Titelthema
Hier spielt die Zukunft
Mobilität, Ernährung, Gebäudemanagement: Wie eine klimaneutrale Kita zukünftig aussehen könnte, schildern Susanne Schubert, Meike Lechler, Sabrina Holthausen und Meike Wunderlich.
Um acht Uhr nähert sich die erste lärmende Kindertruppe der Kita - mit dem Laufbus. Begleitet von Finns Vater, dem heutigen Laufbusfahrer. Morgen ist Annas Mutter an der Reihe, fünf Kinder an festgelegten Orten zu festgelegten Zeiten abzuholen und gemeinsam zur Kita zu begleiten. Andere Kinder kommen mit dem eigenen Rad oder Roller, auf dem Fahrradsitz der Oma, mit dem Elektrobus, der Straßenbahn oder dem Wasserstoff-Sammeltaxi. Vor der Kita ist direkt eine Haltestelle für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Die klimaneutralen Fahrzeuge fahren auf Abruf und zu den Öffnungszeiten der Kita im Zehn-Minuten-Takt. Alle Kita-Familien können die kostenfreien Fahrkarten nutzen, die jedem Kita-Kind und seiner Familie sowie den Kita-Mitarbeitenden 365 Tage im Jahr zur Verfügung stehen. (Eggers 2012, S. 1)
Lasten- und Elektrofahrräder parken vor der Kita und können kostenfrei ausgeliehen werden. In der Nähe der Einrichtung gibt es außerdem einen Treffpunkt für Fahrgemeinschaften für die Eltern, die zur Arbeit pendeln. Neben dem Eingang der Kita befindet sich ein kleines überdachtes Fahrrad- und Rollerparkhaus, an dessen Planung die Kinder und Familien und natürlich die Kita selbst beteiligt waren. Alle Fahrzeuge können dort sicher und trocken abgestellt werden. Auf dem begrünten Dach hört man das Summen von Insekten.
Was kommt auf den Teller?
Der Weg zum Kita-Gebäude führt durch den naturnahen Garten mit Wildblumen und Beeten, in denen die Kinder Kräuter und Erdbeeren zum Naschen angepflanzt haben. Neben der Kita liegt der Gemeinschaftsacker, der gemeinsam mit der Senioreneinrichtung und der Stadtteilgärtnerei bewirtschaftet wird. Dort stehen auch ein großes Gewächshaus und eine Lagerhalle. Angebaut werden beispielsweise verschiedene Kartoffelsorten, Steckrüben, Erbsen, Pastinaken, Rote Bete, Salat und Kohl. Die Möhren, die hier wachsen, leuchten in kräftigem Gelb, Orange oder Lila.
Zu dem Acker gehört eine Streuobstwiese, auf der auch Bienenstöcke stehen. Eine kleine Schafherde weidet auf der Wiese. Die Wolle wird sowohl in der Wollwerkstatt als auch als Dämmmaterial für den lokalen Hausbau genutzt. Die Kita-Küche erhält von hier das meiste Obst und Gemüse sowie Kräuter. Die Kinder helfen mit Begeisterung mit, die Schafe zu versorgen, den Honig zu schleudern und das Obst zu ernten. Mehrfach im Jahr gibt es einen gemeinsamen Ackertag für Kinder, Familien und Senior*innen, der von der Stadtteilgärtnerei organisiert wird.
Was nicht selbst angebaut wird, kauft die Kita regional und saisonal bei landwirtschaftlichen Betrieben in der Umgebung, auf dem Markt und im Unverpackt-Laden. Fleisch oder Fisch gibt es einmal die Woche und nur in Bio-Qualität. Für die Kinder kein Problem. Und für die Eltern? Auch nicht mehr. Qualität statt Quantität lautet die Devise. Das Essen ist sehr abwechslungsreich.
Im Ort gibt es eine Bäckerei mit einem Nachbarschaftsbackhaus. Hier wird für die Schulen, Kitas, Senioreneinrichtungen und für Privatleute gebacken. Einmal in der Woche ist Kita-Backtag: Dann wird vom Bäckerei-Team zusammen mit einer Gruppe aus der Kita das Brot für die Einrichtung vorbereitet: Es wird gemeinsam gemahlen, geknetet und geformt - dabei kommen auch Profigeräte zum Einsatz. Manchmal werden auch Pizza, Kekse oder andere Leckereien gebacken. Familien können Brot für zu Hause bestellen und am Ende des Tages mitnehmen.
