Titelthema
»Medien-Kids« brauchen Medienbildung
Der Alltag von Kindern wird heute in erheblichem Maße von Medien begleitet. Schon die Jüngsten kennen Alexa & Co, sehen ihre Eltern regelmäßig und intensiv mit dem Smartphone hantieren und haben nicht selten eine Auswahl digitaler Spielzeuge in ihrem Kinderzimmer. Fernsehserien werden gestreamt, Haushaltsgeräte programmiert, es gibt Schulranzen mit Trackingfunktion und digitale Zahnbürsten, die kontrollieren sollen, ob sorgfältig geputzt wurde. Quasi alle Familien haben einen Internetzugang, einen Fernseher, ein Mobiltelefon und einen Computer. Bemerkenswert ist die Tablet-Ausstattung, die in den letzten Jahren rasant gestiegen ist und jetzt bei über 50 Prozent liegt.
Das Fernsehen ist zwar noch immer Leitmedium von Kindern - wie auch für Familien, wenn es um die gemeinsame Mediennutzung geht -, aber auch die Zahl der Kinder, die auf dem Tablet oder Smartphone spielen oder gucken dürfen, nimmt stetig zu. Knapp ein Viertel der Kindergarten- wie auch der Grundschulkinder schaut täglich oder zumindest mehrmals pro Woche Fotos oder Videos auf dem Smartphone an. Rund ein Drittel der 2- und 3-jährigen Kinder nutzt allein oder zusammen mit den Eltern Apps. 10 Prozent der 3-Jährigen und knapp die Hälfe der 6- bis 7-Jährigen gehen zumindest gelegentlich online. Kindergartenkinder nutzen das Tablet überwiegend zum Spielen, im Grundschulalter dann auch für die Hausaufgaben und zum Recherchieren (Quellen: Grunddaten Kinder und Medien 2018, FIM-Studie 2016, KIM-Studie 2016, Mini-KIM 2014).
Die technischen Fertigkeiten bedeuten natürlich nicht, dass Kinder automatisch über Medienkompetenz verfügen. Der Motor ihres Tuns ist die Neugierde, die Beobachtung, die Nachahmung. Zentrale Vorbilder sind in frühen Jahren die Eltern.
Medienkompetenz, also der kompetente, kritische, aktive und kreative Umgang mit Medien, ist eine wichtige Grundlage für die private und gesellschaftliche Partizipation geworden. Die Förderung der kompetenten Nutzung der Medien ist eine Aufgabe für Familien, Kindertageseinrichtungen und Schulen.
Eltern haben zentrale Vorbildfunktion
Medienerfahrungen sammeln Kinder primär im familiären Kontext, dort entwickeln und prägen sie erste Mediennutzungsstile. Den Eltern kommt hier also eine ganz wesentliche Vorbildfunktion zu. Studien belegen jedoch, dass die kompetente, vielseitige Nutzung von Medien abhängig vom Bildungshintergrund der Familien ist. »Je höher die formale Bildung der Eltern, desto sicherer fühlen sich die Eltern in Sachen Medienerziehung. Entsprechend sieht sich dann jeder Fünfte unter den Eltern mit geringerer formaler Bildung weniger oder gar nicht gerüstet für Fragen der Medienerziehung« (FIM-Studie 2016).
Das Institut Jugend Film Fernsehen (JFF) weist in seiner Expertise »Grundlagen zur Medienerziehung in der Familie« im Rahmen der Studie »Mobile Medien in der Familie« von 2016 darauf hin, dass Eltern ebenso wie Kindertageseinrichtungen und Schulen sich mit der wichtigen Aufgabe der Medienerziehung auseinandersetzen müssen (Wagner et al. 2016). Der 6. Zwischenbericht »Bildung und Forschung« (2013) der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags stellt heraus, dass die zunehmende Digitalisierung neue Anforderungen und Fragen an Bildung stellt, auch an die
Frühe Bildung (dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/120/1712029.pdf).
Die Kita als (Medien-)Bildungsort
Kindertageseinrichtungen unterstützen Kinder in ihrer Entwicklung und helfen ihnen dabei, sich in der Welt zu orientieren. Pädagogische Fachkräfte greifen die Fragen und Themen der Kinder auf, thematisieren unter anderem die alltäglichen Lebensbereiche und fördern grundlegende Kompetenzen im sozialen Miteinander, im Hinblick auf Ernährung, Hygiene, Alltagsgefahren, Verkehrserziehung und vieles mehr.
Der Umgang mit digitalen Medien wird allerdings in vielen Kitas noch immer ausgeklammert. Dabei wird außer Acht gelassen, dass bereits Kindergartenkinder überall in ihrem Alltag mit digitalen Medien konfrontiert werden. Diesen Themenbereich im Kita- Alltag auszuklammern, bedeutet auch, die Chancen, die in der kreativen und bewussten Nutzung von Medien und Medieninhalten stecken, ungenutzt zu lassen. Insbesondere im Rahmen der angestrebten Chancenangleichung in den öffentlichen Bildungseinrichtungen kommt der Förderung von Medienkompetenz immense Bedeutung zu.
