Standpunkt
Fürs Ausruhen haben wir keine Zeit ...
Kraft schöpfen wir nicht dann, wenn wir gradlinig und konventionell durchs Leben wandern. Wenn wir keine Brüche und Wendungen kennen, auch keine Krisen und Zweifel erleben. Kraft schöpfen wir dann, wenn wir durch Tiefen gehen, Tragödien überwinden, Verantwortung übernehmen, ohne zu wissen, wo wir am Ende damit landen. Kraft schenkt uns die Erkenntnis, Dinge zu meistern, von denen wir nicht gedacht hätten, sie jemals meistern zu können. Kraft schöpfen hat also nichts mit Ruhe zu tun, nichts damit, in der Muße zu verweilen. Und mit Verlaub gesagt, dafür haben wir auch gar keine Zeit.
Kindertageseinrichtungen umzukrempeln, darin liegen die Glanzstunden unserer Professionalität. Darin, ein humanitäres Gesicht zu wahren und Kinder mit Fluchterfahrung ohne Wenn und Aber willkommen zu heißen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht immer stimmen. Denn: Lieber eine wie vor knapp einem Jahr unkoordinierte Aufnahmepolitik als eine herzlose Brutalität, die blind macht für die Not und für das Leid der Menschen. Sternstunden erleben wir dann, wenn wir selbst sprachlich abrüsten und andere vor den Kopf stoßen, indem wir sie auf ihre martialischen Redewendungen hinweisen. Wir haben keine »Flüchtlingskrise«, sondern wir haben einen humanitären, ja einen politischen Auftrag, der bis in die Kita reicht. Flüchtlinge, ja Fremdsein, all das ist kein Problem, es sei denn wir wollen ein Land wie Ungarn werden. Dass wir beispielsweise immer wieder von »kulturellen Unterschieden« sprechen und weniger von »kultureller Vielfalt«, ist auch so ein Ding. Seit Jahrzehnten ist.
Deutschland ein Einwanderungsland. Würden wir das akzeptieren, oh welche Sternstunde wäre das! Die Sorge vor fremden Einflüssen würde schwinden, und Integration würde verstanden als ein Prozess, an dem wir alle beteiligt sind.
Es mag grotesk daherkommen, aber dennoch: Lichtblicke und Sternstunden erleben wir dann, wenn unsere Devise Zusammenhalt lautet. Wenn gerade wir als katholische Kindertageseinrichtungen uns als verlässlicher Partner für die Kommunen erweisen. Als Partner, der zusätzliche Plätze zur Verfügung stellt und mit dazu beiträgt, starre Regelwerke, enge Bauvorschriften und ein striktes Festhalten an Standards abzureißen, zumindest für den Moment.
Bitte nicht falsch verstehen: Innerhalb des KTK-Bundesverbands setzen wir uns seit Jahren für bessere Rahmenbedingungen in Kitas ein. Durch unsere Initiative für ein Bundesqualitätsgesetz, in dem länderübergreifend beispielsweise verbindliche Freistellungskontingente für Kita-Leitungen festgeschrieben sind, in dem eine Fachkraft-Kind-Relation verankert ist, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, kann uns diesbezüglich niemand Unlauteres unterstellen. Aber nicht nur wir sind es, die Kraft schöpfen müssen. Es sind vor allem Kinder, die in ihren Herkunftsländern und auf ihrer Flucht unvorstellbar Gräuliches erleben mussten.
Wem aber schreibe ich das? Viele von uns gehen bereits diese unkonventionellen Wege. Ein Moment, aus dem auch wir in unserem Verband Kraft schöpfen.
Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V.
»Kindertageseinrichtungen umzukrempeln, darin liegen die Glanzstunden unserer Professionalität.«