Titelthema
Jung und Alt gerecht werden
Wenn mehrere Generationen in Kita-Teams zusammenarbeiten, treffen unterschiedliche Erfahrungen, Einstellungen und Verhaltensweisen aufeinander. Wie sich diese Unterschiede auf das Miteinander in den Teams auswirken können, ergründet Matthias Hugoth.
Eine altbekannte Situation: Nachdem alle Kinder abgeholt wurden und der offizielle Teil des Arbeitsalltags vorbei ist, gibt es noch eine Dienstbesprechung. In der Runde sitzen die Jungen neben Teammitgliedern mittleren Alters und solchen, die schon mehr als dreißig Jahre im Beruf stehen. Alle wollen möglichst schnell nach Hause, vor allem die Jungen, und hoffen, dass die letzten Absprachen für den morgigen Elternabend zügig über die Bühne gehen. Doch manche wollen alles nochmals gründlich durchgehen - »natürlich die Alten«. Da treffen Generationen aufeinander.
Hilfreich: Befunde der Generationenforschung
Um Unstimmigkeiten zwischen den Angehörigen verschiedener Generationen vorzubeugen und die Potenziale der jeweiligen Generationen optimal zu nutzen, ist es sinnvoll, die Befunde der Generationenforschung einzubeziehen. In der Regel umfasst das in Kindertageseinrichtungen tätige Personal mindestens drei Generationen. Die Altersspanne der Mitarbeitenden reicht meist von Anfang 20 bis Ende 50. Das Wissen darum, warum die Angehörigen der jeweiligen Generation typische Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen, warum es deshalb auch immer wieder zu Missverständnissen und Konflikten untereinander kommen kann und wie diese vermieden werden können, gehört heute zu einem professionellen Personalmanagement.
Die Generationenforschung richtet ihr Augenmerk auf die Mitglieder einer ganzen Generation: Unter welchen Bedingungen sind sie aufgewachsen und welche kollektiven Erfahrungen haben bei ihnen nachhaltige Bilder und Stimmungen hinterlassen? Gibt es spezifische gemeinsame Eigenarten, Einstellungs- und Verhaltensmuster? Wie wirken sich die Prägungen und Eigenarten der jeweiligen Generation auf das Miteinander in Teams von pädagogischen Einrichtungen aus?
Dabei sind sich die Generationenforscher bewusst, dass es Überschneidungen zwischen den Generationen gibt und immer wieder Menschen, die nicht eindeutig den Typisierungen einer Generation entsprechen, obwohl sie altersmäßig dazugehören (Typisierung: Einteilung nach Typen, also Menschen mit gleichen charakteristischen Merkmalen).
Prägend für eine Generation sind über die gemeinsam erlebten großen Ereignisse in der Gesellschaft und weltweit und gemeinsam gemachten kollektiven Erfahrungen hinaus die Schlussfolgerungen, die ebenfalls kollektiv im Erwachsenenalter gezogen wurden. Sie betreffen die Einstellungen zum Leben, zur Arbeit, zur Freizeit, zu anderen Menschen, zur Religion und zu den vorherrschenden Werten. Sie betreffen die Sinnbestimmungen, den Lebens- und Arbeitsstil, den Umgang miteinander, das Bewusstsein und die Fokussierung von Verantwortung.
Für die Personalführung in Kindertageseinrichtungen geht es bei der Frage der Generationenzugehörigkeit zum einen darum, den Angehörigen der einzelnen Generationen gerecht zu werden, indem ihre spezifischen Prägungen und Vorlieben im Blick auf ihre Ursachen und Bedeutungen verstanden werden. Zum anderen geht es darum, sie mit ihren Vorzügen und Stärken in der Einrichtung an den passenden Stellen einzusetzen zur Optimierung der Qualität der Arbeit und zur Minderung von Konflikten zwischen den Generationen.
Die Generationentypen in Kindertageseinrichtungen
Bevor eine Charakterisierung der am stärksten in Kindertageseinrichtungen vertretenen Generationen vorgenommen wird, ist zu bedenken:
• Nicht auf alle Menschen einer Generation treffen die Kennzeichen für ihren Generationentyp zu.
