Titelthema
Religion und Bewegung
Ein mächtiger Turm, errichtet aus Stühlen und Tischen, steht in der Mitte des Klassenraums. Ganz dicht stehen die Studierenden der Klasse F4 der Fachakademie Seligenthal davor und blicken gebannt auf dieses Ungetüm. Es ist ihr Symbol für alle Erlebnisse, in denen sie sich eingeschüchtert fühlten. Ihre Gesichter spiegeln ganz verschiedene Gefühle wider. Man sieht, es geht ihnen nahe.
Mit der Geschichte von David und Goliath, die wir gerade im Symbolspiel erkunden, sind wir mittendrin im »Bewegten Religionsunterricht«, einem religionspädagogischen Konzept von Elisabeth Buck. Vorausgegangen war im Rahmen des Unterrichts eine klasseninterne Umfrage zum »Biblischen Lernen« in der Kita. Ein sehr ernüchterndes Bild zeichnete sich ab:
• »Alle Kinder sitzen im Kreis und müssen immer total leise sein.«
• »Die Aufmerksamkeit war nach der Hälfte des Angebots selten noch vorhanden.«
• »Ich fand es selbst anstrengend, so lange stillzusitzen und nur zuzuhören.«
• »Ich habe mich gefühlt wie ein Löwenbändiger, der die Löwen ruhig halten muss.«.
Eine Studierende schilderte ihre Erfahrungen so: »Beim Vorlesen aus der Bibel waren die Kinder in der Gruppe schon nach zwei bis drei Sätzen nicht mehr bei der Sache. Wenn wir religiöse Angebote jedoch so gestalteten, dass die Kinder Dinge anfassen und sich, zum Beispiel in der Kirche, frei bewegen konnten, dann waren sie vom Anfang bis zum Ende voll dabei.«
Bewegung und Religion beziehungsweise Religion durch Bewegung? Sicher kein selbstverständlicher Gedanke, hat man doch irgendwo im Hinterkopf, dass Religion etwas Ruhiges, etwas »Anständiges« sein müsste (vgl. Merz 2007). Bei unserer Recherche stießen wir auf das Konzept des »Bewegten Religionsunterrichts « von Elisabeth Buck. Wir wollten wissen, ob und wie diese Methode die religionspädagogische Arbeit in der Kita bereichern kann.
Das Konzept des »Bewegten Religionsunterrichts«
Die Wurzeln von Bucks »Bewegtem Religionsunterricht «liegen in der Reformpädagogik, der rhythmisch-musikalischen Bewegungserziehung, der Motopädagogik und dem Improvisationstheater. Das Konzept betont die spezifische Anthropologie von Kindern: Bewegung ist für sie keine Nebensache, sondern die spezifische Art und Weise, wie sie lernen. Über ihre Leiblichkeit eignen sie sich die Welt an. Theologisch begründet Buck ihren Ansatz in der Dynamik des christlichen Glaubens: Gott bewegt sich auf den Menschen zu; die Schöpfung, der Umgang Jesu mit den Menschen, all das spricht unsere Sinnlichkeit an. Wenn bei ihr Kinder tasten, springen, tanzen, sich verstecken, singen, schleichen, sich verkleiden, Theater spielen, lärmen, schnuppern und lauschen sollen, dann will sie über diese sinnlichen Übungen Zugänge zu theologischen Kernthemen schaffen und es den Kindern ermöglichen, ihre Erlebnisse als religiös-existenzielle Erfahrungen zu interpretieren. Stets betont sie die Bedeutung des Körpergedächtnisses für menschliche Erfahrungen.
Buck arbeitet im Wesentlichen mit zwei grundlegenden und konsequent aufeinander bezogenen Bausteinen (vgl. Buck 2010, S. 9):
1. Die religiösen Inhalte werden durch Wahrnehmungs- und Bewegungsspiele erlebnishaft angeboten. Ganz konkret verwendet sie das Symbol- und Bewegungsspiel, den musikalischen und rhythmischen Ausdruck und das sinnliche Erleben.
