Standpunkt
Zeit lassen
Um Kinder beim Lernen in ihrem eigenen Tempo unterstützen zu können, brauchen Kita-Fachkräfte genügend Zeitressourcen, betont Paul Nowicki.
Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine Kita und Kinder sitzen ganz ins Spiel vertieft in einer Bauecke, andere betrachten Bilderbücher oder puzzeln und wieder andere sind im Außengelände aktiv. Pädagogische Fachkräfte beobachten die Interaktionen und unterstützen, wo immer notwendig, durch kleine Impulse. Vielleicht nur das Ideal eines Kita-Alltags. Aber können Sie sich eine solche Atmosphäre in einer Kita vorstellen? Eine aufmerksame, ruhige Stimmung, die einen als Besucher animiert, sich selbst bedachtsam und ruhig zu verhalten.
Unsere Welt zeigt sich meist anders. Der Tag ist streng getaktet. Berufs und Privatleben soll organisiert sein. Wir wollen vielfältig lernen, um für die unterschiedlichen Herausforderungen des Lebens gewappnet zu sein. Schnell kommen wir auf den Gedanken, dass jede vermeintlich ungenutzte Lernsituation eine vertane Chance ist. Ruhiges Spielen und Fachkräfte, die mehr beobachten als aktiv gestalten, entsprechen nicht den üblichen Erwartungen.
Halten wir kurz inne! Vergegenwärtigen wir uns, dass Kinder schon von Anfang an über die Fähigkeit verfügen, ihre Umwelt aktiv wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren. Mit Neugier und Interesse widmen sie sich den Dingen und Situationen in ihrem Umfeld. Gelingt es, einen anregenden Kontext zu gestalten, kann sich daraus ein individuelles und selbstmotiviertes Lernen entwickeln. Sie selbst sind in der Lage, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Sie haben ein Gespür für das richtige Tempo und die wichtigen Themen ihres Lernens.
Eine aufmerksame und anregende Betreuung schafft Raum für selbstmotivierte Bildung und erzieht Kinder zu starken und selbstbewussten Menschen. Kitas dürfen deshalb besondere Lernorte für Kinder sein, die nicht dem üblichen Rhythmus der Arbeits- und erlebnisorientierten Alltagswelt folgen müssen.
Kitas dürfen auch besondere Einsatzorte für pädagogische Fachkräfte sein, die als ruhige und aufmerksame Beobachter*innen die Kinder bei ihren Lernfortschritten unterstützen. Die bedacht und reflektiert die Gruppenräume zu Bildungsräumen ausgestalten, um sie mit und durch die Kinder immer weiter zu entwickeln.
Um auf diese Weise den Kita-Alltag zu gestalten, braucht es Zeit, damit Fachkräfte Bildungsprozesse begleiten, Beobachtungen reflektieren und im kollegialen Austausch überprüfen können. Das kommende Kita-Qualitätsgesetz, zu dem der Beratungsprozess gerade gestartet ist, muss deshalb die Zeitfenster für die Vor- und Nachbereitungszeit der Erziehungskräfte deutlicher benennen und großzügiger bemessen. Diese mittelbare Arbeitszeit muss zudem geschützt werden. Sie darf bei der Berechnung des Personalschlüssels nicht auf die notwendige Betreuungszeit angerechnet werden. Damit wird verhindert, dass die wertvollen Stunden für die Planung einer qualitativ hochwertigen Bildungsarbeit als Erstes gestrichen werden, wenn Personalausfälle die Arbeitssituation in den Kitas belasten.
Konfessionelle Kitas haben noch eine weitere Ressource, die sie zu einem besonderen Lern und Erfahrungsort werden lassen. Gerade die beginnende Adventszeit lädt ein, sich dem Schatz des Glaubens zuzuwenden und innezuhalten. Konfessionelle Kitas sind auch besondere Einsatzorte für Erzieherinnen und Erzieher, denn den Schatz des Glaubens dürfen sie nicht nur für und mit den Kindern heben. Ihnen stehen zusätzliche Tage zu für Exerzitien, also für ruhige und erholsame Tage, um der eigenen Neugier auf Glaube Raum zu geben.
Paul Nowicki
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V.