Titelthema
Was Erzieherinnen leisten
Ein wertschätzender Blick auf professionelles pädagogisches Handeln unter schwierigen Bedingungen von Rainer Strätz.
Wer sagt einer Erzieherin, was sie alles gut gemacht hat? Sie kann es sich selbst verdeutlichen (vielleicht mit eingeschränkter Überzeugungskraft) oder das Glück haben, dass eine Kollegin, die Einrichtungsleitung oder auch bestimmte Eltern das übernehmen. Für die Fälle, in denen das nicht geschieht, ist dieses Heft konzipiert und dieser Artikel geschrieben worden.
Zunächst: Was Erzieherinnen leisten, ist der Öffentlichkeit sehr wohl bewusst. In einer bundesweiten Umfrage aus dem Jahr 2012 zum Ansehen von dreißig Berufen in der Bevölkerung1 belegte Erzieherin in Kindertageseinrichtungen den vierten Platz, deutlich vor Hochschulprofessor, Lehrer, Unternehmer, Anwalt oder Steuerbeamter. Dieser Spitzenplatz ist nicht nur eine hohe Anerkennung für das Engagement und die Professionalität, mit der Erzieherinnen ihre Aufgaben erfüllen, sondern auch hoch verdient angesichts der vielfach mangelhaften Rahmenbedingungen, unter denen diese hoch qualifizierte Arbeit geleistet wird. Durch diese Schere nähert sich die Tätigkeit in Kindertageseinrichtungen allerdings häufig der Grenze zur Selbstausbeutung - und zwar von beiden Seiten. Das ist der Öffentlichkeit vielleicht nicht so bewusst.
Eine andere Zeitungsschlagzeile: Im April 2013 wurde der Leiter einer Kölner Kindertageseinrichtung von einem Bewaffneten einen ganzen Tag lang in seinem Büro gefangen gehalten, um Geld zu erpressen. Zu Beginn der Geiselnahme hat das Team der Einrichtung innerhalb kürzester Zeit alle Kinder aus den beiden Stockwerken des Gebäudes evakuiert und in Sicherheit gebracht. Nur wer sich in polizeilicher Ermittlungsarbeit auskennt, könnte genau aufzählen, was diese Fachkräfte in dieser extremen Stresssituation alles richtig gemacht haben. Mit Sicherheit wäre diese Liste lang.
Das bedeutet, dass es nicht nur eine Qualität und Professionalität gibt, die Außenstehenden sichtbar wird, sondern dass Erzieherinnen über ihre "Kernaufgaben" hinaus auch über äußerst wichtige weitere Kompetenzen verfügen, die aber (glücklicherweise) nur selten gebraucht werden.
Drittens gibt es aber einen hoch professionellen Umgang mit alltäglichen erzieherischen Herausforderungen, der nach außen hin wahrscheinlich weitgehend verborgen bleibt. In verschiedenen Hinsichten besteht die Kunst entweder darin, die Dinge in der Schwebe zu halten, oder darin, mit Spannungsverhältnissen und oft genug mit Zwickmühlen umzugehen, bei denen es keine einfache, vielleicht auch keine ideale Lösung gibt. Pädagogik ist nämlich prinzipiell eine unendliche Aufgabe - in anderen Berufen ist das anders. Wenn zum Beispiel ein Pilot nach einem Langstreckenflug seine Passagiere sicher an den Bestimmungsort gebracht hat, kann er mit sich zufrieden und sicher sein, seine Aufgabe vollständig und gut bewältigt zu haben. Gerade die selbstkritische Erzieherin aber, auch wenn sie sehr viel für die Förderung eines bestimmten Kindes getan hat, wird sich immer selbstzweifelnd fragen, ob sie nicht noch mehr hätte tun können. Und diese Zweifel wird sie ständig aushalten müssen, ohne vor der Unendlichkeit der Aufgabe zu resignieren, ohne sich einzureden, es käme doch nicht darauf an, und nur noch das unbedingt Notwendige zu tun. Zudem ist Erziehung immer eine arbeitsteilige Aufgabe zwischen Fachkräften und Familien; aber selbst wenn sie den Eindruck haben, dass die Familie nicht "mitzieht", resignieren die wenigsten Erzieherinnen, sondern suchen immer wieder neu das Gespräch mit den betreffenden Eltern.
