Titelthema
Empört euch!
Vor kurzem traf ich mich mit einer Freundin zum Abendessen. Sie ist Erzieherin und erzählte mir vom Stress bei der Arbeit und ihrem Ärger darüber, dass sich in ihrer Kita seit Jahren nichts ändert. Irgendwann platzte es aus ihr heraus: »Und die Politiker schauen alle weg und machen nichts, auch du!« Solche Sätze höre ich öfter. Vor zweieinhalb Jahren bin ich in den Freiburger Gemeinderat gewählt worden. Seitdem sitze ich fast täglich in den unterschiedlichsten Gremiensitzungen und Ausschüssen und beschäftige mich mit Themen, die von der Helligkeit der Straßenlaternen bis zur Kinderbetreuung in den Kitas reichen. In jeder Sitzung ringen wir dabei um die vermeintlich beste Lösung für unsere Stadt, suchen Mehrheiten, wägen ab und treffen Beschlüsse. Dass man es bei so vielen Entscheidungen nicht immer allen recht machen kann, ist klar. Der Vorwurf meiner Freundin, einfach tatenlos zuzusehen, traf mich hier aber besonders, weil ich sie in ihren Anliegen und Forderungen immer unterstützt und ihr oft erzählt habe, wie sehr ich mich dafür auf den verschiedenen Ebenen in der Politik einsetze. Gleichzeitig kann ich ihren Ärger und ihre Wut nachvollziehen. Zu viele Unterschriftenlisten, Streiks und Appelle hat sie schon mitgetragen, bei ausbleibendem Erfolg.
Nach wie vor lässt die Situation für die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas zu wünschen übrig: praxisferne Ausbildungen, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und eine verhältnismäßig schlechte Bezahlung für einen so verantwortungsvollen Job. Meine Freundin kann oftmals nicht alle ihr zustehenden Fortbildungstage nehmen. Andere Erzieherinnen müssen die Kosten für die Weiterbildung sogar selbst zahlen oder erhalten nur einen finanziellen Zuschuss. Hinzu kommen körperliche und gesundheitliche Belastungen, vor allem für ältere Fachkräfte.
Bei kaum einer anderen Berufsgruppe klaffen gesellschaftliche Erwartungen an das Arbeitsergebnis und die Bezahlung so weit auseinander wie bei den Erzieherinnen. Neben dem pädagogischen Alltag in der Kita soll noch an Teamsitzungen teilgenommen werden, der Kontakt zu Schulen, Stadtteil Arbeitsgruppen und Therapeuten gehalten werden, Elternversammlungen vorbereitet und geleitet werden, Feste organisiert werden, Entwicklungsgespräche geführt werden und vieles mehr. Dass sich da irgendwann Resignation breitmacht, ist gut zu verstehen. Die Beschäftigten in den Erziehungsberufen sind extrem hoher Arbeitsbelastung bei gleichzeitiger unterdurchschnittlicher Bezahlung ausgesetzt, und das schon seit langer Zeit. Vor diesem Hintergrund besteht dringender Handlungsbedarf. Denn diese niedrige Bezahlung wird weder dem persönlichen Einsatz noch der Wichtigkeit der Arbeit gerecht.
Mit ihrer Wut ist meine Freundin sicher nicht alleine: Immer mehr Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr gehört. Es wird von »denen da oben« gesprochen, denen »die Probleme der Menschen egal« sind. Diese antipolitische Stimmung wird von breiten Bevölkerungskreisen getragen, in denen die Meinung vorherrscht, dass die politischen Eliten in ihrer Arroganz »die einfachen Leute« verachten, verkaufen, betrügen oder sie einfach links liegen lassen. Diese Entwicklung hat sicherlich viele tiefgreifende Gründe. Vor allem aber wenden sich wohl immer mehr Menschen von der Politik ab, weil sie sich von der Gesellschaft »abgehängt« fühlen. Pädagogische Fachkräfte, die von ihrem Lohn kaum leben können, gehören da sicherlich dazu. Auch hier liegt die Lösung wohl in der Ursachenbekämpfung. Der Weg dahin bleibt aber schwierig.
Denn was bleibt mir als junger Kommunalpolitikerin anderes übrig, als meine Freundin zu ermutigen, weiter zu kämpfen und sich Gehör zu verschaffen? Wie kämpft man am besten für eine finanzielle Aufwertung des Berufs? Wie macht man den Verantwortlichen in der Politik auf unterschiedlichen Ebenen klar, dass es einen besseren Betreuungsschlüssel in den Kitas braucht? Noch mehr Unterschriftenlisten? Noch mehr Briefe an Träger?
Sucht euch Verbündete!
