Serie: 100 Jahre KTK-Bundesverband
Katholische Kindergärten während des Nationalsozialismus
Im Juni 2012 feiert der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) -
Bundesverband e. V. sein 100-jähriges Jubiläum. In unserer Serie wollen wir zurückblicken auf einschneidende Ereignisse in der Geschichte des Verbands. Im Fokus dieser Ausgabe steht die Zeit zwischen 1933 und 1945, dargestellt von Thomas Schnabel.
Der Regierungsantritt Hitlers Anfang 1933 stellte die katholische Kirche und mit ihr das gesamte katholische Verbands- und Vereinswesen vor große Probleme. Bis dahin waren die "Irrlehren" des Nationalsozialismus, ebenso wie diejenigen des Kommunismus, Sozialismus und Liberalismus, erbittert bekämpft worden. Nun aber war aus dem bekämpften politischen und weltanschaulichen Gegner die führende Regierungspartei geworden.
Im Frühjahr und Sommer 1933 wurden zahlreiche politisch und in den Verbänden aktive Katholiken verfolgt, verhaftet und misshandelt. Kurie und Episkopat hofften jedoch durch den Abschluss eines Konkordats, das Hitler angeboten hatte, eine solide Rechtsgrundlage für das Weiterarbeiten von katholischer Kirche und katholischen Verbänden zu schaffen. Am 20. Juli 1933 wurde das bis heute umstrittene Reichskonkordat in Rom unterzeichnet, das in der Bundesrepublik immer noch Gültigkeit besitzt.
In den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft blieben die katholischen Kindergärten und Horte von Übergriffen weitgehend verschont, da die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) die Caritas und deren Verbände, wie den Zentralverband katholischer Kindergärten, für die Bekämpfung der großen sozialen Not infolge der Weltwirtschaftskrise dringend benötigte und zu diesem Zeitpunkt weder personell noch finanziell in der Lage gewesen wäre, deren Aufgaben zu übernehmen.
Die NSV wird aktiv
Nachdem sich die Nationalsozialisten im Kindergartenbereich zunächst zurückgehalten hatten, wurden sie 1935 auch hier aktiv. Anfang des Jahres teilte zum Beispiel die NSV im Gau Köln-Aachen mit, dass man Anregungen aus Kreisen der Bevölkerung aufgreifen und NS-Kindergärten gründen werde. Man wolle damit die Möglichkeit schaffen, "schon die Kleinsten im nationalsozialistischen Geiste zu betreuen". Allerdings sollten die vorhandenen Kindergärten nicht verdrängt werden. Zu diesem Zeitpunkt herrschte unter den Diözesancaritasverbänden jedoch schon eine erhebliche Skepsis gegenüber den Absichten der Nationalsozialisten, da sich die NSV in der Praxis nie an Abmachungen halte. Im Oktober 1935 wandte sich der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, erstmals an staatliche Stellen, um gegen die Behinderung der katholischen Kindergärten zu protestieren.
Vor zentralen staatlichen Regelungen bei konfessionellen Kindergärten wie auch bei anderen kirchlichen Einrichtungen scheuten die Nationalsozialisten zurück, da diese gegen gesetzliche Bestimmungen oder das Reichskonkordat verstoßen hätten. Deshalb wurden Maßnahmen gegen konfessionelle Einrichtungen zuerst auf kommunaler, gelegentlich auch auf regionaler Ebene erprobt. Gab es energische Proteste oder entschiedenen Widerstand, konnten sich die zentralen Stellen davon distanzieren und als Kompetenzüberschreitung unterer Behörden bezeichnen. Stieß die NS-Entscheidung dagegen auf wenig Widerstand, konnte sie gefahrlos auf ein immer größeres Gebiet ausgedehnt werden. Fast alle gegen katholische Kindergärten gerichteten Beschlüsse gingen von einzelnen Ländern oder Provinzen aus. Selbst in den Ländern gab es noch unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Städten und Gemeinden.