Es kommt hinzu, dass in der Pädagogik diejenigen Dinge, die gut zu dokumentieren und nachzuweisen sind, in der Regel nicht zentral wichtig sind, während umgekehrt das besonders Bedeutsame nur schlecht "nachweisbar" ist. Wer ein Kaufhaus leitet, hat die Gewinnzahlen als klaren und einfachen Erfolgsnachweis, der Geschäftsführer einer Autowerkstatt hat dazu die Zahl der Reklamationen. Abzählen kann eine Erzieherin zwar auch, allerdings nur wenig belangvolle Dinge wie zum Beispiel, wie häufig ein Kind auf einem Bein hüpfen kann. Für die wirklich wichtigen Merkmale wie das Selbstvertrauen eines Kindes, seinen konstruktiven Umgang mit Misserfolgen oder seine Empathie und Solidarität mit den Schwächeren aber gibt es keine abzählbaren Nachweise. Also muss sich eine Erzieherin auf andere Weise, zum Beispiel durch "Bildungs- und Lerngeschichten" und generell durch "Bildungsdokumentationen" verdeutlichen, wie sich ein Kind entwickelt hat und welchen Anteil sie (vermutlich) daran hatte.
Spannungen aushalten
Eine Lehrerin kann einen Lehrplan "abarbeiten". In der Elementardidaktik laufen die Dinge nie so wie geplant (beziehungsweise vorausgesehen), und trotzdem kann keine Erzieherin sie einfach "laufen lassen". Planung bleibt zentral wichtig, auch wenn sie nie einfach "umgesetzt" werden kann, und die Leistung besteht darin, diese Spannung auszuhalten. Schematisches Handeln ist in der Pädagogik überhaupt kontraproduktiv, weil die Dinge immer komplizierter sind als gedacht. Was das bedeutet, habe ich zu ersten Mal gelernt, als ich an einem Waldspaziergang mit einer Kindergartengruppe und zwei Erzieherinnen teilgenommen habe. Die Gruppenleiterin hatte zu Beginn die Kinder auf eine Regel hingewiesen, die ihr sehr wichtig war: "Alles anschauen, aber alles liegen lassen." Plötzlich war Paul verschwunden, ein kleiner, schmächtiger, sehr stiller und zurückhaltender Junge, der es zu Hause mit seinen größeren, dominanten Brüdern nicht leicht hatte und sich auch schwertat, Anschluss in der Gruppe zu finden. Auf einmal tauchte er dann wieder auf, mit strahlendem Gesicht und einem mindestens vier Meter langen Birkenast, den er hinter sich herzog und mit dem er wellenförmige Spuren auf dem Waldweg hinterließ. Alle Kinder waren begeistert, der Erzieherin stockte der Atem. Aber schon nach zwei Sekunden hatte sie sich entschieden: "Paul braucht das jetzt." Vielleicht noch eindrucksvoller war das Verhalten der anderen Kinder: Kein einziges versuchte, dasselbe zu tun wie Paul. Es war, als ob sie sich alle stillschweigend darauf geeinigt hatten, dass nur er das tun durfte.
Feinfühligkeit
Die Leistung, die ich bei Erzieherinnen am meisten bewundere, ist ihre Feinfühligkeit im Alltag den Kindern gegenüber. Zwei Beispiele:
· Als die Erzieherin an einem Spielhaus im Außengelände vorbeikommt, sieht sie darauf einen vierjährigen Jungen sitzen, der ihr mit undurchschaubarer Miene sagt: "Vielleicht komme ich hier gar nicht mehr herunter." Weil die Erzieherin erkennt (erspürt?), dass dieser Junge eine Runde "Was wäre, wenn ...?" spielen will, spart sie sich plumpe Bemerkungen wie "Wer da hochgekommen ist, wird auch wieder herunterkommen!" oder "Das hättest du dir besser vorher überlegen sollen!", sondern geht darauf ein: "Ja, dann muss dir die Yvonne später das Mittagessen hier hoch bringen." Und als sie das nächste Mal vorbeikommt, ist dem Jungen eine Fortsetzung eingefallen, und bei jeder Runde geht das Spiel einen Schritt weiter.
· Eine Erzieherin hetzt von einem Raum, in dem sie Materialien geholt hat, zu einem anderen, in dem Kinder auf sie warten. Aber sie findet trotzdem noch die Zeit, das zweijährige Kind, das auf dem Boden herumkriecht, zu fragen: "Bist du ein Löwe?" und auch so lange zu warten, bis das Kind ihr antwortet. (Selbstverständlich ist ihre Vermutung richtig, denn sie hat auch dieses Kind gut kennengelernt.) So etwas verlangt übrigens eine besonders schwierige Form der Aufmerksamkeitsverteilung: Wo zum Beispiel eine Goldschmiedin sich voll auf ihr kleines Werkstück konzentrieren kann, wo eine Lokführerin oder eine Polizistin im Streifendienst den "Rundum-Blick" braucht, ohne sich ständig auf ein bestimmtes Detail konzentrieren zu müssen, wird von der Erzieherin beides verlangt: Sie muss bei einer Aktivität mit bestimmten Kindern voll bei der Sache sein - die Kinder würden ihr das sonst sehr übel nehmen -, und gleichzeitig darf ihr nichts Wichtiges von dem entgehen, was sonst noch in der Umgebung passiert. Wer das über längere Zeit tut, erlebt eine hohe Anspannung und erheblichen Stress.