2. Die Erlebnisse werden im (theologischen) Gespräch, durch Erzählung oder durch eine abschließende besondere gestalterische Tätigkeit eingeordnet, reflektiert, bewertet und somit in persönliche, soziale, kirchliche und religiöse Zusammenhänge gestellt.
Konkret auf das Beispiel der David-und-Goliath-Geschichte übertragen, konstruiert Buck folgenden didaktischen Aufbau (vgl. Buck 2017, S. 171 -176), den wir auch in der Klasse durchspielten:
• Symbolspiel und Gespräch: Die Kinder nennen Situationen, in denen sie Angst hatten. Für jedes benannte Beispiel werden Stühle aufeinandergestellt. Der fertige Turm wird mit einem schwarzen Tuch überzogen. Die Kinder stellen sich dicht davor und spüren körperlich, wie es ist, wenn man nur noch schwarz sieht.
• Erzählung: Den Kindern wird die biblische Geschichte von David und Goliath in einer erweiterten Form erzählt.
• Gespräch: Die Kinder ergründen, warum David im Gegensatz zu den anderen Israeliten nicht vor Angst gelähmt war, als er Goliath gegenübertrat. Dazu werden sie zu einem Perspektivwechsel eingeladen.
• Symbolspiel: Die Kinder suchen sich einen Platz im Raum, an dem Überblick, Weitblick und Durchblick möglich sind. Sie benennen ihre Äußerungen.
• Gespräch: Nun ergründen die Kinder Davids Standpunkt, sein Vertrauen auf Gott und die damit verbundene Lebenseinstellung.
• Symbolspiel: Zum Schluss erfahren die Kinder anhand eines Luftballons, der mit »Angebersprüchen «beschrieben wurde und dem dann die Luft herausgelassen wird, dass im Angesicht Gottes jeder Wichtigtuer nur ein »kleiner Wicht« ist. Wer aber auf Gott vertraut, hat mit ihm »den Stärksten «auf seiner Seite.
Reflexion der persönlichen Erfahrungen
Die Studierenden sind sich einig: Für alle war es neu und ungewohnt, sich auf diese Weise mit einem biblischen Text auseinanderzusetzen.
• »Es hat mich selber mitgerissen. Da war eine ganz neue Energie unter uns!«
• »An den Luftballon denke ich noch lange; das hat was Entlastendes.«
• »Es ist wirklich ein Riesenunterschied, ob ich die David-und-Goliath-Geschichte nur vorlese und darüber spreche oder ob ich mit den Kindern zuerst einen Turm baue, diesen aus den verschiedenen Perspektiven erkunde und mit den Erfahrungen ein Gespräch führe.«
• »Ich glaube, dass ich ein bisschen mehr verstanden habe über Standpunkte im Leben und was Vertrauen auf Gott bedeuten kann. Das war so etwas wie ein Aha-Erlebnis für mich.«
Als herausfordernd wurde zum einen das für die Arbeit notwendige vertiefte theologische Wissen gesehen, zum anderen waren sich die Studierenden bewusst, dass manche Elemente des Symbolspiels, wie zum Beispiel das Benennen von Ängsten, sehr behutsam gesteuert werden müssen. In Summe war man sich einig, dass dies eine gute Möglichkeit für die religionspädagogische Praxis in der Kita ist.