Damit die Kinder erleben, wo ihr Essen herkommt, besuchen sie regelmäßig »ihre« lokalen Lebensmittelbetriebe. Dort lernen sie auch die artgerechte und nachhaltige Tierhaltung beispielsweise von Rindern und Hühnern kennen. So werden Zusammenhänge für sie erfahrbar. Auch die Eltern können von dort ihre Lebensmittel beziehen. Ein Rind wird beispielsweise nur geschlachtet, wenn alle Teile des Tieres verkauft wurden.
Baumaterialien, Ausstattung, Energiekonzept
Die Sonne spiegelt sich in der großen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, die die Sonnenenergie in Strom umwandelt und die Kita mit selbst erzeugter Energie versorgt. Teil des Energiekonzepts ist die Wärmerückgewinnung, Solar- und Geothermie. Ein Teil des Stroms stammt von den Windkraftanlagen in der Umgebung. Die Energie- und Wasserversorgung wird durch die lokalen Behörden für die gesamte Region koordiniert. Es wird in Kreisläufen gedacht und gearbeitet.
Alle Baumaterialien, die bei Neu- oder Umbauten zum Einsatz kommen, sind recycelbar. Möbel, Geräte und Materialien, die in der Kita genutzt werden, stammen aus zertifizierter Produktion und tragen starke Nachhaltigkeitssiegel. Spielzeug und technische Geräte werden möglichst lange verwendet. Was kaputtgeht, wird gemeinsam mit Fachleuten aus der Kita und dem Umfeld repariert oder - falls es entsorgt werden muss - gemeinsam zur lokalen Recyclingstelle gebracht. Geräte wie Laptops und Tablets sind von dem Hersteller geleast, der diese wieder zurücknimmt und dann technisch auf den neusten Stand bringt. Die Kinder lernen so Kreisläufe kennen, die eine dauerhafte Weiternutzung ermöglichen.
Im Eingangsbereich gibt es eine Übersicht, die transparent für alle zeigt, wie der ökologische Fußabdruck der Einrichtung aussieht. Dieser umfasst alle Bereiche der Kita - vom Gebäudemanagement über die Kita-Küche bis hin zur Mobilität. Es gibt beispielsweise eine Anzeige für die genutzte Energie für Wärme und Strom sowie die Anzeige, wie viel die kitaeigenen Anlagen erzeugen. Auch der Wasserkreislauf wird bildlich dargestellt. Alle können sehen, wie viel Wasser in der kitaeigenen Zisterne vorhanden ist, was von den Wasserwerken bereitgestellt wird. Auch der Fußabdruck der Kita-Mahlzeiten wird berechnet. Es wird direkt sichtbar, wie das Kreislaufwirtschaftssystem in der Kita funktioniert.
Zum Teil können Emissionen nicht vermieden werden. Deshalb werden diese kompensiert. Dazu gibt es zum einen eine lokale Waldfläche, die jährlich bei Pflanztagen gemeinsam erweitert wird. Die Fläche wird von der örtlichen Försterei betreut. Alle lokalen Betriebe und Einrichtungen sowie Privatpersonen aus der Umgebung sind daran beteiligt. Zum anderen wird ein Teil der Kita-Beiträge für weitere Kompensationsprojekte in anderen Gegenden verwendet, beispielsweise für die Wiedervernässung von Mooren oder die Aufforstung von Wäldern. Dazu arbeitet die Kita mit Umweltverbänden zusammen. Bilder von den Projekten hängen im Kita-Flur.
Ein Blick in den Kita-Alltag
Der Tag wird heiß: Fatih und Mascha vom Gießdienst schöpfen aus der Regentonne im Garten Wasser in ihre Gießkannen und wässern die Pflanzen. Der Rest vom Apfel, der dabei gegessen wird, landet natürlich auf dem großen Kompost. Werkzeug und Spielmaterialien sind weitgehend plastikfrei. Statt Bergen von Feuchttüchern im Mülleimer baumeln Waschlappen an den Haken im Bad, statt Seifenspendern mit Flüssigseife liegen Seifen auf den Rändern der Waschbecken. Die Kinder wissen genau, in welchen Eimer sie ihr Papier werfen.