Viele Bildungsprozesse von Kindern sind eine massive Herausforderung an die Fähigkeit einer Erzieherin, sich "herauszuhalten". Wer es dem Kind zu einfach macht und ihm die Anstrengungen, die vor dem Erfolg stehen, abzunehmen versucht, schadet ihm und seiner Entwicklung. Wer nach zehn Misserfolgen eingreift, untergräbt die Bereitschaft des Kindes, es ein elftes Mal zu versuchen. Viele Erzieherinnen können sich heraushalten, auch wenn es ihnen schwerfällt. Viele versuchen auch, Eltern davon zu überzeugen, dass alle Kinder ständig Schwierigkeiten suchen und brauchen, ohne dass die wertschätzende "Passivität" der Bezugspersonen als Gleichgültigkeit oder Distanzierung missverstanden werden sollte.
Balance zwischen Nähe und Distanz
Die "Balance zwischen Nähe und Distanz" zu halten, wird von Erzieherinnen (zu Recht) ständig gefordert, ist aber so schwer durchzuhalten. Je jünger die Kinder sind, wenn sie aufgenommen werden, desto länger bleiben sie in einer Einrichtung und desto intensiver wird die Beziehung und damit die Nähe zwischen ihnen und der Erzieherin. Und wenn sich dann ein solches Kind nach fünf Jahren Kita-Zeit fröhlich in Richtung Schule verabschiedet, ist manche Erzieherin plötzlich im Personalraum verschwunden, weil niemand sehen soll, dass sie weint.
Eine andere Herausforderung sind in dieser Hinsicht Kinder mit Behinderung, die in immer mehr Einrichtungen aufgenommen werden. Wer sie begleitet, erlebt ständig und hautnah, wie schwer sie es haben (und haben werden) und wie stark die meisten von ihnen dabei sind. Beides zugleich zu erleben, bleibt nicht "in den Kleidern stecken". Deshalb haben Fachkräfte das Recht auf eine Supervision (oder eine andere Form der Begleitung), die sie dabei unterstützt, solche Erfahrungen zu verarbeiten. Sonst wäre die Gefahr groß, den einfachen "Ausweg" zu praktizieren, der darin besteht, keine Nähe mehr zuzulassen.
Lebenslanges Lernen
Eine letzte Herausforderung besteht darin, die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens im Beruf nicht nur zu akzeptieren, sondern wertzuschätzen. Der Wandel beschleunigt sich ständig - noch vor zwölf Jahren gab es zum Beispiel die Begriffe "Bildungsplan", "Familienzentrum", "Inklusion", "Sprachstandsfeststellung", "multiprofessionelle Teams" oder "Bildungsdokumentation" nicht. Viele Erzieherinnen sorgen in dieser Situation des ständigen Wandels selbst aktiv für ihre Weiterqualifizierung. Immer dann, wenn ich an Tagungen und Fortbildungen mitwirke, die für unterschiedliche Berufsgruppen geöffnet sind, sind Erzieherinnen deutlich in der Mehrheit. Als Erfahrung aus ihren Praxisphasen berichten mir Studierende auch immer wieder, wie offen viele Kita-Teams für neue Ideen sind und wie konstruktiv sie ihre Rückmeldungen formulieren.
Niemand wird behaupten wollen, dass alle Tageseinrichtungen für Kinder und alle Fachkräfte immer perfekt arbeiten. Aber ich lasse mir nach fast 40 Berufsjahren meinen großen Respekt vor den vielen Erzieherinnen, die sich höchst anspruchsvollen Herausforderungen unter oft sehr schwierigen Rahmenbedingungen in äußerst professioneller Weise stellen, nicht mehr ausreden. Ein solch professionelles Handeln ist aber auf Dauer nur dann zu erwarten, wenn Erzieherinnen die Überzeugung haben, dass ihre Anstrengungen sich lohnen, dass sie mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement tatsächlich etwas bewirken und dass ihre Arbeit nicht nur in der Öffentlichkeit (siehe oben), sondern auch von der Politik so anerkannt wird, wie sie es verdient - nicht nur in Reden, sondern auch in Euro!
Prof. Dr. Rainer Strätz
Fachhochschule Köln - Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften (F01), Lehrtätigkeit im BA-Studiengang "Pädagogik der Kindheit und Familienbildung".
Anmerkung
[1] Eine Forsa-Umfrage mit 3.000 Befragten im Auftrag von dbb Beamtenbund und Tarifunion; http://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/themen/forsa_2012_.pdf