in der Gruppe arbeiten. Überhaupt nicht freigestellt sind rund 40 Prozent, so die Zahlen der Kita-Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) von 2007. Klar, diese Daten sind schon etwas älter.

"Es ist beschämend, dass die Frage der Freistellung von Kita-Leitungen in der aktuellen politischen Debatte ein Tabuthema ist."

Wir können aber davon ausgehen, dass fünf Jahre später keine wesentliche Verbesserung eingetreten ist. Darauf deuten die ganz unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern hin. In einigen ist dazu übrigens gar nichts geregelt. Hier kommt es auf den guten Willen der Kommunen und der freien Träger an.

Leitungskräfte von Kindertageseinrichtungen steuern ihre Organisation. Sie übernehmen Aufgaben, die weitgehend vergleichbar sind mit dem Management eines Wirtschaftsunternehmens. Leiterinnen und Leiter von Kitas sind für die Personalführung verantwortlich, sie initiieren Weiterentwicklungsprozesse, gestalten Kooperationsbeziehungen und stellen ihre Einrichtungen nach außen dar. Vielfach sind sie auch für die Akquisition von Geldern zuständig, entwickeln Personalentwicklungsstrategien für ihr Team und koordinieren die vielfältigen Angebote ihrer Kita. Sie brechen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf den Kita-Alltag herunter und bereiten diese für ihr Team auf. Außerdem sind Leitungskräfte das Bindeglied zwischen ihrer Kindertageseinrichtung und dem Träger beziehungsweise der Gemeinde.

Angesichts dieser Bedeutung ist es fast schon beschämend, dass die Frage der Freistellung von Kita-Leiterinnen und -Leitern in der aktuellen politischen Debatte ein Tabuthema ist. Kitas brauchen freigestellte Leitungskräfte, und ab vier Gruppen muss eine volle Freistellung von der pädagogischen Arbeit selbstverständlich sein. Es ist an der Zeit, dass diejenigen, die Kindertageseinrichtungen täglich ins Licht der Öffentlichkeit rücken, aus ihrem Schattendasein hervorgeholt werden.

Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.

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