Standpunkt
Nicht zum Nulltarif
Was wir zu tun haben, ist klar: Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 ist das Thema "Inklusion" eine Verpflichtung für uns alle geworden. Das mit der Inklusion verbundene Ziel, allen Menschen, und damit auch allen Kindern, unabhängig von ihren Möglichkeiten und Einschränkungen eine gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten, bringt aber weitreichende Konsequenzen mit sich.
Das Konzept einer inklusiven frühpädagogischen Praxis impliziert einen Paradigmenwechsel in unseren Kindertageseinrichtungen. Wir sind aufgefordert, sonderpädagogische Ansätze für Kinder mit besonderen Bedürfnissen beiseite zu schieben und eine Pädagogik zu entwickeln, die von der Heterogenität in unseren Einrichtungen als Normalfall ausgeht. Kindern mit Behinderung muss es dabei möglich sein, eine ihren Bedürfnissen entsprechende und notwendige Förderung in allen unseren Kindertageseinrichtungen zu erhalten. Nur dadurch vermeiden wir den Ausschluss von Kindern in unseren sogenannten Regeleinrichtungen.
Gleichzeitig muss dabei sichergestellt sein, dass alle Kinder auf der Grundlage ihrer Bedürfnisse individuell gefördert werden, ohne sie dabei zu stigmatisieren. All dies setzt ein Bildungsverständnis voraus, das den Ansprüchen einer inklusiven Pädagogik Rechnung trägt. Gemeint ist ein Verständnis von Bildung, das nicht ausschließlich mit dem Erwerb von Wissen gleichgesetzt wird, sondern auf die Herausarbeitung von Persönlichkeitsmerkmalen zielt. Hierzu gehören das Wissen um jeweils eigene Kompetenzen, Lebensfreude, die Fähigkeit, Interessen zu entdecken, sich Ziele zu setzen und diese ausdauernd zu verfolgen, und das Geschick, mit Misserfolgen umgehen zu können und an diesen zu wachsen. In diesem Sinne müssen wir in unseren Kindertageseinrichtungen die Perspektive schaffen, dass Vielfalt kein Risiko für Bildungs- und Erziehungsprozesse ist, sondern eine wesentliche Voraussetzung. Wir müssen die Überzeugung fördern, dass das Konzept einer inklusiven Pädagogik nicht nur benachteiligten Kindern, sondern allen Beteiligten zugutekommt.
"Wir brauchen völlig neue Personalkonzepte und vor allem eine Ausstattung, die allen Kindern gerecht wird."
So weit, so gut. Warum aber kommen wir in dieser Frage nicht weiter und warum ist es bislang mehr oder weniger bei Absichtserklärungen geblieben? Der Grund hierfür liegt auf der Hand:
In den letzten Jahren haben wir uns innerhalb der Kita-Szene darauf verständigt, Inklusion weiter, das heißt umfassend zu denken und den Fokus nicht nur auf das Thema "Behinderung" zu legen. Armutsfragen sollen dabei ebenso einbezogen werden wie alle Lebenssituationen von Kindern, durch die deren gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt wird. Dieser ehrenhafte Anspruch mag ja richtig sein, aber er hält auf. Er blockiert uns in unserem Engagement für notwendige politische Konsequenzen. Anders ausgedrückt: Ein inklusiver Alltag in unseren Kindertageseinrichtungen kann nicht zum Nulltarif umgesetzt werden. Wir brauchen völlig neue Personalkonzepte und vor allem auch eine Ausstattung, die allen Kindern gerecht wird. In unseren Debatten sollten wir Inklusion durchaus umfassend denken. An einer Stelle aber müssen wir dann auch mal anpacken. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet uns dazu.
Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V.