Eine Konsequenz allerdings hatte der nationalsozialistische Druck für die katholischen Kindergärten: Da die Genehmigung nur widerruflich erteilt war, konnte sie vom Jugend- oder Gesundheitsamt bei Beanstandungen jederzeit zurückgenommen werden. "Wir müssen uns", so der Zentralverband, "bewusst sein, dass an unsere Einrichtungen heute der strengste Maßstab angelegt wird, und können uns aus diesem Grunde schon nicht leisten, dass notwendige Verbesserungen auf spätere Zeiten verschoben werden." Dazu wurde, zum Beispiel in Württemberg, eine stärkere Zusammenarbeit mit allen Kindergartenleiterinnen angestrebt. Auf regelmäßigen Bezirkstreffen wurden die Schwestern, die zumeist die Einrichtungen leiteten, über Kindergartenfragen der Zeit aufgeklärt. Man informierte sie über die Maßnahmen von Staat und NSDAP auf dem Gebiet der Kleinkinderziehung und zeigte die Mängel in den eigenen Einrichtungen sowie Mittel und Wege zu deren Beseitigung auf. "Da und dort ist es auch nötig, dass man die Kindergärtnerinnen ermutigt zu frohem und zuversichtlichem Weiterschaffen."
Trotz der von zentralen nationalsozialistischen Stellen immer wieder abgegebenen Erklärung, dass an eine Beseitigung der konfessionellen Kindergärten nicht gedacht sei, wuchsen die Zweifel auf katholischer Seite und man begann, die Eltern zu mobilisieren. Anfang 1937 gab der Caritasverband eine Predigtskizze unter dem Titel "Gottes Sonne unsern Kindern!" in mehreren hunderttausend Exemplaren heraus. Darin polemisierte man heftig gegen die sogenannte Entkonfessionalisierung der Kindergärten, und nationalsozialistische Vorstellungen wurden scharf kritisiert. Deshalb beschlagnahmte die Gestapo die gesamte Auflage. Erst nach einer persönlichen Intervention des Vorsitzenden des Caritasverbands, Prälat Kreutz, bei der Gestapo wurde die Beschlagnahme wieder aufgehoben. Allerdings musste eine besonders kritische Stelle gestrichen werden.
Ausbau staatlicher Kindergärten
Ebenfalls Anfang 1937 bekamen die Kindergärten auch im Rahmen der allgemeinen politischen Ziele des Dritten Reichs eine zunehmende Bedeutung. "Der verstärkte Einsatz der Frauen in Industrie und Landarbeit", so ein internes Rundschreiben des Hauptamts für Volkswohlfahrt, "(...) und allgemein politische Gesichtspunkte erfordern den starken Ausbau der Kindertagesstätten." In den Industriegebieten sollten neben Dauerkindergärten, Horten, Liege- und Laufkrippen eventuell sogar Tages- und Nachtheime für Kleinkinder und Säuglinge eingerichtet werden. Der staatliche Ausbau der Kindergärten im Dritten Reich erfolgte also nicht aus sozialen oder pädagogischen Gründen, sondern ausschließlich wegen der rüstungspolitischen Ziele des Regimes: Es fehlten Arbeitskräfte.
Der schnelle Ausbau der NSV-Kindergärten ging zwangsläufig auf Kosten der Qualität. Sie genossen aufgrund des häufigen Wechsels der Leiterinnen und deren mangelnder Vorbildung kein allzu großes Ansehen bei den Müttern. "Die Kindergartenarbeit wird dann durch mancherlei Anzeichen wieder mehr Bewahr- und Lernschule." Allerdings mussten sich auch die katholischen Kindergärten den gewandelten Anforderungen anpassen, und zwar in besonderem Maße: "Was bei der NSV eine Kann-Leistung ist, das müssen Sie haben", so ein Medizinalrat in Düsseldorf.
Der Kriegsausbruch verschärfte zunächst die Probleme. Am 19. November 1940 unterbanden die Nationalsozialisten weitgehend die Gewinnung von Nachwuchskräften für die katholischen Kindergärten, indem sie den Eintritt in Orden und Klöster verboten. Ende des Jahres begann die Ausschaltung der konfessionellen Kindergärten auf Länder- beziehungsweise Gauebene. Den Anfang machte Thüringen, wo zum 31. Dezember 1940 die NSV alle konfessionellen Kindergärten übernahm. Wenige Wochen später folgte Sachsen. Es war sicher kein Zufall, dass die große Verbotswelle in Thüringen und Sachsen einsetzte. Dort befanden sich die Katholiken in der Diaspora und unterhielten nur wenige Kindergärten. Die evangelischen Landeskirchen wurden von NS-freundlichen Protestanten geleitet. Unter diesen Umständen war kein entschiedener Protest gegen die Schließungen zu erwarten.