Die wöchentlich im Kinderplenum neu gewählten jungen Energie-Detektive achten darauf, dass das Licht ausgeschaltet ist, wenn alle rausgehen. Die Idee, dass die Kinder dafür Sorge tragen, kam von der fünfjährigen Maryam, sie hat diese in das Kinderparlament eingebracht. Die anderen Kinder fanden denVorschlag gut, und die pädagogischen Fachkräfte haben das Interesse der Kinder für das Thema Energie gleich zum Anlass genommen, zusammen mit dem Hausmeister und den Kindern herauszufinden, woher der Kita-Strom und die Wärme eigentlich kommen, wie hoch der Verbrauch ist und ob es auch möglich ist, mal einen Tag ohne Strom zu verbringen. Klar, dass das gleich ausprobiert wurde.
Alle gestalten den Alltag mit: Eine Gruppe hilft auf dem Gemeinschaftsacker, andere beim Backen oder beim Reparieren von kaputten Gegenständen. Weitere Kinder packen im Hauswirtschaftsbereich mit an. Dazu gehört auch, den Berg Wäsche auf die Leinen zu hängen. Ideen für Veränderungen oder Aktionen werden am Nachhaltigkeitsbrett aufgemalt und gesammelt.
Außerdem gibt es natürlich Freispiel- und Lesezeiten. Es wird auf dem Außengelände gespielt, gebaut oder im Atelier gemalt. Waldtage oder Ausflüge in die Umgebung, zum Beispiel zur Bibliothek oder zum See, werden regelmäßig unternommen.
Auf dem Weg zur klimaneutralen Kita: Das Kita-Team
Im Laufe der Zeit wurde die Kita mit allen Prozessen klimaneutral. Trägervertreter*innen, Mitarbeitende, Haustechnik, Kinder und Eltern waren daran beteiligt. Immer noch treffen sich die Beteiligten regelmäßig, um zu prüfen, wo noch Dinge verbessert werden können. Es gibt dazu auch verschiedene Arbeitskreise- zum Beispiel zum Thema Energie, Beschaffung, Sharing, Kompensation. Das ist nicht nur eine Sache für die Erwachsenen, nein, daran sind immer auch mehrere Kinder beteiligt.
Das Leitbild der Kita wurde gemeinsam weiterentwickelt. Auch in den Visionsprozess des Trägers, der klimaneutral geworden ist, hat sich die Kita eingebracht. Beteiligung der Kinder, aber auch der Mitarbeitenden ist wichtig.
Im Kita-Team hat jedes Teammitglied sein »Spezialgebiet«: Manche sind für Garten oder Gebäude zuständig, andere für die Vernetzung in den Stadtteil, das Verkehrskonzept oder die Küche. Zum Team gehören pädagogische Fachkräfte und Mitarbeitende für Gebäude, Energie, Garten, Vernetzung mit dem Ort sowie Küche. Wöchentlich gibt es Besprechungszeiten für alle. Außerdem finden vierteljährlich Teamtage statt. Neben Fortbildungen gibt es auch die Möglichkeit, sich mit anderen Kitas zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Dafür gibt es ausreichend Zeit. Die pädagogischen Fachkräfte sind jeweils für die Begleitung von fünf Kindern bei den über Dreijährigen beziehungsweise drei Kindern bei den unter Dreijährigen zuständig. Unterstützt wird das Kita-Team von Fachleuten des Trägers (unter anderem Klimaschutzmanager*innen) sowie aus dem lokalen Umfeld. Es steht ein jährliches Budget zur Verfügung, um weitere Fachleute mit einzubeziehen.
Die Kita als Teil des Umfelds
Tauschen und Teilen: Ob Kleidung, Bücher oder Spielzeug - Tauschmöglichkeiten werden über einen Tauschschrank für Jung und Alt sowie über eine App und regelmäßige Flohmärkte angeboten. Hierzu sind auch alle Menschen aus dem Umfeld eingeladen.
In den Räumen der Kita bieten Fachleute und lokale Initiativen regelmäßig Beratung rund um Nachhaltigkeitsfragen sowie Reparaturdienste für Interessierte an. Es gibt auch eine App mit »Gesucht/Gefunden«-Angeboten, die das Teilen, Tauschen und Beraten unterstützt. Der Bewegungsraum der Kita wird tagsüber von den Kindern genutzt, abends und am Wochenende von der Volkshochschule, für private Feiern oder andere Veranstaltungen.