• Die vorgenommenen Generalisierungen basieren auf erforschten Annäherungswerten und Übereinstimmungen.
• Was die »prägenden Jahre« (Jugendzeit) sowie die Charakterisierung der Generationen betrifft, gibt es Unterschiede zwischen den Menschen in West- und Ostdeutschland aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschichte. Die Grenzen zwischen den Generationentypen sind aufgrund von zum Teil ähnlichen Sozialisationserfahrungen fließend.
Die Babyboomer - bei Leitungen und Trägern stark vertreten
In Kindertageseinrichtungen überwiegen die älteren Jahrgänge: Die meisten pädagogischen Fachkräfte bewegen sich altersmäßig zwischen 40 und 60 Jahren. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass diese Jahrgänge vor allem bei den Leitungen und Trägern von Kindertageseinrichtungen anzutreffen sind.
Babyboomer-Träger und -Leitungen
Wer dem Generationentyp der Babyboomer angehört, ist in der Regel mit seiner Einrichtung stark identifiziert und setzt sich für sie ein. Babyboomer sind bereit, viel zu leisten und zu investieren. Sie wollen keine Konflikte, stattdessen setzen sie auf Kooperation und Teamwork.
Träger und Leitungen dieses Typs haben hohe Erwartungen an sich und ihre Mitarbeitenden: Dies betrifft ihre Loyalität, die Bereitschaft zur Identifikation mit dem Beruf, zu Leistung und persönlichem Einsatz. Sie setzen auf Teamwork und Mitbestimmung. Sie erwarten aber auch, dass sich alle einlassen und mitmachen.
Gute Babyboomer verlangen von anderen nichts, was sie nicht auch von sich selbst erwarten. Deshalb sind sie in der Regel zuverlässig, transparent und berechenbar. Für Angehörige der Y-Generation (Alter: 25 bis 35 Jahre, siehe unten) können Babyboomer mütterliche oder väterliche Figuren darstellen, bei denen man Rückhalt finden kann. Allerdings können sie ihnen die Gefolgschaft verweigern, wenn Leitung und Träger der Babyboomer-Generation zu stark auf die Identifikation mit Beruf und Einrichtung drängen, ein selbstverständliches Mittun fordern, eine unhinterfragte Loyalität verlangen und darauf pochen, dass die Teaminteressen immer Vorrang vor den persönlichen Interessen haben - denn diese persönlichen Interessen haben für die Angehörigen der Y-Generation Priorität.
Babyboomer unter den Mitarbeitenden
Babyboomer-Mitarbeitende kommen mit einer Leitung und einem Träger desselben Generationentyps gut aus. Sie tun sich aber schwer, wenn diese Führungspersönlichkeiten jünger sind, also zur X- oder zur Y-Generation gehören: Denn diese sind eher nüchtern bei der Sache und meist etwas kühl in den zwischenmenschlichen Beziehungen - während die Babyboomer sehr auf ein Miteinander setzen. Wo die Jüngeren zu anders erscheinen, kann es zu Entfremdungen zwischen ihnen und den Babyboomern kommen. Deren Dominanzargument besteht in dem ständigen Hervorheben ihrer langjährigen Berufserfahrungen und der Kämpfe, die sie in der und für die Einrichtung ausgefochten haben.
Die Generation X - unbequem und fordernd als Träger, Leitung und Fachkräfte
Die Angehörigen der X-Generation (Alter: 35 bis 45 Jahre) haben gelernt, sich durchzusetzen, ihre Meinung zu sagen, Protest anzumelden. Zugleich pochen sie auf Unabhängigkeit und Souveränität und lassen sich nicht leicht beeinflussen. Denn sie sind in Zeiten der großen gesellschaftlichen Umbrüche und der Auflösung von traditionellen Strukturen und Rollen in Familie, Schule, Kirche, Politik und öffentlichem Leben groß geworden. Diese Prägungen münden in einer eher distanzierten Einstellung gegenüber Obrigkeiten und dazu, dass die Angehörigen der Generation X jegliche Art der Vereinnahmung durch andere Personen und durch Gruppen, Teams oder Institutionen scheuen.
