Standpunkt
Nein zu Gewalt
Ob bewusst oder unbewusst: Gewalt lässt sich nicht umdeuten, meint Paul Nowicki.
Astrid Lindgren erzählte 1978 in ihrer Dankesrede anlässlich des ihr verliehenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die Ge schichte eines Kindes, das für ein Vergehen von der Mutter gezüchtigt werden sollte. Das war zu dieser Zeit in Schweden noch nicht verboten.
Das Kind wurde losgeschickt, um eine Rute zu holen. Als es wieder kam, hatte es aber einen Stein in der Hand, den die Mutter nach ihm werfen solle. Der würde ihm auch wehtun. Da wurde der Mutter bewusst, dass Gewalt bleibt, was sie ist: Sie verletzt, tut weh, hinterlässt Wunden, die nur schwer verheilen und bleibende Narben zurücklassen. Das gilt für jede Form von Gewalt, sei sie physisch, psychisch oder sozial ausgrenzend. Sei sie direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst. Gewalt lässt sich auch nicht umdeuten zu einer notwendigen oder gar positiven erzieherischen Maßnahme.
Die Konsequenz der Mutter, von der Astrid Lindgren erzählte, war, den Stein ins Küchenregal zu legen, als mahnendes Zeichen, um auf jede Form von Gewalt zu verzichten.
Auch wenn sich seitdem viel getan hat und gute Mechanismen entstanden sind, um Strukturen von Gewalt aufzudecken und zu vermeiden: Auch nach fast 50 Jahren, die seit der Rede vergangen sind, ist das Thema weiterhin aktuell. Denn eine weitere Folge von Gewalt ist ihre intergenerationale Übertragung. Indirekt erlebte oder unmittelbar erfahrene Gewaltkontexte werden im Umgang mit anderen weitergeführt. Es sind meist unbewusste Haltungen, die besonders in Krisen oder unter Druck und Belastung wirksam werden können. So werden Erfahrungen der eigenen Kindheit, wenn sie nicht reflektiert und aufgearbeitet wurden, unbewusst an die nächste Generation weitergegeben, auch wenn man sie selbst als verletzend erlebt hat.
Die Fachkräfte in unseren Kindertageseinrichtungen sind überwiegend in diesem Beruf, weil sie zutiefst davon motiviert sind, den ihnen anvertrauten Kindern ein entwicklungsoffenes, lebensbejahendes und gewaltfreies Fundament zu legen. Doch die Rahmenbedingungen in unseren Kitas sind in den meisten Fällen belastend und überfordernd. Es fehlt zu oft die Möglichkeit, sich strukturiert dem Thema zu widmen.
In allen Bundesländern gibt es inzwischen Initiativen, mehr Menschen in die Kitas zu bringen. Doch jedes Lösungsmodell muss sich hinterfragen lassen, ob es nicht die Qualität der pädagogischen Arbeit senkt. Und jeder Kompromiss, der diesbezüglich für vertretbar gehalten wird, muss sorgfältig darauf geprüft werden, welche dauerhaften Konsequenzen daraus folgen.
Gerade um den Kreislauf der Erfahrung von Gewalt in all seinen Dimensionen zu durchbrechen, braucht es qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher, die eine Ausbildung nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen auf Niveau 6 erfolgreich ab geschlossen haben und denen die Möglichkeit offensteht, sich regelmäßig fort und weiterzubilden.
Auch wenn es im ersten Moment paradox klingt: Der Lösungsweg führt über Erhalt und Ausbau der Qualität und der Schaffung von strukturellen Rahmenbedingungen, die den Fachkräften genug Zeit zu Reflexion, Austausch und fachlichem Diskurs geben.
Noch fehlt das klare Bekenntnis der Politik, das notwendige Geld in die Hand zu nehmen, um bundeseinheitliche strukturelle Qualitätsstandards zu schaffen, die dem Wohl der Kinder in unseren Kindertageseinrichtungen gerecht werden.
Paul Nowicki
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e.V.