Titelthema
Farben, Farben und noch mehr Farben
"Eines Tages trat Malwida, die Königin, vor ihr Schlosstor." So beginnt Jutta Bauer ihr Bilderbuch über Malwida, die Königin der Farben. "Sie rief ihre Untertanen." Nacheinander kommen das sanft-milde Blau, das umwerfend-wild-gefährliche Rot und schließlich das warme und helle, aber auch zickig-gemeine Gelb. Dann kommt der Streit zwischen allen. Was bleibt, ist schließlich das Grau und mit ihm die Trauer. Malwida schimpft zuerst, dann aber ist sie nur noch traurig. Die vielen Tränen, die aus ihr hervorquellen, sind rot, blau und gelb. Sie vertreiben das Grau und machen ihre Welt wieder bunt. Nun lacht Malwida, sie spielt mit den Farben und ist fröhlich.
Jutta Bauer fängt mit dieser kleinen Geschichte einfach und tiefgründig die Bedeutung der Farben ein. Farben wirken: Sie wecken Emotionen. Wild und gefährlich reitet Malwida auf dem Rot, innig und in sich gekehrt öffnet sie sich dem Blau, genussvoll gibt sie sich dem Gelb hin und hilflos leidet sie unter dem Grau. Am Ende schließlich spielt sie fröhlich mit allen Farben.
Farben sind pure Energie. Sie strömen auf Malwida ein und bewegen sie. Jutta Bauer zeichnet die Spiele zwischen Malwida und den Farben als wahre Explosionen. Die Königin steht wie unter Strom. Sie hüpft, tanzt und schlägt Purzelbäume. Das letzte Bild zeigt sie stehend, wie sich die Farben aus ihr anstelle der Haare als strahlende Energieströme ergießen.
Die Farben wirken auf Malwidas Psyche, auf ihre Gefühle und Stimmungen. Sie wecken Wohlsein und Unwohlsein, bereiten Freude und machen traurig, trösten und bringen zum Weinen. Sie wirken heilend und regen Heilungsprozesse an - und sie wirken unheilvoll und verstärken Krankheitsprozesse.
Farben sind Eindruck und Ausdruck. Sie sprechen Malwida an und wecken in ihr Ideen. Malwida wird aber auch selbst aktiv und nutzt die Farben wie eine Sprache, um ihr Inneres und ihr Erleben auszudrücken.
Die große Vielfalt der Farben
Es scheint unzählige Farben und Farbabstufungen zu geben. Bei genauerem Hinsehen werden einzelne Gruppen erkennbar, und die Flut der Farben wird überschaubar. Da gibt es die sogenannten Körperfarben mit den Primärfarben Gelb, Rot und Blau. Ihre Mischungen ergeben die Sekundärfarben: Violett, Orange und Grün. Deren Mischungen ergeben schließlich die Tertiärfarben: Braun, Oliv und buntes Grau. Neben den Körperfarben gibt es die Lichtfarben des Regenbogens, die Farben der Metalle (Gold, Silber, Kupfer) und die unbunten Farben (Schwarz, Weiß und deren Mischung, das unbunte Grau).
In Märchen und Geschichten, in der Bibel und der Religion findet sich die ganze Vielfalt der Farben wieder. Manche Einzelfarben stehen jedoch im Vordergrund. Um einige davon soll es im Weiteren gehen: um das Rot der Körperfarben, das Weiß der Lichtfarben und das Gold der Metallfarben.
Die Farbe Rot in Märchen und Geschichten
Wer trägt rote Haare? Pippi Langstrumpf, die rote Zora, Pumuckl, das Sams, Wicki und die kleine Hexe. Jede dieser Figuren bringt ihre Umwelt ziemlich durcheinander und stellt sie auf den Kopf. Dabei entlarven sie so manche Lebenslüge und Schwäche der Erwachsenen. Sie sind Identifikationsfiguren. Jedes Kind will - wenigsten vorübergehend - so sein wie sie: so stark und selbstständig wie Pippi, so wild wie Zora, so lustig wie Pumuckl und das Sams, so klug wie Wicki und so mutig wie die kleine Hexe. All diese Figuren mit roten Haaren haben etwas Revolutionäres und Unangepasstes.
Rote Lippen sind im Gegensatz zu roten Haaren im Märchen ein Zeichen von Schönheit. "Rot wie Blut, weiß wie Schnee und schwarz wie Ebenholz": Das sind die Bausteine, aus denen die überragende Schönheit von Schneewittchen entsteht. Diese Schönheit wird ihr allerdings fast zum Verhängnis: Der Neid der Stiefmutter verfolgt sie - Gott sei Dank erfolglos.
Die Farben Weiß und Gold in der Bibel
Gott erscheint dem Propheten Daniel in einem weißen Gewand mit weißem Haar (Daniel 7,9), und auch ein Engel zeigt sich in einem weißen Gewand mit einem goldenen Gürtel (Daniel 10, 5). Ebenso sind die Engel, die von der Auferstehung künden, in Weiß gekleidet (Markus 16,5), ebenso wie die Engel bei der Himmelfahrt Christi (Apostelgeschichte 1,10). Das Gewand Christi wird weiß, als er vor den Augen seiner Jünger verklärt wird: "seine Kleider wurden strahlend weiß" (Markus 9,3) und "blendend weiß wie das Licht" (Matthäus 17,2).
