Titelthema
Was macht die Macht mit der Partizipation?
Kindertageseinrichtungen sind ein ideales Lernfeld zur Vermittlung von demokratischen Kompetenzen. Demokratiebildung und -erziehung sollte daher ein zentrales Bildungs- und Erziehungsziel in allen Kindertageseinrichtungen sein. Doch beim genaueren Hinsehen wird schnell deutlich, dass das Recht der Kinder auf freie Entfaltung und somit auch auf Partizipation von den Entscheidungen der Erwachsenen abhängig ist. Vor diesem Hintergrund wird der Anspruch an die Kita als Bildungseinrichtung, Partizipation im Alltag umzusetzen und eine vielfältig beteiligungsfördernde Alltagsgestaltung zu realisieren, zur besonderen Herausforderung.
Was bedeutet es, Macht zu haben?
Kinder dürfen mitentscheiden, doch sollte es nicht eher heißen »Kinder müssen mitentscheiden«? Die Einbeziehung von Kindern bei allen das Zusammenleben betreffenden Ereignissen und Entscheidungsprozessen ist keine Option. Partizipation ist die Grundlage pädagogischen Handelns und wird zum einen in den jeweiligen Bildungs- und Erziehungsplänen der Bundesländer thematisiert und leitet sich zum anderen aus dem gesetzlichen Bildung-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag ab (vgl. § 8 SGB VIII). Entscheidend in der Umsetzung eines auf Partizipation orientierten pädagogischen Handelns ist hierbei die Gestaltung von Interaktionsprozessen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern. Im Folgenden werden zwei Ansätze erläutert, die bei einer gelingenden Umsetzung von Partizipation im Alltag mitzudenken sind:
• Was Kinder wirklich wollen
Kinder sind eigenaktive und eigenständige Personen, mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen, allem voran das Bedürfnis nach autonomen Handlungen. In der Praxis braucht es zur Umsetzung dieser Bedürfnisse ein partizipatives Verständnis sowie partizipative Handlungen von pädagogischen Fachkräften. Die Umsetzung eines demokratischen Prinzips kann nur erfolgen, wenn die Fachkräfte sich ihrer Rolle und Position im Kontext einer partizipativen Alltagsgestaltung bewusst sind. Ihnen obliegt es, die Bedürfnisse von Kindern zu hören, zu interpretieren und einen Handlungsrahmen zu schaffen, der den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird. Wenn ein Kind ein Bedürfnis verbal oder non-verbal äußert, ist es von der Interpretation der pädagogischen Fachkräfte abhängig. Sie entscheiden letztlich, ob das Bedürfnis des Kindes gehört wird und eine passgenaue Handlung erfolgt. Hier wird schnell deutlich, dass Kinder abhängig von der individuellen Interpretation der pädagogischen Fachkräfte sind. Diese Form der Macht durch pädagogische Fachkräfte spiegelt ein klassisches, durch Hierarchien geprägtes Machtverständnis wider, da die Interpretation der Bedürfnisse der Kinder (Deutungsmacht) sowie die Gestaltung der Situation (Gestaltungsmacht) von den pädagogischen Fachkräften ausgehen. Doch was bedeutet dies nun für den pädagogischen Alltag in Kindertageseinrichtungen?
Es gilt nicht, die Gestaltungsmacht der pädagogischen Fachkräfte durch eine alleinige Gestaltungsmacht der Kinder zu ersetzen. Es geht vielmehr um ein gemeinsames Miteinander auf Augenhöhe. Die Aufgabe hierbei ist, die Kinder über ihr Beteiligungsrecht zu informieren, ihnen zuzuhören, Impulse zu geben und ihnen nicht die Bedürfnisse vorwegzunehmen. Die Schwierigkeit liegt insbesondere darin, die Objektivität zu wahren und die Bedürfnisse der Kinder nicht nach guten und schlechten zu sortieren (vgl. Fraser 1994, S. 281).
Ein ständiges Bewusstsein seitens der pädagogischen Fachkräfte, dass es bei den Entscheidungsprozessen nicht um ihre persönlichen Bedürfnisse geht, scheint hierbei notwendig. In diesem Zusammenhang gilt es insbesondere, die entstehenden Interaktionen im Kontext der professionellen Rolle ständig zu reflektieren und zu hinterfragen.
• Die Kita - ein Ort der vielen Bedürfnisse
Bei der Entwicklung von Partizipationsmöglichkeiten sollte darauf geachtet werden, dass Kinder unter Umständen bestimmte Situationen und Realitäten nur aus einer eingeschränkten Perspektive heraus betrachten. Dementsprechend können Kinder ihre Bedürfnisse auch nur aus einer solch eingeschränkten Perspektive darstellen beziehungsweise benennen (vgl. May 2008, S. 52). Menschen, die noch nie eine Blume gesehen haben, werden kaum das Bedürfnis nach einem Blumenstrauß äußern. So verhält es sich auch, wenn Kinder, die noch nicht die Erfahrung gemacht haben, Alltagssituationen mitgestalten können. Sie werden nur schwer die verschiedenen Optionen an Möglichkeiten in den Entscheidungsprozessen miteinbeziehen, geschweige denn sagen können, in welcher Weise sie an Entscheidungen beteiligt werden möchten.
