Standpunkt
Solidarität als alltägliche Lernerfahrung
In der Kita können Kinder lernen, wie man konstruktiv mit den großen und kleinen Themen unserer Zeit umgehen kann, meint Paul Nowicki.
Die großen Themen unserer Zeit zeigen uns überdeutlich, wie vernetzt unsere Welt strukturiert ist und wie scheinbar Unverbundenes in wechselseitigem Bezug steht. So führt der Krieg in der Ukraine nicht nur dazu, dass unsere Lebensmittelpreise steigen, sondern auch dazu, dass sich der Hunger in den ärmsten Ländern der Erde weiter verschärft. Auch ein Klimaschutz, der weltweit greifen soll, wird ohne gerechte Arbeitsbedingungen in Ländern, aus denen wir viele unserer Rohstoffe beziehen, nicht zu realisieren sein.
Große Themen, die darauf hinweisen, dass nicht das Trennende, sondern das Verbindende zählt - und wie wichtig es ist, miteinander zu handeln und füreinander einzustehen.
Solidarität ist auch in unseren Kindertageseinrichtungen gefragt. Nicht überall gibt es genug Kita-Plätze. Nach welchen Kriterien werden sie vergeben? Wie gehen wir damit um, wenn die Vergabekriterien unsere Pläne durchkreuzen? Die Herausforderungen auf möglichst viele Schultern zu verteilen, damit die Last für die Einzelnen nicht zu schwer wird, ist eine Form von Solidarität, die auch gefragt ist, wenn im Team aufgrund von hohen Krankenständen die Kolleg*innen fehlen und dennoch die tägliche Arbeit geleistet wird.
All diese Zusammenhänge müssen Kita-Kinder nicht verstehen, um zu spüren, ob im solidarischen Miteinander der Umgangston verständnisvoll bleibt und in der Betreuungssituation eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre besteht, die Lernen und Entwicklung fördert.
Kinder durchlaufen altersspezifisch und individuell differenziert eine soziale Entwicklung. Eine wachsende Empathie für den Nächsten, ein Gespür für Gerechtigkeit und die Bereitschaft, zu teilen, gehören dazu. Pädagogische Fachkräfte, die mit ausreichend Zeit und geschultem Blick die ihnen anvertrauten Kinder begleiten, können solche Entwicklungen fördern und bestärken. Und sie werden umso glaubwürdiger, wenn sie selbst Teil eines solidarischen Systems sind.
Miteinander handeln und füreinander da sein sind auch wesentliche Botschaft einer christlichen Grundhaltung. Hier verbinden sich gesellschaftliche Erkenntnis und christlicher Glaube, wie auch die Einsicht, dass das vermeintlich Einfache im Alltag so schwer durchzuhalten ist.
Doch was verbindet die große Welt mit dem kleinen Kosmos einer Kita? Krieg, Klimawandel und Hun- ger bringen Menschen mit teilweise traumatischen Fluchterfahrungen zu uns und ihre Kinder in unsere Einrichtungen. Steigende Lebenshaltungskosten verschieben die Armutsgrenzen in unserer Gesellschaft, was auch in unseren Kitas sichtbar wird. In unseren Einrichtungen erleben Kinder und ihre Familien, dass ihre Situation wahr- und ernstgenommen wird. In einem solidarischen Miteinander, das nach Möglichkeiten sucht, belastende Erfahrungen zu verarbeiten, erleben sie, wie man sich in herausfordernden Situationen hilfreich zur Seite steht. Das sind prägende und beständige Lernerfahrungen. Die großen und kleinen Themen unserer Zeit werden damit nicht gelöst, aber es wird gelernt, wie man konstruktiv damit umgehen kann.
Nicht erst aus der Reflexion über die Corona-Maßnahmen haben wir erkannt, wie bedeutsam eine qualitativ gute und verlässliche Betreuung in unseren Kitas ist. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass in dieser frühen Bildungsphase wesentliche Grundhaltungen geprägt werden, für die die Fachkräfte unserer Einrichtungen systemrelevant sind.
Paul Nowicki
Geschäftsführer des Verbands Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband e. V.