Generation X als Träger und Leitungen
Obwohl die X-Generation ein gebrochenes Verhältnis zu Autoritäten hat, nehmen Angehörige dieser Generation heute in der Wirtschaft und im Sozialwesen oft Führungspositionen ein. Im Kita-Bereich werden Träger und Leitungen aus dieser Generation eher sachlich und direkt handeln. Ihnen kommt es darauf an, dass man sie weniger als Führungspersönlichkeiten, sondern als Funktionsträger und Inhaber eines Amts wahrnimmt. Sie kennen ihre Befugnisse und ihre Pflichten. Diese machen sie dem Team transparent und bestehen auf einer fachlichen und funktionalen Autorität. Sie haben »ihren Laden gut im Griff« im Blick auf dessen Funktionsabläufe und Arbeitsprozesse. Für das »Atmosphärische« und das »Zwischenmenschliche« überlassen sie gerne den Babyboomern das Feld.
Träger und Leitungen der X-Generation sind korrekt, sie bestehen darauf, dass alle ihre Meinung sagen, leiten Diskussionen aber sachlich und zielführend ohne »Schnörkel und Schleifen«. Sie sind durchaus bereit, auf Konfrontationskurs zu gehen, doch dabei geht es nicht um Macht und Rechthaberei. Aber »die Sache muss ausgefochten« werden, bis eine Lösung erzielt ist.
Wenn sich nichts in der Einrichtung bewegt, alles »beim Alten bleiben« soll und man sich - in den Augen der X-Generation - mit dem Bestehenden einrichtet, verliert der X-Träger leicht das Interesse, und die X-Leiterin sucht sich eine neue Einrichtung. Denn Leitungskräfte der X-Generation sind schwer zu halten, wenn sie für sich persönlich und/oder für ihre Einrichtung keine Möglichkeit des Weiterkommens sehen.
Die X-Generation unter den Mitarbeitenden
Mitarbeitende der X-Generation diskutieren gern alles zunächst mal durch, bevor man etwas anpackt. Deshalb reichen oft einfache Anweisungen der Leitung nicht. Die X-er sind nicht autoritätshörig, sehen in Leitung und Träger Funktionsinhaber und erwarten zuerst, dass diese »ihren Job« gut machen. Sie sind durchaus konfliktbereit und halten mit Kritik an »der Führung« nicht zurück, wenn sie sich im Recht wähnen. Die X-er sehen ihre Einrichtung in erster Linie als ihren Arbeitsplatz und liefern ihre Leistung ab. Sie stehen hinter ihrer Leitung und ihrem Träger, wenn beide ihnen in Kompetenz und Führungsstil zusagen.
Am besten kommen die X-er mit den Y-ern klar, wenn diese zumindest in den Bereichen Leidenschaft und Engagement zeigen, die den X-ern wichtig sind: Recht auf Meinungsäußerung, Korrektheit beim Einhalten von Beschlüssen und Vereinbarungen, das Voranbringen der Einrichtung.
Die Generation Y - Leitmotiv: Sinnhaftigkeit
Die Angehörigen der Y-Generation (Alter: 25 bis 35 Jahre) sind ohne massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme, also eher behütet aufgewachsen: Ihr Wohlbefinden und ihre Zukunftschancen waren denjenigen, die in Familie, Kindergarten, Schule und anderen Orten der Sozialisation für sie sorgten, das größte Bestreben. Zugleich sind sie von Kindheit an Zeuge der Auflösung von Sicherheiten, verbindlichen Beziehungen, Selbstverständlichkeiten - und sehen sich gezwungen, sich selbst auf die Suche nach dem zu machen, was für sie gilt, maßgeblich ist, Sinn ergibt. Für das, was ihnen sinnvoll und stimmig erscheint, können sie sich konsequent engagieren. Sie zeigen keine Aufgeregtheit und Zukunftsangst. »Generation Zuversicht - realistisch, optimistisch, konservativ« hat der »Stern« die Generation Y als Resultat einer Umfrage bezeichnet (Ausgabe vom 18. 8. 2015). Die Y-er begegnen den alltäglichen Anforderungen am Arbeitsplatz in der Regel pragmatisch-nüchtern. Sie gehen darin nicht auf. Sie sind sich einig: Man arbeitet, um zu leben - und nicht umgekehrt.
