Titelthema
Damit alle teilhaben können
Inklusive Arbeit in der Kita bedeutet, möglichst alle Kinder unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen und ihren besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten in den pädagogischen Alltag einzubeziehen. Wie digitale Medien dazu beitragen können, dass alle Kinder an Projekten teilnehmen können, zeigt Susanne Eggert.
Der Einsatz digitaler Medien in der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen ist in einer Erhebung von 33 Kitas unterschiedlicher Träger in Bayern im Jahr 2017 wurde die Rolle digitaler Medien im Kita-Alltag näher betrachtet. In der Studie zeigte sich, dass digitale Medien in allen Kitas vorhanden sind und auch genutzt werden, jedoch vor allem für Organisatorisches oder für Verwaltungsaufgaben (Schubert et al. 2018). Geht es um die Bedeutung im pädagogischen Alltag, kommen sie zum einen bei der Vorbereitung der pädagogischen Arbeit zum Einsatz, zum anderen bei der Dokumentation.
Hinsichtlich der konkreten pädagogischen Arbeit mit den Kindern ist das Bild sehr viel uneinheitlicher. Hier spielen digitale Medien in den meisten Kitas nur eine kleine Rolle. Begründet wird dies vor allem damit, dass Kinder zunächst andere Fähigkeiten entwickeln müssen. Auch wenn diese Haltung und Einstellung in der Studie (noch) die vorherrschende war, zeigte sich etwa ein Drittel der Kitas gegenüber dem Einsatz digitaler Medien im pädagogischen Alltag sehr aufgeschlossen (ebd., S. 21 ff.). Einige dieser Einrichtungen haben bereits ein vielfältiges Spektrum medienpädagogischer Aktivitäten entwickelt und in ihre Alltagspraxis integriert. Dabei wird jedoch Wert darauf gelegt, dass die digitalen Medien und die damit verbundenen Möglichkeiten, zu spielen oder auch zu lernen, die vorhandenen Beschäftigungsfelder nicht verdrängen, sondern sinnvoll ergänzen. In diesen Kitas wird auch beobachtet, dass die Geräte nicht für alle Kinder gleichermaßen anziehend sind. Die Vermutung und zum Teil Befürchtung, dass die digitalen Medien andere Spielmöglichkeiten verdrängen beziehungsweise diese von den Kindern nicht mehr wahrgenommen werden, bestätigen sich hier nicht.
Gründe für den Einsatz digitaler Medien in der Kita
Kindertageseinrichtungen, die sich dafür entschieden haben, digitale Medien in die pädagogische Arbeit zu integrieren, nennen dafür verschiedene Gründe. So beobachten beziehungsweise vermuten einige pädagogische Fachkräfte, dass manche Kinder in ihrem familiären Umfeld einem unangemessenen Medienumgang mit Blick auf ihr Alter und ihre entwicklungsbedingten Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgesetzt sind, dem in der Kita begegnet werden muss. Ein weiteres Argument besteht darin, dass insbesondere produktionsorientierte Medienaktivitäten aus der Sicht einiger Fachkräfte Gesprächsanlässe schaffen und somit bezüglich der Lernaufgabe »kompetent kommunizieren« eine wichtige Rolle spielen. Es wird jedoch Wert darauf gelegt, dass die Beschäftigung mit Medien hier nicht ausreicht, sondern durch andere Beschäftigungsbereiche ergänzt werden muss. Neben den genannten Gründen spielt in einigen Einrichtungen aber auch das Argument der Chancengleichheit eine wichtige Rolle. Hierbei wird der Blick insbesondere auf Kinder aus sozial benachteiligenden Strukturen gerichtet und das Potenzial aktivierender, kreativer und gemeinschaftlicher Umgangsmöglichkeiten hervorgehoben.
Vor diesem Hintergrund werden digitale Medien in den Kitas auf zwei verschiedene Arten eingesetzt: einmal in Form eines Highlights oder einer Besonderheit in spezifischen Medienprojekten oder wenn es eine inhaltliche Anschlussmöglichkeit gibt, wie zum Beispiel eine Sonnenfinsternis, die auch online beobachtet werden kann. Die zweite Art des Medieneinsatzes besteht darin, diesen die Bedeutung von alltäglichen Gegenständen zuzuschreiben, die den Status von Hilfsmitteln haben und genauso wie beispielsweise Schere und Papier sowohl von den pädagogischen Fachkräften wie auch von den Kindern genutzt werden.
Die Teilnahme aller Kinder ermöglichen
Die Kindertageseinrichtung ist die erste Institution im Leben eines Kindes, in der es mit anderen Kindern zusammen spielt und lernt. Die Zusammensetzung der Kinder ist in der Kita - und war das schon immer - bunter und vielfältiger als später in der Schule. Kinder aus bildungsbevorzugten Elternhäusern treffen hier auf Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien, dazu kommen Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund und geringen Sprachkenntnissen, Kinder mit körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung et cetera. Auch ohne die genannten Merkmale sind Kinder in der frühen Kindheit sehr unterschiedlich, da jedes Kind sich in seinem individuellen Tempo entwickelt. So erreichen die meisten Kinder das durch die Sozialisation vorgegebene Entwicklungsziel der »Schulreife« nicht mit sechs Jahren, sondern irgendwann zwischen etwa fünf und sieben Jahren.
