Standpunkt
Abgrund unterm Regenbogen?
Wenn Sie eine Gute-Nacht-Lektüre suchen, um kurz vor dem Einschlafen senkrecht im Bett zu stehen, dann gibt es nur eine Empfehlung: Gehen Sie ins Internet und rufen Sie »Kitas außer Kontrolle« in der Online-Version der ZEIT auf. Apokalyptische Bilder werden dort gleich in mehreren Artikeln über Deutschlands Kindergartenlandschaft heraufbeschworen. Titel wie »Abgrund unterm Regenbogen«, »Sofort abmelden«, »Wodkapullen und Schädeltrauma« oder »Was macht ihr mit mir?« suggerieren in der Öffentlichkeit ein »Land unter«- Szenario, wie es schlimmer nicht sein könnte.
Natürlich müssen wir entrüstet sein, wenn in Kitas offensichtlich Kindern das Essen in den Mund gestopft wird, wenn eine Erzieherin einen Jungen zur Strafe in einen Raum sperrt und diesen dort vergisst, während die Gruppe zu einem Spaziergang aufbricht. Unfassbar ist auch, wenn die Hände und Füße von Kindern, wie berichtet, mit Klebeband am Stuhl fixiert werden oder man den Jüngsten ganz einfach den Mund zuklebt. Missstände, die nicht auszuschließen sind, die aber das Bild von Kindertageseinrichtungen in der Öffentlichkeit in ein Licht rücken, das die Grenzen journalistischer Rechtschaffenheit überschreitet.
»Haben Sie Missstände in der Kita Ihres Kindes erlebt?« Was will die Redaktion von ZEIT ONLINE mit dieser Frage erreichen? Oder besser gefragt: Welche Antworten werden erwartet? Im Juni 2016 wendeten sich die Journalisten mit eindeutig negativen Formulierungen an ihre Leserinnen und Leser: »Haben Sie strukturelle Missstände beobachtet? Haben Sie Kenntnis von gravierendem Fehlverhalten der Mitarbeiter? In welchen Situationen haben Sie unsachgemäßen Umgang erlebt?« Allein schon diese Satzgebilde deuten darauf hin, dass Skandale aufgedeckt werden sollen, die das Bild der Kindertagesbetreuung verzerren.
Im Pressekodex des Deutschen Presserats wird darauf abgestellt, dass bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen unter anderem über die Zahl der Befragten informiert werden muss. Gleichzeitig verpflichtet man sich darin, mitzuteilen, inwieweit die Ergebnisse von Befragungen repräsentativ sind. Zugutehalten muss man, dass die ZEIT ONLINE-Redaktion diese Regeln eingehalten hat. Mehr als 2000 Leserinnen und Leser haben demnach geantwortet. Und repräsentativ seien die Ergebnisse nicht. Aber Hand aufs Herz: Mit hochwertigem Journalismus hat das Ganze nichts zu tun. Die Umfrage selbst und die einzelnen Artikel erinnern eher an sensationsheischende Darstellungen, die weit an der Realität deutscher Kindertageseinrichtungen vorbeischlittern. Kitas müssen für Kinder Orte der Sicherheit und der persönlichen Zuwendung sein. Einrichtungen, in denen sie anerkannt, ermutigt und bestätigt werden. Und diesen Anspruch haben wir in unseren Kindertageseinrichtungen. Wenn es da tatsächlich einige wenige schwarze Schafe geben sollte, dann rechtfertigen es diese nicht, in den Medien ein derart verzerrtes Bild wiederzugeben.
Frank Jansen
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V.
»Kitas müssen für Kinder Orte der Sicherheit und der persönlichen Zuwendung sein.«