Ich denke, dass es zunächst ratsam wäre, den Schulterschluss mit den Eltern zu suchen. Diese sitzen bereits häufig durch eine Elternvertretung in den kommunalen Ausschüssen der Städte und Gemeinden und artikulieren dort direkt ihre Interessen. Fast jede Stadt und Gemeinde hat einen Kinder und Jugendhilfeausschuss, in dem alle Themen rund um die Kita diskutiert werden: Elternbeiträge, Essenszulieferer, neue Anbauten für die Kita, die Entscheidung über die Trägerschaft und vieles mehr. Nach wie vor sitzen in den jeweiligen Ausschüssen, in denen die Beschlüsse diskutiert und gefasst werden aber keine pädagogischen Fachkräfte, weil es keine allgemeine Lobbyvertretung gibt, die legitimiert wäre, für alle zu sprechen. Bis dieser Missstand geändert wird, sollten sie sich Verbündete suchen, die ihre Anliegen direkt in die Parlamente tragen. Eltern können dabei als Multiplikatoren fungieren, die eine breite Solidarisierung mit den pädagogischen Fachkräften einfordern können. Eine Partnerschaft mit ihnen ist daher sicherlich von Vorteil.
Seid laut!
Allem voran aber braucht es jede einzelne von Ihnen selbst. Wenn in meiner Stadt zum Beispiel Haushaltsverhandlungen anstehen und über die Verteilung der Gelder diskutiert wird, bekomme ich als kommunale Mandatsträgerin fast täglich Post von kulturellen Einrichtungen. Hier eine Vernissage, dort eine Finissage und zwischendrin der erhöhte Haushaltsantrag für eine zusätzliche Personalstelle. Das ist Lobbyarbeit, von der sich genügend Politiker beeindrucken lassen und von der es sich eine Scheibe abzuschneiden gilt. Dabei geht es nicht darum, den Kulturbereich gegen den Sozialbereich auszuspielen, sondern darum, voneinander zu lernen. Wie wäre es beispielsweise mit einer Einladung an den zuständigen Gemeinde oder Kreistag, den Kita-Alltag einmal hautnah mitzuerleben? Vielen Politikern würden dabei die Missstände sicherlich deutlich auffallen und sie zum Handeln animieren. Auch ich setze mich für Dinge immer dann besonders stark ein, wenn ich sie hautnah miterlebt habe und sie als so wichtig erachte, dass ich meine ganze Kraft dafür einsetzen will, den Ist-Zustand zu verbessern. Nur wenn ich glaubhaft eine Meinung vertreten kann, überzeuge ich auch meine Kolleginnen und Kollegen in der eigenen Fraktion und letztlich auch eine Mehrheit des Gemeinderats. Es gilt demnach, die Politiker von der misslichen Lage vor Ort zu überzeugen. Denn sie sind es, die Tag für Tag in den Parlamenten sitzen und Ihre Anliegen umsetzen sollen.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich direkt schriftlich an die jeweiligen Fraktionsgeschäftsstellen vor Ort zu wenden oder einfach dort anzurufen. Die Fraktionsgeschäftsführer dienen sozusagen als Clearingstelle. Dort wird Ihr Anliegen aufgenommen und an die zuständigen Stadt und Gemeinderäte weitergegeben. Das erleichtert Ihnen die Kontaktaufnahme, weil Sie so nicht alle Adressen einzeln heraussuchen müssen, und macht die Arbeit für die Politiker einfacher, weil Ihre Anliegen so direkt bei den für das Ressort Zuständigen landen. Sinnvoll wäre es zudem, sich zeitlich nach den Haushaltsverhandlungen zu richten, die in jeder Stadt unterschiedlich stattfinden. Mitten in den Verhandlungen bekommt man als Stadträtin täglich eine große Menge Anschreiben und Forderungen, worin manche Themen untergehen können. Am besten ist es also, sich rechtzeitig vor den Beratungen (ungefähr ein halbes Jahr vorher) zu melden. Dann können Ihre Anliegen und die damit verbundenen finanziellen Vorschläge in den Verhandlungen diskutiert werden und die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung steigt. Sprechen Sie Ihre Vertreterinnen und Vertreter direkt an. Überzeugen Sie die von Ihnen gewählten Politiker. Suchen Sie sich eine Mehrheit für Ihre Positionen. Verschaffen Sie sich Gehör!
Vernetzt euch!