Vor diesem Hintergrund ist es den Kindern nicht fremd, dass ihre Spielkameradinnen und -kameraden manchmal anders sind als sie selbst, Dinge können, die sie selbst noch nicht können, oder andere Fähigkeiten oder Fertigkeiten haben. Die meisten Kinder zeigen eine große Offenheit, sich auf andere einzulassen, und sind gern bereit, diese zu unterstützen, wenn sie etwas (noch) nicht so gut können. Auch die pädagogischen Fachkräfte in der Kita sind mit dieser Situation vertraut. Trotz dieser eigentlich idealen Voraussetzungen ist es nicht einfach, den pädagogischen Alltag so zu gestalten, dass alle daran teilhaben und davon profitieren können.
Digitale Medien in der inklusiven Arbeit
Melanie Schaumburg beschreibt das Ziel von medienpraktischer Arbeit damit, »dass Kinder und Jugendliche mit ihren je unterschiedlichen Ausgangslagen gemeinsam lernen können« (Schaumburg 2019, S. 19). Damit sind einerseits Projekte mit Medien prädestiniert für die inklusive Arbeit. Andererseits kann der Einsatz von (digitalen) Medien im Alltag dazu beitragen, dass alle sich beteiligen können.
Medienprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten gefragt sind. Dies soll am Beispiel eines Filmprojekts deutlich gemacht werden: Eine Kita-Gruppe möchte selbst einen Film drehen. Sie entscheidet sich für einen Stopptrickfilm mit Knetfiguren, den sie mit dem Tablet produzieren möchten. Dafür entwickeln die Kinder zunächst eine Geschichte und Dialoge für die beteiligten Figuren. Anschließend werden die Kulissen und die Figuren gebastelt. Die Kinder formen mit Knete Figuren, bauen Kulissen aus Bauklötzchen oder malen sie auf Papier auf, schneiden sie aus und kleben sie zusammen. In alle diese Schritte können Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten einbezogen werden. Anschließend wird der Film »gedreht«. Hier braucht es diejenigen, die sich darum kümmern, dass die Figuren im richtigen Bühnenbild sind, diejenigen, die die Dialoge sprechen, und diejenigen, die den Film aufnehmen. Der Aufnahmebutton auf dem Tablet kann dabei auch von Kindern mit motorischen Schwierigkeiten gedrückt werden.
Alle Schritte werden mit den Kindern gemeinsam erarbeitet. Das Ziel besteht darin, dass alle bei dem Projekt mitmachen können und eine Aufgabe haben. Die Kinder sind dabei gefordert, sich genau zu überlegen: Wer kann was? Wer macht was gern? Wer braucht wobei Unterstützung? Et cetera. Wenn der Film dann den anderen Kindern und vielleicht auch den Eltern gezeigt wird und bei diesen gut ankommt, können alle am Projekt beteiligten Kinder stolz auf ihre Leistung sein, egal wie groß ihr Beitrag war - und sie sind es auch. Ganz nebenbei machen die Kinder dabei wichtige Selbstwirksamkeits- und Selbstwerterfahrungen.
Aber nicht nur im Rahmen von Projekten können (digitale) Medien in der pädagogischen Arbeit unterstützend eingesetzt werden. Wird beispielsweise mit mehreren Kindern gemeinsam ein digitales Bilderbuch betrachtet, so besteht die Möglichkeit, dass ein schwerhöriges Kind den Text über Kopfhörer in einer angemessenen Lautstärke hört. Ein anderes Beispiel ist der »Stuhlkreis«, in dem die Kinder von ihren Erlebnissen erzählen. Anhand von Bildern, die es entweder ausgedruckt mitbringt oder die von den Eltern geschickt wurden und die das Kind nun auf einem Tablet zeigt, kann auch ein Kind, das nicht spricht oder (noch) Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat, sich an der Runde beteiligen.
Das Ziel inklusiver Arbeit in der Kita besteht darin, möglichst alle Kinder unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen und ihren besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten in den pädagogischen Alltag einzubeziehen. Anhand der wenigen beschriebenen Beispiele wird deutlich, wie digitale Medien eingesetzt werden können, um alle Kinder an den Aktivitäten in der Kita zu beteiligen.
Dr. Susanne Eggert
Stellvertretende Leiterin der Abteilung Forschung am JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Forschungsschwerpunkte: Familie und Medien, Frühe Kindeheit und Medien, Inklusion und Medien.
Literatur
• Friedrichs-Liesenkötter, Henrike (2016): Medienerziehung in Kindertagesstätten. Habitusformen angehender ErzieherInnen; Wiesbaden: Springer VS
• Schaumburg, Melanie (2019): Alles inklusive? Zum Inklusionsverständnis innerhalb der medienpädagogischen Praxis, in: merz, 63 (5), S. 17 - 23
• Schubert, Gisela/Brüggen, Niels/Oberlinner, Andreas/Eggert, Susanne/Jochim, Valerie (2018): Haltungen von pädagogischem Personal zu Medien, Internet und digitalen Spielen in Kindertageseinrichtungen. Bericht der Teilstudie »Mobile Medien und Internet im Kindesalter - Fokus Kindertageseinrichtungen«; München: JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis; online verfügbar unter: www.jff.de/mofam