Standpunkt
"Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht"
Das Lernen von Kindern, in dem das kindliche Spiel eine herausragende Bedeutung einnimmt, gehört zu den zentralen Prinzipien einer verantwortlichen und damit kindgemäßen elementarpädagogischen Didaktik. Spielen ist eine ganz eigene Art des Kindes, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, diese zu erforschen, zu begreifen und zu erobern. Spielende Kinder sind in eine Sache versunken und folgen dabei ihrem inneren Antrieb. Spielen, Lernen und kindliche Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden. Und dazu brauchen Kinder Zeit. Wem aber sage ich das? Ich kenne keine Erzieherin und keinen Erzieher, die oder der diesen Grundsätzen widersprechen würde. Und dennoch passiert es heute oftmals, dass das Spielen der Kinder im pädagogischen Alltag unserer Kitas zerrupft und zeitlich beschnitten wird. Der Grund hierfür liegt auf der Hand:
Die öffentliche Debatte über die Bildungsarbeit von Kindertageseinrichtungen hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass mittlerweile unzählige Förderprogramme für Kinder auf dem Markt angeboten werden. Viele Eltern, aber auch Vertreter der Bildungspolitik und der Wissenschaft sehen in der Anwendung dieser Programme eine Garantie für gelingende Bildungsprozesse von Kindern. Zu beobachten ist dabei, dass Erzieherinnen einem wachsenden Druck ausgesetzt sind, diese Programme anzuwenden. Und manche lassen sich dann darauf ein, um endlose Diskussionen mit Eltern zu vermeiden oder um mehr oder weniger einfach und für Außenstehende verständlich nachzuweisen, dass in ihrer Kita gebildet und gefördert wird.
"Widersetzen wir uns allen Erwartungen, die zu einer Verschulung unserer Kitas führen!"
"Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht": Dieses afrikanische Sprichwort bringt auf den Punkt, was heute nicht mehr unbedingt selbstverständlich ist. Das Lernen von Kindern wird durch das selbst gestaltete Spiel bestimmt. Und dazu brauchen Kinder Zeit. Die Anwendung von inhaltlich und zeitlich fremdstrukturierten Lerneinheiten in Kindertageseinrichtungen führt aber eher dazu, dass wir kindliche Erkenntnisprozesse unterbrechen und Lerninhalte von der Lebenswelt der Kinder, von ihren Interessen, Absichten und Motivationen abkoppeln. Wenn Kinder beispielsweise über Stunden an einer Wasserpfütze sitzen, mit Lupen Flöhe beobachten, darüber ins Gespräch kommen, wie aus Stöcken eine Brücke gebaut werden kann, dann eignen sie sich auch ohne Förderprogramm naturwissenschaftliche und kommunikative Kompetenzen an. Ihr Spiel zu unterbrechen, weil drinnen der Stuhlkreis wartet oder ein Förderprogramm auf der Tagesordnung steht, ist gleichzusetzen mit einem Abbruch kindlicher Erkenntnisprozesse, deren Niveau kein Programm jemals erreichen kann.
"Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entfacht werden will." Diese Erkenntnis von François Rabelais, einem der bedeutendsten Prosa-Autoren der französischen Renaissance, fordert uns geradezu auf, an dem festzuhalten, was seit Jahren zum grundlegenden Prinzip einer fachlich guten und christlich reflektierten Praxis in unseren Kindertageseinrichtungen gehört: Widersetzen wir uns allen Erwartungen, die zu einer Verschulung unserer Kitas führen! Halten wir fest an unserem ganzheitlichen Bildungsverständnis, in dem alle physischen, sozialen, emotionalen und kognitiven Potenziale unserer Kinder gestärkt und gefördert werden!
Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.