Ein anderer Weg sind die Gewerkschaften oder das Engagement in Initiativen oder Netzwerken. Mit einer Organisation können Sie sich leichter Gehör verschaffen als alleine. Als Gewerkschaftsmitglied oder Teil einer Initiative haben Sie eine durchsetzungskräftige Interessenvertretung, können diese auch selbst mitgestalten und dadurch Einfluss nehmen. Gemeinsam mit zahlreichen Verbündeten können Sie sich so gegen die Absenkung der Standards in Kitas und gegen eine mangelhafte Tarifpolitik wehren. Informieren Sie sich, welche Gewerkschaft für Sie die richtige wäre oder wie Sie in der Mitarbeitervertretung (MAV) aktiv werden können. Wo haben Sie die Möglichkeit, aktiv in einer Fachgruppe mitzuarbeiten? Wer bietet interessante Fachforen an? Wie hoch sind die Mitgliedsbeiträge? Welche Organisation schafft es, im politischen Umfeld ausreichend gehört zu werden? Aus meiner Sicht kann in keiner der vielen Gewerkschaften eine Mitgliedschaft schaden, denn die Vertreter sitzen direkt bei den Lohnverhandlungen mit am Tisch. Und nicht zuletzt stehen Sie als Gewerkschaftsmitglied auch versicherungstechnisch gut da. Leider machen die Statistiken noch immer deutlich, dass Erzieherinnen in den Gewerkschaften unterrepräsentiert sind. Je weniger Erzieherinnen aber in einer Gewerkschaft sind, desto weniger hat diese ihre Themen auf der Agenda. Also, treten Sie nicht nur selbst in eine Gewerkschaft ein, sondern animieren Sie Ihre Kolleginnen gleich mit, gemeinsam sind Sie stark!
Mischt euch ein!
Streng genommen setzt der Beruf der Erzieherin auch ein gesellschaftspolitisches Engagement voraus. Von daher dürfte es eine unpolitische Erzieherin meiner Meinung nach eigentlich gar nicht geben. Schließlich vermittelt sie den Kindern auch, dass Einmischung notwendig ist und sich Partizipation nicht auf das Auswählen des Spielzeugs beschränkt. Es geht aber auch um Solidarität: Von den Tariferhöhungen und anderen Verbesserungen, die die Gewerkschaften und andere Organisationen durchsetzen, profitieren schließlich alle. So ein Engagement für sich und Ihre Kolleginnen erfordert natürlich Zeit. Aber eines ist sicher: Diese Investition wird sich lohnen! Und denken Sie nur an die Rolle, die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern in der Kita spielen. Seien Sie Vorbild und engagieren Sie sich. Kommunizieren Sie Ihre Sorgen, Ängste und Bedürfnisse in Verbänden, Gewerkschaften und gegenüber Ihren politischen Interessensvertretern. Denn: »Was wir heute tun, entscheidet über die Welt von morgen.«
Bleibt hartnäckig!
Natürlich gibt es gute und weniger gute Politiker, genauso wie es tolle und weniger tolle Erzieherinnen gibt. Nicht jeder ist dazu geeignet, das zu tun, was er tut. Aber glauben Sie mir, fast alle Politiker machen ihren Job aus Leidenschaft. Egal ob auf Bundes, Landes oder kommunaler Ebene. Sie tun das in der festen Überzeugung, etwas Gutes für ihr Land oder ihre Stadt zu bewirken. Das klingt pathetisch, ist aber so. Deshalb mein Appell: Wenn es mit der Beantwortung des nächsten Briefs etwas länger dauert, bleiben Sie entspannt, aber hartnäckig. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zukunft unseres Landes keinem egal ist, und erst recht nicht den Politikern, die das Ziel eines guten Zusammenlebens zur Haupt und Zielaufgabe ihres Jobs machen.
Empört euch!
Ich wünsche mir, dass Sie alle einen Grund zur Empörung haben. Sei es der zu geringe Betreuungsschlüssel, das zu geringe Gehalt oder eben, dass Sie zu wenig gehört werden. Denn wenn man sich über etwas wirklich aufregt, dann wird man aktiv. Dann wird man stark und engagiert sich. Ich finde fast jeden Tag einen neuen Grund zur Empörung. Daraus resultiert meine Entschlossenheit zum Engagement. Ich wünsche Ihnen, unseren Kindern und deren Kindern, dass Sie aus dieser Entschlossenheit so viel Kraft schöpfen können, dass sich am Ende wirklich etwas verändert! Die Zeit drängt. Es liegt auch in Ihren Händen, ob die Welt ein Stückchen gerechter wird oder alles beim Alten bleibt. Kämpfen Sie für eine bessere Anerkennung Ihres Berufs und eine angemessene Bezahlung. Sie sind es wert!
Julia Söhne
Seit zweieinhalb Jahren Stadträtin in Freiburg, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Mitglied im Kreisvorstand der SPD