Dies sah im Westen Deutschlands, wo die nächsten Schließungsaktionen stattfanden, anders aus. Grundlage der Maßnahmen war ein vom Reichsinnenminister und dem Stellvertreter Hitlers gemeinsam herausgegebener Runderlass vom 21. März 1941, wonach "die Betreuung der Kinder in den Kindertagesstätten der NSV im Rahmen der allgemeinen Menschenführungsaufgabe der Partei obliegt und (...) daher die Übernahme der nicht von den Gemeinden betriebenen Kindertagesstätten ausschließlich Aufgabe der NSV ist".
Allerdings kam es zu keiner reichsweiten Beschlagnahmung der katholischen Kindergärten, zumal sich lebhafter Widerstand bei den Müttern erhob, vor allem im Regierungsbezirk Köln. Ebenso protestierten die katholischen Bischöfe scharf gegen die ersten Aktionen. Dieser zunehmende Widerstand, wahrscheinlich auch die durch den Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 veränderte Kriegslage, veranlassten Hitler, bereits Ende Juli die Aktion gegen die katholischen Einrichtungen wieder abzublasen.
Proteste der Mütter
Im Herbst 1941 musste die NSV ihren Versuch, alle konfessionellen Kindergärten zu übernehmen, aufgeben. Maßgeblichen Anteil an diesem teilweisen Fehlschlag hatten die Mütter. Zwar wurde vereinzelt, zum Beispiel aus Niederschlesien, von der NS-Frauenschaft berichtet, man habe sich an die NSV-Kindergärten als Selbstverständlichkeit gewöhnt. In anderen Gebieten war jedoch von einer starken Beunruhigung der Frauen die Rede. Die lebhaften Proteste der Mütter in Köln führten sogar dazu, dass im benachbarten Regierungsbezirk Düsseldorf die Vorbereitungen zur Übernahme der konfessionellen Kindergärten durch die NSV unter Hinweis auf die Kölner Vorfälle abgebrochen wurden.
Die Gründe für dieses mutige Verhalten vieler katholischer Mütter waren zum einen die enge Bindung an die Kirche, vor allem in kleineren Städten und auf dem Land, zum anderen aber auch die Zufriedenheit mit den katholischen Kindergärten. Dazu kam eine in kirchlichen Fragen kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Auch die Intensivierung der Elternarbeit, die vom Zentralverband katholischer Kindergärten verstärkt seit Beginn des Dritten Reichs propagiert worden war, mag eine Rolle gespielt haben.
Insgesamt wurden circa 1100 der ursprünglich etwa 4300 katholischen Kindergärten und Horte von der NSV übernommen, und zwar in den Ländern Sachsen und Thüringen sowie in den preußischen Provinzen beziehungsweise Regierungsbezirken Niederschlesien, Hessen, Aachen, Köln und Trier. In den übrigen Gebieten gingen fast nur die Kindergärten in kommunaler Trägerschaft verloren. Der Zentralverband in Köln konnte bis Kriegsende relativ ungestört weiterarbeiten.
Allerdings gab man sich auf katholischer Seite keinen Illusionen hin: Die Auflösung der katholischen Einrichtungen war nur auf die Zeit nach dem erwarteten "Endsieg" verschoben worden. Als dieser 1942/43 in immer weitere Ferne rückte, litten auch die katholischen Kindergärten zunehmend unter den allgemeinen Kriegsbelastungen wie den ständig zunehmenden Luftangriffen oder der sich verschlechternden Ernährungslage.
Wichtig für das Überleben der katholischen Kindergärten im Dritten Reich war der enge Kontakt, der zwischen den einzelnen Einrichtungen und dem Zentralverband unterhalten wurde. Bis zum Verbot 1940 geschah dies vor allem durch die Zeitschrift "Kinderheim", danach durch persönliche Kontakte oder Rundbriefe. Selbst am Ende des Krieges, Mitte November 1944, verschickte der Vorsitzende des Zentralverbands, Prälat Lenné, noch einen Gruß an alle Verbandsmitglieder. Darin forderte er sie auf, zu Gott zu beten, um dem verderblichen Krieg ein Ende zu bereiten. Außerdem sollte jeder mit seiner Liebe gerade da ansetzen, wo Hass und Völkerfeindschaft so schreckliche Verwüstungen angerichtet hätten. Damit waren auch bereits die Aufgaben für die Zeit nach dem kurz bevorstehenden Kriegsende benannt.
Dr. Thomas Schnabel
Historiker, Leiter des Hauses der Geschichte in Stuttgart.