Partizipation von Kindern im Kita-Alltag passiert nicht aus dem Nichts. Damit Kinder über ihre eigenen Perspektiven hinaus Bedürfnisse formulieren können, braucht es eine pädagogische Haltung und Begleitung, die eine Hervorbringung der Bedürfnisse ermöglicht. Dies beinhaltet, mit den Kindern in einen Dialog zu treten, gemeinsam nach Lösungen für zu bewältigende Probleme zu suchen, Entscheidungen zu treffen und Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe zu erreichen. Im Sinne eines Demokratieverständnisses obliegt den pädagogischen Fachkräften hierbei ebenfalls die Aufgabe, über verschiedene Möglichkeiten aufzuklären und diese darzustellen. Angelehnt an das vorherige Beispiel bedeutet dies, dass pädagogische Fachkräfte den Kindern die Vielfalt der Blumenwelt vorstellen und verschiedene Blumen zur Auswahl zur Verfügung stellen. Erst wenn Kinder diese Vielfalt an Möglichkeiten wahrnehmen und verstehen, können sie Entscheidungen anhand ihrer Bedürfnisse treffen, sich beteiligen und einen eigenen Blumenstrauß zusammenstellen.
Kann Macht auch positiv sein?
Die Betrachtung dieser im Vorfeld erläuterten Ebenen macht deutlich, dass pädagogische Fachkräfte auf unterschiedliche Weise Macht haben und Macht einsetzen können. Doch die Frage hierbei ist, ob Macht per se auch immer etwas Negatives ist.
Norbert Elias versteht unter Macht »eine Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen« (Elias 2014, S. 85). Konkret heißt dies, dass Macht immer dann entsteht, sobald Menschen in Beziehung zueinander stehen. Hier gilt es jedoch genau zu berücksichtigen, wie diese Macht verteilt ist und ob Macht letztlich zum eigenen Zweck ausgerichtet wird. Dies bedeutet, dass jeder in jeder Beziehung Macht hat, nur unterschiedlich viel. Der weniger mächtige Mensch ist stärker auf einen anderen Menschen angewiesen. Wird diese Definition auf Interaktionsprozesse in Kindertageseinrichtungen übertragen, wird deutlich, dass die Machtbalance zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern ungleich zu Ungunsten der Kinder ist. Kinder begegnen den Fachkräften in der Regel mit bedingungsloser Zuneigung und sind schnell bereit, deren Wünschen und Anweisungen nachzukommen. Die mächtigere Position der pädagogischen Fachkräfte und das damit bestehende Hierarchieverhältnis legitimieren sich aufgrund deren Rolle und Position. Das beinhaltet auch, dass sie ihre Macht missbrauchen können. So ist es nicht selten, dass pädagogische Fachkräfte kleine oder vermeintliche Wahlfreiheiten eröffnen und Partizipation in diesen Fällen suggerieren. Macht kann auch eingesetzt werden, wenn das eigene Bedürfnis von pädagogischen Fachkräften im Vordergrund der Handlungen steht und die Bedürfnisse der Kinder keinen Platz haben (vgl. Fraser 1994, S. 265).
Doch Macht kann im Sinne der Verantwortung auch positiv besetzt und durchaus sinnvoll und notwendig sein. So brauchen Kinder Schutz, besondere Förderung und kindgerechte Beteiligungsformen. Die Entwicklung eines Gefühls der Zuständigkeit für eigene Belange und die Belange der Gemeinschaft, kurz für die Entwicklung einer politischen Persönlichkeit, braucht Begleitung (vgl. Hansen 2004, S. 1) und diese Begleitung liegt in der Verantwortung der pädagogischen Fachkräfte. Das heißt, sie müssen ihre Macht einsetzen, damit Kinder ihre Rechte erleben und umsetzen können. Doch auch hier ist zu berücksichtigen, dass Kinder keine besitzhaften Objekte sind, deren Ideen gehört, aber nicht berücksichtigt, deren Handlungen gesehen, aber für nicht gut befunden werden. Kinder sind Subjekte und Experten in eigener Sache. Dass Macht seitens der pädagogischen Fachkräfte nicht unbegrenzt ist, wird in diesem Zusammenhang als selbstverständlich betrachtet und bedarf einer ständigen Reflexion der mächtigen Rolle und Position in den jeweiligen Interaktionsprozessen.
Jasmin Brück
Dozentin an der Ketteler-LaRoche-Schule, Fachschule für Sozialwesen.
Literatur
• Fraser, Nancy (1994): Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht; Frankfurt am Main: Suhrkamp
• May, Michael (2008): Partizipative Projektentwicklung im Sozialraum, in: Michael May, Monika Alisch (Hrsg.): Praxisforschung im Sozialraum. Fallstudien in ländlichen und urbanen sozialen Räumen, Opladen, Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich
• Elias, Norbert (2014): Was ist Soziologie?; Weinheim, Basel: Beltz Juventa
• Hansen, Rüdiger et al. (2004): Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation in Kindertagesstätten; hrsg. v. Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein, Kiel