Die letzten Zitate geben Hinweise darauf, welches Weiß hier gemeint ist. Es ist das Weiß der Lichtfarben. Diese Farbengruppe umfasst farbige Lichter. Sie entstehen durch selbstleuchtende Körper, die strahlen, und nicht durch Pigmente wie Körperfarben. Lichtfarben sind durchsichtig, leicht und schimmernd. Und sie haben ein anderes Mischungsverhalten als Körperfarben: Sie mischen sich additiv. Das bedeutet, dass mit jeder Farbe, die dazukommt, mehr Licht hinzukommt. Dadurch wird die Farbe immer heller, bis sie schließlich ganz weiß ist. Das Weiß als Lichtfarbe ist das reine Licht. Es integriert und vereint in sich alle Farben. Es ist die Farbe des "alles in allem".
Gold ist wie Silber und Kupfer eine Metallfarbe und eng verbunden mit dem jeweiligen kostbaren Metall. In der Bibel ragen drei ganz unterschiedliche Stellen heraus, in denen die Farbe Gold ein Rolle spielt: das "Goldene Kalb" (Exodus 31,18), die "Goldene Regel" (Matthäus 7,12) und das "Himmlische Jerusalem" (Offenbarung 21,18).
Das "Goldene Kalb" ist der Inbegriff dafür, dass Menschen irdische Dinge vergöttern. Das können materielle Güter sein wie Besitz, aber auch immaterielle wie Erfolg, Schönheit und Macht. Diese Dinge betrügen die Menschen mit ihrem schönen Schein.
Die "Goldene Regel" dagegen hält, was sie verspricht. Sie ist eine Grundregel für ein gutes Leben. Jesus bündelt in ihr seine Ethik: "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen."
Das "Himmlische Jerusalem" schließlich ist eine Vision aus der letzten Schrift des Neuen Testaments. Sie zeichnet mit zum Teil ziemlich verschlüsselten Sprachbildern das Weltenende. Sie verheißt: Wenn die alte Welt gerichtet und untergegangen ist, entsteht das Himmlische Jerusalem als "Stadt aus reinem Gold, wie aus reinem Glas" (Offenbarung 20,18). Diese Stadt ist der Mittelpunkt der Neuen Erde. Die Vision des "Himmlischen Jerusalems" aus Gold und Licht prägt durch die Jahrhunderte hindurch entscheidend den Bau und die Ausstattung der christlichen Kirchen.
Innozenz III und die Farben im Gottesdienst
Die Christen entwickelten in den ersten Jahrhunderten nur eine geringe Farbensymbolik. Für sie gab es Weiß und die Farbpalette, die mit Hilfe der Purpurschnecke hergestellt werden kann. Weiß ist eine grundlegende Farbe für Christen. Es zeigt die Wirkungen der Taufe: Vergebung der Sünden und eine besondere Nähe zu Gott (das Lichtweiß Gottes!). Im Gottesdienst erscheint das Weiß in der Albe (von lat. albus = weiß), dem liturgischen Untergewand: ein einfaches, langärmeliges und bodenlanges weißes Gewand. Die Albe ist das Gewand, das der Christ bei der Taufe bekommt (Taufkleid) und das Mädchen in wichtigen Momenten ihres Glaubenslebens wieder anziehen: Erstkommunion und Hochzeit. Schließlich erinnert auch das letzte Hemd, das Totenhemd, an die Albe.
Das Sekret der Purpurschnecke ermöglichte eine Färbung der Gewänder in der Skala von rotem Schwarz bis Violett. Der Farbton hing von der Menge des verwendeten Sekrets ab: je mehr, desto dunkler. Da das Sekret sehr kostbar und teuer war, galt auch: je mehr, desto vornehmer. Schwarz war in dieser Farbpalette die teuerste und damit die vornehmste Farbe. Noch heute tragen Kardinäle das Kardinalspurpur: Zunächst ein Zeichen ihrer Vornehmheit, dann aber eine Erinnerung an das Blut der Märtyrer.
Im Frühmittelalter ergaben sich weitere Färbemöglichkeiten für Stoffe. Papst Innozenz III. (1198-1216) schließlich setzte eine allgemeine Farbenregelung für Gottesdienste durch, die sich bis heute erhalten hat. Das Prinzip ist: Vereinfachung, Festlichkeit und Funktionalität, das heißt, die Farbe dient der Funktion des Gewands und nicht der Bedeutung des Trägers. Heute wird die Farbe Weiß verwendet an Herrenfesten (zum Beispiel Weihnachten, Ostersonntag) und Heiligenfesten (außer bei Märtyrern), die Farbe Rot an Pfingsten, an Kreuzfesten (zum Beispiel Karfreitag) sowie an Apostel- und Märtyrerfesten, die Farbe Schwarz bei Trauer und Buße und schließlich die Farbe Grün an festlosen Tagen und Sonntagen im Jahr.
Dr. Diana Güntner
Dr. theol. (Univ.), Dipl.-Sozialpäd. (FH), Dozentin für katholische Theologie/Religionspädagogik an der Fachakademie für Sozialpädagogik Rottenbuch/Bayern und freiberufliche Referentin.