Generation Y als Träger und Leitungen
Träger und Leitungen der Y-Generation leisten ihre Arbeit korrekt und auf das Wesentliche konzentriert. Sie praktizieren einen pragmatischen, zugleich demokratischen Führungsstil. Sie lassen sich auf Verhandlungen ein und erlauben es ihren Mitarbeitenden, ihre Interessen auszuhandeln. Sie sind für Vorschläge und Innovationen offen und setzen um, was sinnvoll, realisierbar, effektiv erscheint.
Die Y-Generation unter den Mitarbeitenden
Die Generation Y sieht Arbeit als eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung an. Sie soll es erlauben, persönliche Kompetenzen zu entfalten und eigene Werte zu leben. Mit anderen Worten: Arbeit muss sinnhaft sein. Mitarbeitende der Y-Generation möchten das große Ganze verstehen und mitgestalten können.
Man muss sich als Träger/Leitung sehr bemühen, um Y-Mitarbeitende an die Einrichtung zu binden. Denn sie mögen lieber Arrangements auf Zeit, können sich ständig vorstellen, anderswo zu arbeiten. Erhöhte Anforderungen, langatmige Diskussionen oder Konflikte am Arbeitsplatz sehen sie nicht als Herausforderung und Lernchance, sondern als Stressoren, denen sie eher ausweichen, indem sie sich eine andere Einrichtung suchen.
Angehörige der Y-Generation sind technisch gewandt und kompetent, sie sind auf dem Gebiet der digitalen Medien schnell und geschickt. Und sie bringen der X-Generation und den Babyboomern geduldig und gerne Kenntnisse in der Handhabung von Smartphone, Laptop und Tablet bei. Die Y-Generation ist aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit vielfältig einsetzbar, wenn keine Zusatzanstrengungen und Überstunden auf Dauer erforderlich sind.
Eine generationentypische Einschätzung des Personals - Gewinne für Kitas
Die hier vorgestellten Generationentypisierungen von Kita-Trägern, Leitungen und Mitarbeitenden sollte nicht bewirken:
• eine Einordnung von Individuen in Schubladen und ihre Charakterisierung nach Schablonen,
• eine moralische Bewertung von Charaktereigenschaften und typischen Verhaltensmustern,
• eine Bevorzugung bestimmter Generationen bei gleichzeitiger Minderbewertung anderer Generationen für die Aufgabenbereiche und Herausforderungen von Kindertageseinrichtungen.
Eine generationentypische Betrachtungsweise kann aber positiv dazu beitragen, dass
• die Einstellungen und Verhaltensmuster der unterschiedlichen Generationen im Blick auf ihre Gründe und Motive besser verstanden werden können,
• moralische Bewertungen durch sachliche Erklärungen ersetzt werden,
• eine versachlichte Stärken-Schwächen-Analyse möglich wird,
• bei der Personalführung auf vorhersehbare Konfliktkonstellationen Rücksicht genommen werden sowie durch die generationentypische Zusammensetzung von Gruppen und Teams mehr Synergieeffekte erzielt werden können,
• die Generationenprägungen bei der Besetzung von Träger-, Geschäftsführungs- und Leitungspositionen berücksichtigt werden,
• die Generationenvielfalt eher als eine Bereicherung denn als eine Belastung verstanden wird.
Prof. Dr. Matthias Hugoth
Ehemals Dozent für Erziehungswissenschaft und Elementarpädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg.
Literatur
• Mangelsdorf, Martina (2015): Von Babyboomer bis Generation Z. Der richtige Umgang mit unterschiedlichen Generationen im Unternehmen; Offenbach: Gabal
• Parment, Anders (2013): Die Generation Y. Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen; Wiesbaden: Springer Gabler