Dennoch gehört Medienbildung noch immer nicht zum Standardrepertoire von Kindertageseinrichtungen. Studien1 zur Situation der Medienerziehung in Kindergärten und zur medienpädagogischen Ausbildung von Kita-Fachkräften zeigen seit Jahren dringenden Handlungsbedarf auf: Die medienpädagogische Kompetenz der Fachkräfte wie auch die technische Ausstattung der Kitas ist ausbaufähig, und Medien nehmen in der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften mehrheitlich noch immer einen geringen Stellenwert ein. Und selbst wenn Handlungsbedarf erkannt wird, fühlen sich viele pädagogische Fachkräfte hinsichtlich der Anforderungen einer frühkindlichen Medienerziehung orientierungslos und überfordert.
Das Programm »Medien-Kids« - Fachkräfte schulen und begleiten
Hier setzen aktuelle Qualifizierungsangebote an, die zum Beispiel im Sommer 2017 in Bremen2 und Nordrhein- Westfalen3 gestartet sind. Kita-Fachkräfte werden nicht nur medienpädagogisch geschult, sondern erhalten auch eine Grundausstattung an Technik und werden direkt in den Einrichtungen intensiv begleitet und weiterqualifiziert.
Das Bremer Programm »Medien-Kids« wurde initiiert von der Kooperationsgruppe »Medienbildung«, in der alle Träger und Institutionen des Elementarbereichs im Land Bremen vertreten sind: die Senatorin für Kinder und Bildung, die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport, die Bremische Landesmedienanstalt (bre(ma, der medien- und kulturpädagogische Verein Blickwechsel sowie das Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib), die Stadtbibliothek Bremen, das Amt für Jugend, Familie und Frauen in Bremerhaven und alle Träger von Kindertageseinrichtungen.
Das Programm »Medien-Kids« setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen. Kern des Programms sind die medienpädagogische Fortbildung und das Coaching mit Austauschtreffen, das die Teilnehmenden in der Praxisphase unterstützen soll, und schließlich der Eltern-Kind-Nachmittag, bei dem Ergebnisse aus der Praxisphase präsentiert werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Die eingangs geschilderte Prägung kindlicher Lebenswelten durch Medien macht deutlich, dass es nicht mehr darum gehen kann, ab wann Kinder überhaupt Zugang zu Medien haben sollten, sondern wie der Umgang mit Medien für Kinder möglichst so gestaltet wird, dass sie zu kompetenten und kritischen Nutzern heranwachsen. Dabei geht es nicht nur um das Lernen mit Medien, also um didaktische Überlegungen, sondern auch um das Lernen über Medien. Kindertageseinrichtungen sind gefragt, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, wie sie die Medienbildung in ihren Alltag integrieren können. Kinder sind von Medien fasziniert und diese Faszination kann ein Motor für das Lernen sein. Medien bieten sehr gute Möglichkeiten, Themen aufzugreifen, Sprachanlässe zu schaffen und kreativ zu werden. Bereits die Elementarpädagogik sollte diese Chance ergreifen und einen kritischen und sinnvollen Medieneinsatz fördern.
Das zeigt sich auch in den ersten Ergebnissen, die in den am Programm »Medien-Kids« teilnehmenden Kitas entstanden sind. In kleinen Präsentationen stellte jede Kita bei den beiden Austauschtreffen im Februar und im April 2018 ihre bisherigen Erfahrungen und Ergebnisse vor. Alle berichteten von viel kreativer Energie. Die Kinder haben sich mit großer Neugier und Freude auf die Angebote eingelassen: Gemeinsam wurden Medienheldinnen und -helden gemalt, Fotorätsel, Trickfilme und Stopp-Tricks erstellt, das Krippenspiel und die Bremer Stadtmusikanten digital inszeniert, Geburtstagsbücher und Fotodokumentationen gestaltet und vieles mehr.
Neben der Auseinandersetzung mit Medieninhalten stellt der aktive Umgang mit digitalen Medien eine sinnvolle Ergänzung und Bereicherung des pädagogischen Repertoires dar. Das Tablet als »mobiler, digitaler Alleskönner« vereint in sich Fotoapparat, Videokamera, Mikrofon, Bücher, Spiele, Filme und Geschichten. Damit eröffnen sich eine Vielzahl kreativer Anwendungsmöglichkeiten.
Am 7. Juni 2018 wurden die Ergebnisse des ersten Durchlaufs von »Medien-Kids« in der Stadtbibliothek Bremen präsentiert. Gleichzeitig fiel der Startschuss für den zweiten Durchlauf.
Susanne Roboom
Dipl.-Pädagogin, Vorstand und Referentin des medien- und kulturpädagogischen Vereins
Blickwechsel e. V.
Eine Literaturliste kann über die Redaktion (wdk@caritas.de) angefordert werden.
Anmerkungen
1 Brüggemann et al. 2013; Schneider et al. 2010; Six/Gimmler 2007; Six et al. 1998
2 www.blickwechsel.org/angebote/fortbildungen/bremen/377-medien-kids-bremen
3 www.blickwechsel.org/angebote/projekte/nrw/368-medienbildung-in-der-kita