Die Car-Sharing-Gruppe des Orts trifft sich regelmäßig in der Kita und organisiert ein Mobilitätsangebot für die Nachfragen, die einfach nicht über den ÖPNV oder zu Fuß möglich sind: Dazu gehört ein Angebot für Umzüge, den Transport von großen Möbeln oder die Hilfe für Menschen, die nicht laufen und Rad fahren können. Auch die Arbeitskreise »Acker«, »Kompensation« und »Nachbarschaftsbackhaus« treffen sich hier regelmäßig.
Ausblick
Die Kita und der gesamte Ort haben schon viel erreicht. Es bleibt für Kinder, Kita-Team, Träger, Eltern und Nachbarschaft immer ein Prozess, um die Kita der Zukunft zu gestalten. Gemeinsam werden neue Ideen entwickelt und ausprobiert. Klima- und Ressourcenschutz ist gelebter Alltag, der Spaß macht, viele Forschungs- und Gestaltungsanlässe bietet. Besonders wertvoll ist es für Jung und Alt, die Erfahrungen mit anderen zu teilen, voneinander zu lernen und die Erfolge gemeinsam zu feiern. Klimaschutz ist Grundlage der Politik und Gesellschaft geworden. Die Kita der Zukunft leistet einen wertvollen Beitrag, dass die Klimaziele erreicht werden.
Susanne Schubert und Sabrina Holthausen
Klima-Kita-Netzwerk/Innowego - Forum Bildung & Nachhaltigkeit eG.«.
Meike Lechler
Klima-Kita-Netzwerk/NAJU (Naturschutzjugend im NABU).
Meike Wunderlich
Klima-Kita-Netzwerk/S.O.F. Save Our Future - Umweltstiftung.
Kasten 1
Warum ist Klimaschutz in der Kita wichtig?
Kinder wachsen in einer globalisierten und komplexen Welt auf, die vor großen Herausforderungen steht. Fast täglich tauchen die Folgen des Klimawandels in den Nachrichten auf: Bilder von brennenden Wäldern oder von Starkregenereignissen. Selbstverständlich sind Politik und Wirtschaft gefordert, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen zu bewältigen, aber auch jeder Einzelne kann etwas tun. Träger und Kitas sind gefordert, Kinder für den Umgang mit den aktuellen Herausforderungen stark zu machen. Das Fundament bildet ein ganzheitliches Bildungsverständnis, das sich an Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) orientiert. Um handlungsfähig zu werden, brauchen Kinder Orientierung und Erfahrungsräume auch zu nachhaltiger Entwicklung. Dabei geht es um einen Perspektivwechsel für die bisherige Praxis. Denn Themen wie Klima- und Ressourcenschutz stecken im Alltag jeder Kita.
Kasten 2
Das Klima-Kita-Netzwerk
Woher kommen die Zutaten für das Frühstück? Was passiert mit defektem Spielzeug? Wie viel Strom verbrauchen wir und woher kommt dieser eigentlich? Können wir auch weniger konsumieren? All das sind Fragen aus dem Kita-Alltag, die Möglichkeiten bieten, um mit Kindern auf Entdeckungsreise zu Nachhaltigkeitsfragen zu gehen. Gerade auch die Gebäude bieten über Photovoltaik oder Solarthermie, begrünte Dächer oder Heizungsanlagen Anlässe hierfür. Das Klima-Kita-Netzwerk lädt dazu ein, hinter die Dinge zu schauen und Handlungsalternativen zu entdecken. Mit verschiedenen Angeboten unterstützt das bundesweite Netzwerk pädagogische Fachkräfte, Träger, Auszubildende und Multiplikator*innen dabei, neue Perspektiven für die eigene Praxis zu entwickeln, um Klima- und Ressourcenschutz zu verankern. Dazu werden unter anderem Fortbildungen, Beratung sowie Veranstaltungen zum Austausch und zur Vernetzung angeboten (beispielsweise zum Thema klimaneutrale Kita). Jährlich sind bundesweit alle Kitas eingeladen, sich an der Klima-Aktionswoche des Netzwerks zu beteiligen. 2021 findet diese vom 27. November bis zum 24. Dezember unter dem Motto: »Weihnachtswunder statt Weihnachtsplunder. Kitas für eine nachhaltige Vorweihnachtszeit« statt. Startpunkt ist der Kaufnixtag.
Das Klima-Kita-Netzwerk wird von Innowego - Forum Bildung & Nachhaltigkeit eG, der NAJU (Naturschutzjugend im NABU), der Umweltstation Lias-Grube und der S.O.F. Save Our Future - Umweltstiftung durchgeführt. Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI). Weitere Informationen: www.klima-kita-netzwerk.de