Bedenkenswertes für den Übertrag auf die Kita-Praxis
Sicher, Bucks Konzept des »Bewegten Religionsunterrichts« auf die religionspädagogische Arbeit in der Kita zu übertragen, ist eine Herausforderung - aber eine, die sich lohnt! Lohnenswert ist zum Beispiel das geschärfte Bewusstsein für die Bedeutung von Bewegung im kindlichen Bildungsprozess. Denn oftmals kommt, wenn es in pädagogischen Angeboten »zur Sache geht«, die Bewegung zu kurz: Der Inhalt steht vor dem sinnlich unmittelbaren Erleben. Eine Erkenntnis, die viele Auszubildende in ihrer Praxis (und sicher auch im eigenen Unterricht) immer wieder erleben. Das Problem ist im praktisch-religiösen Bereich noch bedeutsamer. Die Schweizer Religionspädagogin Vreni Merz bedauert, dass die unverblümte Sprache der Bibel, wo die Seele durch den Körper spricht, wo Menschen bewegt ihre Freude und Lust, aber auch ihre Wut und Verzweiflung zum Ausdruck bringen, weitgehend verstummt und durch ein »anständiges«, ein standardisiertes Sprechen mit Gott ersetzt wurde, so dass Kinder lernen: »In der Kirche muss man still sein.« Religiöse Angebote sollten ihrer Meinung nach »ein Ort sein, um Kinder und Jugendliche eine ganzheitlichere Spiritualität kennenlernen« (Merz 2007, S. 63 f.) zu lassen. Hier schlägt Bucks Konzept des »Bewegten Religionsunterrichts« eine Brücke zum Kind, weil es das Dogmatische in der Religion und die Vermeidung von Erfahrungslernen wie im Unterricht als nicht kindgemäß und damit für kindliche Lernprozesse ungeeignet vermeidet. Insbesondere im Elementarbereich, wo Kinder oftmals (und immer öfter) zum ersten Mal etwas von Religion hören, ermöglicht dieses Konzept nachhaltige positive religiöse Erfahrungen.
Zudem ist dieser Ansatz derzeit der am weiteste konkretisierte fachdidaktische Ansatz zum leiblichen Lernen (vgl. Fricke/Riegel 2011, S. 32), man kann auf eine Vielzahl ausgearbeiteter didaktischer Angebote zurückgreifen. Sie sind gut in der Kita-Praxis umzusetzen, wie wir selbst im Unterricht ausprobiert haben. Außerdem erwerben Kita-Fachkräfte im Lauf ihrer vielseitigen Ausbildung die nötigen Kompetenzen, um Bewegung, Rhythmus und Klang als elementaren Zugang zu einem theologisch komplexen Gegenstand anbieten zu können − ein echter Vorteil gegenüber der Lehrerausbildung. Darüber hinaus finden sich viele dieser Elemente bereits in unterschiedlicher Form im Kita-Alltag wieder, das heißt, Kindergartenkinder wissen damit umzugehen.
Zentral für Bucks Konzept ist jedoch die enge Verwobenheit von Erlebnis und Gespräch in den Angeboten; ohne diese würde es nur bei der Bewegung bleiben. Dazu braucht es ein tiefes anthropologisches Verständnis für das Wesen des Menschen und theologisches Wissen über Bibel und Glaube. Erst wenn diese beiden korrelieren, wird aus einem Erlebnis eine (existenzielle) Erfahrung. Hierzu ist von höchster Bedeutung, dass Kita-Fachkräfte ihre religiöse Kompetenz fortwährend weiterentwickeln (vgl. dazu ausführlich Hugoth 2006).
Es bleibt zu wünschen, dass dieser Ansatz seinen berechtigten Weg in die Elementarpädagogik findet. Arbeiten mit der Bibel? Ja bitte, aber mit Bewegung!
Dr. Stefan Brembeck
Dipl.-Theologe, Schulleiter der Fachakademie Seligenthal in Landshut.
Literatur
• Buck, Elisabeth (2017): Bewegter Religionsunterricht. Innovative, ganzheitliche Konzepte für das 5. bis 7. Schuljahr; München: dkv - Fachverband für religiöse Bildung und Erziehung
• Buck, Elisabeth (2010): Bewegter Religionsunterricht. Theoretische Grundlagen und 45 kreative Unterrichtsentwürfe für die Grundschule; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
• Fricke, Michael/Riegel, Ulrich (2011): Als wir barfuß über den Boden Gottes laufen konnten. Eine empirische Pilotstudie; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
• Hugoth, Matthias (2006): Setzt religiöse Erziehung Glauben voraus? Religiöse Kompetenz meint mehr als methodisches Wissen, in: frühe Kindheit, Ausgabe 3; Quelle: http://liga-kind.de/fk-306-hugoth/
• Merz, Vreni (2007): Bewegung und meditativer Tanz, in: Ludwig Rendle (Hrsg.): Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht, München: Kösel, S. 63 -76